Traumfabrik Bollywood

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    Es gibt 3 Antworten in diesem Thema. Der letzte Beitrag () ist von SHAHRUKH KHAN.

      Traumfabrik Bollywood



      TRAUMFABRIK BOLLYWOOD

      Mumbai – Metropole des populären, erfolgreichen Hindifilms

      Mit Hindifilmen sind kommerzielle, populäre hindi-sprachige Filme gemeint, die vor allem in Mumbai produziert werden. Aufgrund Herrschenden Sprachbarrieren haben sich weitere regionale Filmproduktionsstätten in Chennai, Delhi, Hyderabad und Kalkota entwickelt. Zwischen diesen regionalen Produktionstätten findet ein Austausch von erfolgreichen Filmen statt. Kassenknüller von einer Region werden in einer anderen Region entweder nachsynchronisiert oder es wird ein Remake von ihnen gemacht. Das indische Kommerzkino ist gemessen an seinem Produktionsausstoß inzwischen das größte der Welt. Jährlich entstehen zwischen 700 und 1000 Spielfilme. Da die bekanntesten und erfolgreichsten Filme jedoch in Mumbai (Bombay) hergestellt werden, nennt man sie in Anlehnung an Hollywood auch kurz Bollywoodfilme.

      Bollywood gilt als Vorbild nicht nur für die regionalen Filmstätten Indiens, sondern auch für Großteile des gesamtasiatischen Raums. Viele Regisseure und Künstler aus Nepal, Sri Lanka und Pakistan zieht es in diese Filmkapitale. Den Spitznamen Bollywood verpasste dem indischen Kommerzkino in den 80er Jahren ein Journalist des indischen Filmmagazin Cineblitz. Einige Filmkritiker, die das realistischere und kritischere Kunstkino bevorzugten, verwendeten ihm dann als Schimpfwort. Deshalb gehörte der Begriff lange als Zeit nicht Vokabular der Kritiker, die das indische Kommerzkino positiv bewerteten. Sie weigerten sich, ihn zu benutzen, weil sie glaubten, man würde damit Hollywood und Bollywood in einem gemeinsamen Topf werfen und dann behaupten, dass Konventionen und Stars austauschbar seien. Doch ungeachtet der vielen Proteste und Kritiken hat sich der Terminus überall verbreitet und inzwischen auch eine Umbewertung ins Positive erfahren. Vor allem in der letzten Zeit, seit man im Ausland Erfolg hat und Flagge zeigen kann, schmück man sich gern mit Markenzeichen Bollywood. Viele Inder finden es Heute angebracht, Bollywood mit Hollywood zu vergleichen, weil beide Industrien Filme mit großem Unterhaltungswert für riesiges Publikum produzieren.

      Der typische Stil der Bollywoodfilmindustrie ist der so genannte Masala-Film. Diese erfolgreiche Filmspezialität Mumbais wurde nach einer indischen Currymischung benannt. Der Film soll den Zuschauer durch die bunte Palette von Emotionen führen. Die Masala-Filme sind Melodramen, die aus weiteren verschiedenen Genrefragmenten zusammengesetzt sind, mit dem einen oder anderen Schwerpunkt. Ob Thriller, Romantik, Action oder Komödie- für jeden Geschmack soll das Passende dabei sein; jedem soll etwas geboten werden. Daher wird der Masala-Film auch Multi-Genrefilm genannt.

      Die Mischung dieses Multi-Genrefilms ist es, die die Bollywoodfilme so einzigartig macht. Das indische Publikum hat jedoch einen überaus kritischen Geschmack, was gute Filme betrifft. Von circa 180 schaffen es nur etwa 8 Filme in die begehrte Chartliste der Boxoffice. Die Produktionskosten für ein extravagantes Masala-Movie betragen heutzutage etwa 200 Millionen Rupien; das sind etwa 4,6 Millionen US Dollar, so viel wie allein ein durchschnittlicher Hollywoodstar als Gage bekommt.

      Obwohl den Masala-Filmen der Ruf der Eindimensionalität vorauseilt, erwartet das indische Publikum doch eine ganze Menge von ihnen; fabelhafte orginelle Musikkompositionen, aufregende Schauplätze, hervorragende Stars und Tanzszenen und möglichst eine Geschichte, die alle, von Großmutter bis zum Enkel, vom indischen New Yorker Yuppie bis zum Bauern in Bihar, anspricht. Den richtigen Geschmack der Massen zu treffen, bleibt daher eine wahre Kunst und Herausforderung, denn das absolute Rezept gibt es nicht.

      Im Gegensatz zu Hollywood, wo amerikanische Kassenschlager schon bald in Vergessenheit geraten, sind die Bollywoodfilme wesentlich langlebiger. Ein echter Bollywoodfan geht mindestens ein Dutzend Mal in ein und denselben Film. Nirgendwo auf der Welt hat das Kino eine so große Bedeutung wie in Indien.

      Der Zauber von Geschichten hat auf die mündliche Überlieferung Indiens immer schon eine besondere Faszination ausgeübt. Auch heutzutage ist es noch Brauch, metaphysische, soziale und psychologische Themen in Form von Geschichten und Metaphern wiederzugeben.

      Die indische Denkkultur bevorzugt gegenüber der westlichen die Bildersprache. Laut Sudhir Kakar, einem renommierten indischen Psychologen, sind in Indien abstrakte, konzeptionelle Formulierungen eher nicht gebräuchlich. Es ist üblich, komplexe Angelegenheiten in Form von Geschichten darzustellen, da auf diese Weise Vorstellungskraft und Gefühle stärker angesprochen und Zusammenhänge verständlicher werden, vergleichbar mit unseren Märchen und Sagen. Die Erzählung ist für den Inder eine Form zur Erkundung der Wirklichkeit. Die Inder glauben, dass jenseits der miteillbaren, empirischen Wirklichkeit unsere Welt eine andere, höhere Stufe der Wirklichkeit existiert. Diese Wirklichkeit liegt jenseits des intellektuellen Verstandes und rationaler Systeme.

      Das Erreichen dieser Bewusstseinsebene gilt als höchstes Ziel des menschlichen Lebens. Aus diesem Grund haben bei den Indern Kunst, Meditation und Religion einen sehr hohen Stellenwert. Gut erzählte Geschichten und Musik machen mystische Erfahrung greifbarer. Populäre Filme oder moderne Romane präsentieren in zeitgenössischer Aufmachung traditioneller gesellschaftliche Anliegen.

      Die Art und Weise, wie traditionell Inder in ihrer Erzählkultur verwurzelt sind, ist für den modernen westlichen Menschen schwer nachzuvollziehen. Wer den indischen Menschen mit seinen Vorlieben, seinen Sehnsüchten und Ängsten Verstehen will, muss die Bedeutung seiner Geschichten kennen. Ihre im Kino erzählten Geschichten spiegeln nicht nur die Phantasie, sondern auch wahre Begebenheiten wieder, die irgendwann einmal gehört, gesehen oder erlebt wurden. Das Kino setzt sie filmgerecht um.


      HISTORICHER HINTERGRUND FÜR DIESES PHÄNOMEN

      Indien ist mit etwa einer Milliarde Einwohnern neben China das bevölkerungsreichste Land der Welt. Es ist etwa neunmal so groß wie die Bundesrepublik Deutschland. Auf Europa übertragen entspräche es einer Ausdehnung von Brüssel nach Moskau und von Kopenhagen nach Tunis. Die größten Städte sind Mumbai mit circa 16 Mio. Einwohnern, Kolkota mit circa 13 Mio. Einwohnern und Delhi mit circa 14 Mio. Einwohnern.

      Den typischen Inder gibt es genauso wenig wie den typischen Europäer. Indien beherbergt ein buntes Völkergemisch aus Ureinwohnern, den so genannten Adivasi (Siedler unterschiedlicher ethnischer Abstammung), den Drawiden, deren wahre Herkunft ungeklärt ist und die zum größten Teil in Südindien leben, und den Nachfahren der Indo-Arier(Arya) aus Zentralasien, die sich in Nord und in Zentralasien niederließen. Nicht zu vergessen sind die Einwanderer wie Hunnen, Türken, Afghanen, Perser, Franzosen, Niederländer, Briten, Juden und Dänen. So findet man Menschen vom gedrungenen Kleinwüchsigen bis zum schlanken, hünenhaften Typus, vom dunkel bis zum hellen Hauttyp.

      In Indien gibt es circa 225 verschiedene Sprachen, circa 845 Dialekte, von denen einige noch unerforscht sind, 18 offiziell anerkannte Amtssprachen und 11 verschiedene Schriftsysteme, die sich von Region zu Region unterscheiden. Wenn ein Inder mit dem Zug oder dem Bus durch verschiedene Gebiete seines Landes fährt, kommt er sich sprachlich und teilweise auch kulturell wie im Ausland vor. Die Regionen Indiens unterscheiden sich deutlicher voneinander als die verschiedenen Länder Europas.

      Bevor die Briten Indien 1858 offiziell ihrer Herrschaft unterwarfen, gab es in diesem Land weder ein Staatsbezeichnung noch ein Staatsbewusstsein. Die Einwohner nannten es Hindustan(Land der Hindus) oder Bharat nach der königlichen Familie aus dem Mahabarata-Epos. Bis dahin war das riesige Gebiet in eine Vielzahl rivalisierender Fürstentümer aufgespalten und bestenfalls kulturell miteinender verbunden, Einheimische, die an britischen Schulen für den Verwaltungsdienst der Fremdherrschaft herangebildet wurden, hörten durch ihrer Lehrer erstmals, sie seien- unabhängig von ihrer sehr verschiedenen lokalen Traditionen- Inder.

      Die Briten schufen völlig neue Voraussetzungen für die gesellschaftliche Entwicklung und die Handelsbeziehungen innerhalb des Landes. Um ihr Herrschaftsgebit besser verwalten zu können, ließen sie Eisenbahnlinien und Straßen durch den Subkontinent bauen. Zum ersten Mal wurden damit unterschiedliche Regionen miteinender verbunden und durch eine einheitliche Amtssprache und Verwaltung zusammen geführt. Die Briten schufen einen riesigen Verwaltungsapparat, der sich im Lauf der Zeit zurgrößten Bürokratie der Welt entwickelt hat. Der britische Einfluss war so groß, dass die indische Bürokratie selbst ein halbes Jahrhundert nach der Unabhängigkeit immer noch weiter wächst. In Indien gibt es heute über 40 Millionen Beamte.

      Zur Zeit der indischen Unabhängigkeit in der 20er und 30er Jahren visierten Mahatma Gandhi und Jawaharlal Nehru einen indischen Nationalstaat an, in dem sich die Bewohner unabhängig von ihrer Religion und ethnischen Zugehörigkeit selbstbewusst als Inder fühlen konnten. Was die Reformer propagierten, musste den vielen Millionen Menschen, die vorher nie mit westlichem Denken in Berührung gekommen waren, so fremd erschienen wie das Englische als überregionale Sprache. Vielen Bewohnern indischer Kleinstädte und Dörfer war der moderne Nationalsprache Indien noch um vieles abstrakter als uns der Begriff Europa. Sie identifizierten sich mit ihrer Kaste und dem überschaubaren Bezirk ihres Dorfes oder ihrer Stadt. Ihre Orientierung blieb vorwiegend an ihre ethnische Kultur- und Sprachgrenze gebunden.

      Wie kommt es nun, dass in einem Land mit solchen sprachlichen, religiösen und kulturellen Differenzen der populäre Hindifilm die dominante Form der Unterhaltung geworden ist? Die Genialität der populären Bollywoodfilme besteht darin, dass sie eine multikulturellen und kosmopolitische Atmosphäre erschaffen, in der gravierende Unterschiede, wie Kaste, Religion, Kultur und Sprache überwunden werden. Es entsteht eine Pan - Indien - Kultur, wobei vor allem Musik, Gesang und Tanz eine übergreifende und ausschlaggebende Rolle spielen. Das populäre indische Kino verbindet Bilder und Symbole aus traditionellen regionalen Kulturen mit modernen, westlichen Themen und aktuellen Zeitgeschehen.

      Javed Akthar, Indiens berühmtester Drehbuchautor, erklärt das so: „ Indien ist ein Land, in dem es viele Kulturen, Sprachen, Subkulturen und Bundesstaaten gibt. Jeder hat seine eigene Identität, Kultur und Sprache. Genauso ist es mit dem Hindikino- mit ihm ist es wie mit weiteren Kultur, einem weiteren Ethos und einem Bundesstaat (…) Das Hindikino hat seine eigenen Traditionen, seine eigene Kultur und Sprache. Es ist jedoch im übrigen Indien nicht fremd, sondern vertraut und wieder erkennbar, und man kann sich damit identifizieren. Sagen wir, das Hindikino ist unser nächster Nachbar (…)“.

      Das Hindikino gab Indien eine nationale Stimme und half, ein Nationalgefühl in Indien aufzubauen, das die Menschen einander nicht nur kulturell und sprachlich, sondern auch politisch näher brachte. Der Weg dieses Bewusstseinprozesses spiegelt sich in seinen Filmen wider. Jeder, der das komplexe Phänomen des indischen Modernisierungsprozesses verstehen will, sollte deshalb die indische Filmgeschichte studieren.





      DIE BASIS: RELIGION UND KULTUR

      Um indische Filme und die Entwicklung der indischen Filmindustrie besser nachvollziehen und verstehen zu können, ist es notwendig, zunächst einen Blick auf die religiösen und kulturgeschichtlichen Gegebenheiten zu werfen, da diese das Fundament der Kinotradition bilden. Die Eigenart bzw. tiefere Bedeutung der indischen Filmsprache basiert vor allem auf den Werten der hinduistischen Religion, dem Fundus ihrer Mythologie und dem Parsi- Theater.

      BEDEUTUNG DER RELIGION

      Die Religion durchdringt jeden Aspekt des indischen Alltags, unabhängig von der Religionszugehörigkeit. Jeder Hindifilm veranschaulicht dies, ständig sieht man Szenen, in denen Menschen in den Tempel gehen oder vor dem Hausaltar beten. Ebenso haben alle Feste und Rituale, die gezeigt werden, eine religiöse Bedeutung. Filme wie Fiza, Bombay oder Mission Kashmir thematisieren Religionskonflikte zwischen Hindus und Moslems. Also Grund genug, sich etwas näher mit der vorherrschenden, nämlich der hinduistischen Religion zu beschäftigen.

      Etwa 83 Prozent der indischen Bevölkerung gehören der hinduistischen Glaubensrichtung an, gefolgt von der zweitstärksten Religionsgruppe, den Moslems mit circa 11 Prozent, die restlichen Prozente teilen sich Christen, Buddhisten, Jainis, und andere Glaubensrichtungen. Der Glaube, ungeachtet der jeweiligen Religionszugehörigkeit, spielt im Leben fasst alle Inder eine zentrale Rolle. Atheisten stoßen in Indien auf Unverständnis.

      Der Hinduismus ist die älteste Religion Indiens, er beeinflusste vor allem thematisch das indische Kino. Im Gegensatz zum Christentum kann man nicht zum Hinduismus übertreten, wie etwa durch die Taufe, sondern man wird als Hindu geboren. Von Bedeutung dabei ist, dass bereits der Vater des Kindes ein Hindu ist.

      Was versteht man eigentlich unter Hinduismus? Der Hinduismus ist für Außenstehende wahrscheinlich die verwirrendste aller Weltreligionen: Da einmal die unermessliche Anzahl verschiedener Götter und Göttinnen, dann die zahlreichen Riten und schließlich die nicht minder vielen verschiedenen Wege zu Erlösung, - von denen sich einige sogar widersprechen und gegenseitig anzuschließen scheinen. Der heutige Hinduismus ist das Ergebnis einer Vermischung verschiedenen Kulturen.

      Auch den Hindus fällt die Definition ihrer Religion schwer.1903 versuchte ein konstitutioneller Beirat erstmals, den Hinduismus zu definieren. Dabei fand man heraus, dass es leichter ist, zu definieren, wer kein Hindu ist, als das Gegenteil. Die Ungenauigkeit beginnt schon beim Namen selbst, der lediglich eine geografische Bezeichnung ist. Das alte Indien grenzt e im Westen an Fluss Sind (auch Sindhu oder Indus geschrieben) und wurde von den westlichen Nachbarn der Inder Hind ausgesprochen. Das S am Wortanfang wurde getilgt. Die Bewohner der Region östlich des Sind wurden somit als Hindus bezeichnet, und entstand der Name, der danach für viel Verwirrung sorgte. Die Religionsbezeichnung Hinduismus von Europäern erfunden. Man versteht darunter den Verbund von Religionen und Lebensphilosophien unterschiedlicher Traditionen und Strömungen eingewanderter halbnomadischer indoarischer Völker und drawidischer Einheimischer.




      GLAUBENSINHALT DES HINDUISMUS

      Der Hinduismus kennt weder einen Religionsstifter noch einen einheitlichen, unveränderbaren Kanon an Texten. Relativität und Pluralität sind Grundzüge des Hinduismus. Die Inder selbst bezeichnen ihre Religion als Sanatana Dharma (ewige Ordnung). Kernpunkte dieser Ordnung sind Dharma, Karma, Maya sowie Widergeburt und Entsagung.

      Der Hinduismus zeigt ein ganzheitliches Weltbild, in dem alles mit allem verbunden ist. Dharma ist die kosmische Ordnung, die alles zusammenhält, was erschaffen wurde, ohne jedoch dabei absolut perfekt und vollkommen zu sein. Der Mensch ist nicht wie im Christentum Krone der Schöpfung, sondern nur ein Teil, das heißt, alle Lebewesen besitzen eine Seele, sind unvergänglich und können sich in jeglichem Körper reinkarnieren.

      Jede Handlung, jeder Gedanke führt zu der jeweiligen Konsequenz, auch Karma genannt (Karma ist das Gesetz von Ursache und Wirkung). Wie jeder Einzelne damit umgeht, bleibt ihm überlassen und sein persönliches Karma. Der Mensch ist das Produkt seiner Taten in einer Unzahl von vorherigen Leben, deshalb ertragen die meisten Hindus soziale Diskrepanzen mit Glauben und Vertrauen.

      Maya bedeutet Illusion. Die Götter lassen den Durchschnittsmenschen nur das sehen, was er sehen soll. Die Weisen sind einzige Menschen, denen es nach vielen Jahren Askese gelingen kann, den Zauber der göttlichen Illusionen zu brechen. In Wirklichkeit sind wir und Dinge um uns herum nichts weiter als vielfältige vorhandene Visionen und Emanationen des göttlichen Geistes Brahma.

      Das Ziel eines jeden Hindu ist es, sich aus dem ewigen Kreislauf der Wiedergeburten (samsara) zu befreien und das Göttliche in sich zu erwecken. Man wird so lange wiedergeboren, bis dieses Ziel erreicht ist. Gefährdet wird dieser Weg durch Kama (Begierde/ egoistisches Verlangen), Lobha (Geiz), Krodha (Zorn) und Bhaya (Angst). Im Hinduismus geht es nicht in erster Linie um Dogmen und Glaubenssätze, sondern um richtiges handeln und um bestimmte Pflichten, die man gegenüber den Göttern, der Gesellschaft sowie der Familie zu erfüllen hat.

      Auf dem Weg zum Endziel sollte der Gläubige etappenweise vorgehen, da man nur schwer in wenigen Leben das Moksha(Befreiung von irdischer Existenz) erreichen kann. Etappenziele wären z .B: Artha(Wohlstand, Ruhm) und Drahma(Rechtschaffenheit).

      HEILIGE SCHRIFTEN DER HINDUS

      Heilige hinduistische Texte werden in zwei Kategorien unterteilt: In jene, von denen man glaubt, sie seien Worte der Götter (shruti), und jene, die von Brahmanen(Priestern) geschrieben wurden (smriti). Die Veden, die von den siegreichen eingewanderten Ariern mitgebracht wurden, werden als Shruti- Wissen angesehn und gelten als maßgebliche Grundlage für den Hinduismus. Die Veden sind eine Sammlung von Hymnen, die in vorklassischen Sanskrit während des zweiten Jahrtausends v. Chr. Verfasst wurden, nachdem sie Jahrtausende zuvor mündlich weitergegeben worden waren.

      Die Hymnen sind in vier Bücher unterteilt, von denen das älteste Veda, das Rigveda (erste Veda), vor mehr als 5000 Jahren zusammengestellt worden ist. Es besteht aus 1028 Versen und enthält Gebete und Mantras sowie Erklärungen über den Ursprung des Universums. Die Smriti- Texte, die von den Brahmanen verfasst wurden, umfassen eine große Literatursammlungen aus vielen Jahrhunderten und beinhalten Darlegungen über die richtige Ausführung von traditionellen und religiösen Zeremonien. Zu bekannten Werken, die in diesen Smriti- Schriften enthalten sind, gehören die mythologischen Epen Mahabharata und Ramayana.

      DIE UNERSCHÖPFLICHE FUNDGRUBE DES INDISHEN KINOS

      Das Indische Kino ist eine Montage untrennbarer mythologischer Einflüsse. Viele Geschichten und Ereignisse sowie die episodenhafte Struktur wurden aus indischen Mythologie der Smriti- Schriften übernommen. Figuren und Charaktere der Epen dienen dem indischen Kino bis heute als Rollenmodelle.

      Mahabharata und Ramayana sind gemeinsames Erbe des Subkontinents und haben tief die Denkweise und die Vorstellung der Inder beeinflusst. Sie sind die Wächter des Glaubens und der sozialen Werte und bilden die Brüücke zwischen Vergangenheit und Gegenwart. In Indien gibt es ein Sprichwort, das besagt: „Jaha Nai Bharate (Indien), Taha Nai Bharate (Mahabharata)“- alles, was nicht in Indien zu finden ist, das wird auch nicht im Mahabharata zu finden sein.


      MAHABHARATA ( Große Geschichte der Bharatas)

      Das Mahabharata ist mit 100.000 zweizeiligen Versen das umfangreichste Epos der Hindus und auch der Weltliteratur. Es ist achtmal so lang wie die griechischen Epen Ilias und Odyssee zusammen und entstand vor etwa 4000 Jahren. Es ist eine Sammlung in der Sprache des Sanskrit und besteht aus verschiedenen Mythen, Legenden und Bräuchen aus vor arischer Zeit. Autor war der heilige und weise Dichter Krishna Dvaipayana Vyasa, der der Legende nach den Inhalt von Gott Ganesha in einer Vision übermittelt bekam. Später soll er die Texte an seinen Sohn und Schüler Vaishyampayana weitergegeben haben. Anfangs war das Mahabharata eine kurze Ballade in Prosaform. Im Verlaufe der Jahrhunderte wurde es ständig erweitert. Die letzten Verse wurden um das Jahr 500 n. Chr. eingeführt. Es existiert jedoch keine Standartversion. Neben den bekannten weit verbreiteten nordindischen und südindischen Versionen gibt es noch etliche weitere lokale Varianten. Die Anzahl der Versionen wird auf 1300 geschätzt. Selbst innerhalb einzelner Versionen trifft man oft auf widersprüchliche Doktrinen, denen verschiedene Quellen aus unterschiedlichen Epochen zugrunde liegen.

      Der Name Mahabharata bezieht sich auf die Bharathas- die Nachkommen des Königs Bharatha. Mahabharata bedeutet auch „Großindien“. Bharat (avarsha) war der alte Name Indiens und wird heute offiziell für den Staat Indien benutzt.

      Das Epos besteht aus achtzehn Büchern (paria) und einen Anhang (khila).

      Die Rahmenhandlung bildet die große Schlacht zweier verfeindeter königlicher Großfamilie, den Kauravas und den Pandavas im Königreich Kuru (Kuruksaetra, heutiges Delhi): König Bharata hatte zwei Söhne, Dhritarashtra und Pandu. Wie so oft in der Geschichte der Menschheit war auch hier der Auslöser für den Kampf die Aufteilung des Königreichs. Der ältere Königsohn Dhritarashtra war blind und durfte der Sitte wegen nicht regieren, obwohl er der rechtmäßige König gewesen wäre. Der Herrscher beschloss, den jüngeren Sohn Pandu zunächst zum Regenten zu erklären. Dieser wollte jedoch nicht König werden, sondern entschied sich für ein Leben in der Einsiedelei. Daraufhin wurde doch Dhritarashtra als König eingesetzt. Er bekam 100 Söhne, die allesamt den Bösen anheim fielen. Nach der Zeit des Eremitendaseins heiratete Pandu und bekam fünf Söhne, die alle edel und gut wurden. Nun sollten Pandavas, seine Nachkommen, das land regieren, bzw. der der älteste Sohn der Pandavas, Yudhishthira, doch die Söhne des blinden Königs, die Kauravas, verschwörten sich gegen sie. Aus Bedrängnis verließen die Pandavas zunächst das Reich und wurden Söldner an anderen königlichen Höfen. Nach einiger Zeit kamen sie jedoch zurück und fochten mit den Kauravas eine gewaltige Schlacht aus, die nach achtzehn Tagen zu ihren Gunsten entschieden wurde. Die Pandavas stehen somit für Dharma, die religiöse Rechtschaffenheit, die Kauravas Familie Adharma, das Böse und Unrechte.

      Ein Hauptkapitel des Mahabharata ist die berühmte Bhagavad Gita(Lied Gottes). Hier wird von Krishna erzählt, der Arjuna, dem Befehlshaber der Pandava Armee, als göttlicher Ratgeber erscheint. Am Vorabend des Gefechts wird Arjuna von Zweifeln befallen, da er nicht gegen seine Verwandten kämpfen möchte. In dieser Situation belehrt ihn Krishna über die Unsterblichkeit der Seele und die Aufgabe, sein dharma, seine heilige Pflicht, zu erfüllen.

      Die Lehrrede Krishnas berührt fast alle Fragen des menschlichen Lebens. Dem Menschen werden drei gleichberechtigte Wege aufgezeigt, auf denen er sich verwirklichen soll- intellektuellen (jnana- Weg des Wissens), im emotionalen (bhakti- Weg der Liebe) und im praktischen (karma- Weg der guten Taten).

      Die Haupthandlung des Mahabharata enthält zahlreiche Geschichten von Göttern, Helden und heiligen sowie dem ewigen Kampf zwischen guten und bösen Mächten. Das Epos ist nicht nur voll von schrecklichen Schlachten, sondern auch reich an menschlicher Dramatik, tiefen Pathos, tragischen Begegnungen und dem Bewusstsein von einem unentrinnbaren Schicksal. In den klassischen Konflikten sind zahlreiche Nebenhandlungen um Liebe, Hass und Intrigen eingeflochten, so dass dieses Epos als Vorläufer für den Plot eines typischen Hindifilms gelten kann.

      RAMAYANA ( Die Geschehnisse um Rama)

      Das Ramayana ist neben dem Mahabharata das beliebteste und zweitgrößte Epos. Nicht nur Inder, sondern auch andere Asiaten wie Thais, Indonesier und Malaysier kennen die darin enthaltenen Abenteuer auswendig.

      Angeblich ist die legendäre Weise Valmiki, eine Zeitzeuge, der die Helden persönlich gekannt haben soll, der Verfasser des Werkes. Er erwähnt sich selbst im Epos als teilnehmende Beobachter. Eigentlich war er vor seinem Autorendasein ein Räuber, dem dann eines Tages das Glück zuteil wurde, von Hindu- Heiligen Narada auf den Pfad der Tugend zurückgeführt zu werden. Der heilige hatte in Valmiki das Talent zum Poeten zutage gefördert.

      Wie auch schon beim Mahabharata existieren von Ramayana unterschiedliche Versionen. Das Epos ist in sieben Teile (kanda) unterteilt, besteht aus 24.000 vierzeiligen Versen und soll etwa um 5000 v. Chr. in Nordindien entstanden sein. Thema ist wie im Bruderepos der Konflikt zwischen den Göttern und Dämonen: Der kinderlose König von Ayodhaya fleht die Götter an, ihm doch einen Sohn zu schenken. Daraufhin bringt seine Frau einen Jungen zur Welt, den sie Rama nennen. Bald stirbt die Mutter, und der König nimmt sich eine andere Gattin. Als Rama alt genug ist, heiratet er die Königstochter Sita von Videha und wird von seinem Vater zum Nachfolger erwähnt. Doch seine neidische, böse Stiefmutter will, dass sein Stiefbruder statt ihm den Thron einnimmt. Infolge von Intrigen wird Rama vierzehn Jahre lang vom Hof verbannt. Er zieht mit seiner Frau Sita und seinem jüngeren Bruder Lakshmana in die Wälder. Eines Tages wird Sita vom Dämonenkönig Ravana nach (Sri) Lanka entführt. In dieser Geschichte erfährt man, dass Rama eigentlich die menschliche Verkörperung des Gottes Vishnu ist, der wieder auf die Welt kam, um den Dämonenkönig zu stürzen. Die bösen Mächte hatten überhand genommen, und Vishnu wollte das Gleichgewicht herstellen. Nach vielen spannenden Abenteuern und mit Hilfe des fliegenden Affenkönigs Sygriva, dem treuen Affengott Hanuman und seinem Affengefolge werden Ravana und das Dämonenheer besiegt und Sita befreit. Doch nach diesem Ereignis zweifelt Rama ständig an Sitas Körperlichen Unschuld und an ihre Treue. Obwohl sie sich als Gegenbeweis einer Feuerprobe auf dem Scheiterhaufen unterzieht und der Feuergott Agni sich weigert, sie zu verbrennen, da sie unschuldig ist, verbannt Rama sie aus seinem Reich. Sie findet Zuflucht bei dem Schreiber Valmiki. Fünfzehn Jahre später begegnet Rama während eines Pferdeopfers einem Zwillingspaar und erkennt in ihren Gesichtern sein Ebenbild. Er bereut die Behandlung seiner Frau und ruft sie nach Ayodhya zurück. Sita beteuert nochmals Ihrer Unschuld und bittet dann Mutter Erde, sie wieder in ihren Schoß aufzunehmen. Der Legende nach ist Sita die Tochter der Erde, die einst beim Pflügen einer Erdscholle erschien. Die Erde öffnet sich und verschluckt Sita. Rama kann den Verlust nicht verkraften und folgt ihr in die Tiefen des Flusses Sarayu, wo sie heute vereint sind.

      Rama rief im Verlaufe dieser Geschichte zur Gestalt des Purushottama (vollkommener Mensch) heran. Er gilt als Idealbild des gehorsamen Sohnes und des treuen Ehemannes. Seine Frau Sita steht für das Ideal der getreuen Ehefrau. Sie wird als Göttin der Landwirtschaft verehrt. Ram Leela (Geschichten von Ram) ist ein sehr beliebter Filmstoff, der immer wieder neu variiert wird.

      DIE HINDUISTISCHE HAUPTGÖTTER

      Die hinduistischen Gottheiten sind fast so zahlreich wie die Sterne im Firmament. Indologen schätzen eine Gesamtzahl von 330 Millionen Gottheiten. Sie verkörpern bestimmte Eigenschaften des kosmischen Bewusstseins. In keiner anderen Religion gibt es so viele Feste und Zeremonien, die zu Ehren der Götter gefeiert werden, wie im Hinduismus. Der Hindu sucht im Gegensatz zum Christen oder Moslems die Gottesbegegnungen meist nicht in der Stille, sondern in orgiastischen Festen mit viel Tanz und Lärm. Die folgenden sieben wichtigsten Gottheiten begegnen einen immer wieder:



      Brahman ist die Urkraft und ewige Quelle aller Existenz. Sie manifestieren sich durch das Dharma (ewige Ordnung) und bewirken den ewigen Kreislauf von Entstehen und Vergehen. (Nicht zu verwechseln mit Brahma, dem Schöpfergott, sein Name wurde von Brahman abgeleitet.) Brahman hat im Gegensatz zu allen anderen Göttern keine Attribute. Eine aktive Rolle spielt er nur bei der Schöpfung des Universums. Den Rest der zeit verbringt er mit Meditation. Er besitzt vier gekrönte Köpfe, die in die vier Himmelsrichtungen zeigen. Meist reitet er auf einem Schwan oder meditiert auf einem Lotus. In seinen Vier Händen hält er die vier Veden. Seine Gemahlin ist Saraswati, die Göttin des Lernens.



      Vishnu (Bewahrer des Universums) schützt und stützt das Gute in der Welt. Seine Gemahlin ist Lakshimi, die Göttin der Schönheit und des Schicksals. Gewöhnlich wird Vishnu mit mit vier Armen abgebildet, in denen er jeweils einen Lotus, eine Muschelschale, einen Diskus und einen Amtsstab hält. Gemäß der Mythologie hat er sich neunmal auf Erden in verschiedene Formen inkarniert, z.B. als Matsya (Fisch), Krishna, Rama (siehe auch RAMAYANA Epos) und Buddha. Alle Götter sind aus ihm erschaffen, auch Shiva, sein Gegenstück. Die hinduistische Dreifaltigkeit Trimurti lautet: Brahma- Vishnu- Shiva. Alle anderen Götter sind Aspekte von Vishnu.



      Shiva ist der Zerstörer und Erneuerer aller dinge und der Gott, der über die Zeit herrscht. Ohne ihn hätte die Schöpfung nicht geschehen können. Mit 1008 Namen nimmt Shiva viele Formen an, z.B. als Vorkämpfer für die Tiere (Pashupati) und Herr des Tanzes (Nataraja). Dargestellt wird er meist als Asket mit verfilztem Haar und einem nackten, mit Asche verschmierten Körper. Auf seiner Stirn leuchtet ein drittes Auge als Symbol für Weisheit, in seiner Hand hält er einen Dreizack (Trishula, Symbol für die drei Zeiten: Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft) als Waffe. Sein Gemahlin ist Parvati, die viele Formen annehmen kann. Wegen seiner Großzügigkeit und Ehrfurcht gegenüber Parvati sehen indische Frauen Shiva als ideales Vorbild für einen Ehemann an.


      Krishna und Radha

      Krishna kämpft für das Wohl auf Erden. Er ist der meist verehrte Gott in Indien. Sein Name bedeutet „schwarz“ und er wird als blauhäutiger Kuhhirte mit Flöte dargestellt, der eine Vorliebe für Milchmädchen hat. Der sinnesfreudige Gott soll insgesamt 16.108 Ehefrauen haben, mit denen er 180.008 Söhne gezeugt hat. Deshalb wird er auch Kanhaiya (Liebhaber von Jungfrauen) genannt. Er gilt als loyal und großzügig und ist bei den indischen Frauen äußerst beliebt. Seine Romanze mit den gosip (Milchmädchen) und seine leidenschaftliche Liebe zu Radha (bekanntestes Milchmädchen) haben Künstler zu zahllosen Bildern, Liedern und Filmen inspiriert.



      Hanuman, der Affengott, ist auch ein Held des Ramayana Epos und ein loyaler Verbündeter von König Rama, mit dem er gegen Dämonen kämpft.



      Ganesha ist der Sohn von Shiva und Parvati und trägt einen Elefantenkopf. Er ist der Beseitiger von Hindernissen, Schutzheiliger der Schreiber und Gott der Weisheit.

      Jeder männlichen Gottheit wird eine Göttin (Shakti, weibliche Energie) zugeordnet, die ihm dazu verhilft, seine Energie zu entfalten. Shivas Gemahlin Parvati ist eine andere Verkörperung der Göttinnen Devi und Durga. Sie symbolisiert in diesen Göttergestalten die gütige göttliche Seite. Parvati tritt aber auch als Göttin Kali in Erscheinung und verkörpert in ihr den blutrünstigen zerstörerischen Aspekt.

      Viele der hier genannten Gottheiten kann man immer wieder in den Kulissen der Bollywoodfilme sehen. Im Hinduismus entstehen kurioserweise immer wieder neue Gottheiten, wofür zeitweise auch indische Filme mitverantwortlich sind. In dem Telugufilm „Santhoshi Mata Vratha Mahatyam“(1983) wurde beispielsweise eine Götterfigur namens Santhoshi Mata geschaffen. Die Figur erläutert in diesem Film, sie würde vom Götterpaar Shiva und Parvati abstammen. Sie nahm für sich eine Genealogie in Anspruch, die es eigentlich nicht gab, und wurde tatsächlich von der indischen Bevölkerung in den Pantheon als eine veritable Göttin integriert, obwohl sie in den heiligen Schriften keine Grundlage besitzt. Menschen wenden sich seit diesem Film an sie, um Erfolg und Wohlstand in der modernen städtischen Welt zu erhalten. Zu ihren Ehren fasten ihre Anhänger jeden Freitag.

      Die meisten Hindus sind Laien bzw. Analphabeten und der gelehrten Schriften nicht kundig- daher ist es für sie einfacher, göttliche Symbole zu verehren. Es ist üblich, dass jeder Hindu sich eine Lieblingsgottheit auswählt. Beeinflusst wird die Auswahl der Lieblingsgötter von lokalen Traditionen, d.h. Götter, denen im Norden gehuldigt wird, sind oft im Süden nicht bekannt bzw. mit anderem Namen versehen. Ebenfalls ist es üblich, neben dem Lieblingsgott eine Gottheit anzurufen, die nur für bestimmte Situationen zuständig ist, z.B. betet ein eigentlicher Anhänger Krishnas bei Geldmangel zur Göttin Lakshimi.

      Jeder Hindu- Tempel ist einer Gottheit geweiht, es ist ein Ort der besonderen Kräfte, deswegen werden dort Heilungen und Geisteraustreibungen vorgenommen. Der Tempel zählt für Hindus zum Mittelpunkt des Lebens. Ein weiteres Merkmal für die Wichtigkeit der Religion ist der Brauch, Orte nach Göttern zu benennen, wie Ganeshpur (Stadt des Ganesha) oder auch Kalkota nach der Göttin Kali. Ebenso werden viele Kinder nach Göttern benannt- wie Sita, Radha, Parvati, Ram oder Krishna. Durch das Rufen und Hören des göttlichen Namens sollen göttliche Eigenschaften in den Hörer und Rufer übergehen und ihm ermahnen, sich dem Göttlichen zuzuwenden.

      Hindugötter sind im modernen Indien jetzt sogar Stars von Seifenopern. Auf dem staatlichen Fernsehnkanals Door Dashan läuft mit großer Beliebtheit eine Serie mit Geschichten aus Mahabharata. Selbst die Werbung macht vor ihnen nicht Halt. Von riesigen Plakaten strahlt uns ihr Lächeln entgegen mit dem Slogan: „Shiva verkauft am Besten“ (Mumbai Public Relation).

      Dass die Religion jeden Aspekt indischen Lebens durchdringt, sieht man gleichsam an den zahlreichen Pujas (religiöse Zeremonien), die tagtäglich abgehalten werden, um Unglück fernzuhalten. Jede Familie hat in ihrem Haus einen Altar mit Götterfiguren, vor den sie allmorgendlich ihre Opfergaben stellt. Familienmitglieder werden vor dem Verlassen des Hauses gesegnet, und selbst die Filmindustrie lässt vor jedem Drehbeginn eines neuen Films das „Mahurat“, eine religiöse Segenszeremonie, durchführen. Auf diese Weise soll das Filmteam geschützt und der Film ein Erfolg werden. Während der Shradh- Periode (vergleichbar mit Allerheiligen, man gedenkt der Toten und Ahnen) lassen Produzenten ihre Filme nicht anlaufen. Bei den Dreharbeiten tragen viele Schauspieler Glücksbringer wie Schlangen oder Ringe mit sich, und einige Maskenbildner machen ein Tikka (roten Punkt) auf den Spiegel, ehe sie mit dem Make up beginnen. Und wenn man fragt, weswegen so viele Filme den Buchstaben K im Filmtitel haben, dann bekommt man zur Antwort, dass dieser Buchstabe besonders energiereich und vital sei.


      DAS KASTENSYSTEM

      Ein weiterer Teil des Hinduismus ist das Kastenwesen. Die Bedeutung des Kastensystems in Bezug auf indische Filme ist wichtig, weil viele Werke der indischen Filmgeschichte sich bis heute mit diesem Thema auseinandersetzen. Das zeigt vor allem Stoff „Devdas“, der zwischen 1928 und 2002 immer wieder verfilmt wurde und der Liebesgeschichte eines Paares handelt, das aufgrund des Kastengebots nicht zusammen leben darf. Auch der für den Oscar nominierte Film „Lagaan“ (2001) zeigt die Ausgrenzung Kastenloser (Unberührbarer) aus der indischen Gesellschaft.
      Die Wurzeln des Kastenwesens lassen sich bis ins zweite vorchristliche Jahrtausend zurückverfolgen. Etwa 2000 bis 1500 v. Chr. tauchten die ersten Aryer (Arier, die Edlen) auf und wanderten in mehreren Invasionswellen über den Hindukusch ein. Dort unterwarfen und verdrängten sie einheimische Drawiden sowie Dasas (Indonegride). Die Aryer (so nannte sie sich selbst) waren halbnomadisierende, Rinder züchtende Stämme und kamen ursprünglich aus Zentralasien. Ihr frühes Eindringen kann man als das folgenschwerste Ereignis der indischen Geschichte betrachten, denn es hat die weitere Entwicklung Indiens am nachhaltigsten bestimmt und kulturell geprägt. Die Gesellschaft dieser Siegerstämme war schon vor der Invasion in „Kategorien“ unterteilt: in Brahmanen (Priester), Kshatra (Kriegsadel) sowie Vish (die gewöhnlichen Stammesangehörigen), die Viehzucht und Ackerbau betrieben. In Versammlungen wurde die Macht des Sabha (König) kontrolliert. Zunächst nahmen die adligen Krieger den höchsten Rang ein. Doch bald kam es zum Streit zwischen Adel und Priestern, bei dem sich letztendlich die Brahmanen durchsetzten. Da die Aryer die Drawiden besiegten und sich aufgrund ihrer helleren Hautfarbe als nobler und privilegierter betrachteten, erfolgte die Einteilung nach varna (Farbe). Erst die Portugiesen führten, als sie im 16. Jahrhundert nach Indien kamen, den geläufigen Begriff castas (Clan, Familie) ein, als sie bemerkten, dass die indische Gesellschaft in zahlreiche Gruppen aufgesplittert war.
      Mit fortschreitender Arbeitsteilung entwickelte sich das Kastenwesen. Anfangs bezeichneten die Kasten unterschiedliche Berufsgruppen, zwischen denen man wechseln konnte. Später wurde Kastenzugehörigkeit erblich. Die Kastenhöheren wollten die niederen Stände vom Landbesitz ausschließen, um sich ihrer Arbeitskraft bemächtigen zu können.
      Erst allmählich bildete sich das klassische, gegenwärtig bekannte Kastensystem mit seinen vier Hauptkasten heraus: Zuoberst standen die Brahmanen (Priester und Gelehrte), gefolgt von den Kshatriyas (Krieger), den Vaishyas (Händler und Bauern) und zuunterst die Shudras (Arbeiter und Untertanen). Die Brahmanen begründeten diese Einteilung der Menschenklassen mit dem Mythos von der Opferung des Urriesen Purusa, der in der Rigveda der ältesten Sammlung der Veden, begründet liegt (x, 90,12): „Zum Brahmanen ist sein Mund geworden, die Arme zum Krieger sind gemacht, der Händler aus Schenkeln, aus den Füßen der Knecht damals ward hervorgebracht…
      In diesem Text findet sich noch nicht die scharfe Abgrenzung zwischen den Kasten, die eine Heirat verschiedener Kastenangehörige und seine Kastenwechsel ausschließt.
      Ab etwa 800 v. Chr. spielte der Opferkult eine immer stärkere Rolle in der Religionsausübung. Wo früher noch Opfer in Häusern und Opferstätten stattfanden, begannen die Brahmanen mit dem Tempelbau und komplexen, undurchschaubaren Riten, um ihre Vorrangstellung immer weiter aufzubauen. Man ging sogar so weit zu glauben, dass nur die Priester und ihre Opferhandlungen die Gunst der Götter beeinflussen konnten. In dieser Zeit entstanden die Gesetzestexte von Manu (manusmrti). Die Brahmanen bekämpften die Kastenmischung und hielten sie für den Ursprung allen Übels. Deshalb verfassten sie das Gesetzbuch des Manu, eine Offenbarung einer göttlichen Wesenheit, die der Stammvater der Menschheit sein soll. Dieses Gesetzbuch wurde zum Fundament für die gesellschaftliche und religiöse Welt der Hindus, das erste und wichtigste Werk der nachvedischen Überlieferung (smrti). Erstaunlicherweise setzt sich das Gesetzbuch Manus mit seinem Kastenrigorismus erst ab dem so genannten indischen Mittelalter 400 v. Chr. durch. Laut diesem Gesetzbuch wird Heirat ebenso vorherbestimmt wie Berufswahl und Sozialprestige des Individuums. Ganz im Zentrum steht dabei die Vorstellung der rituellen Reinheit. Unrein macht jetzt schon die körperliche Berührung mit niederen Kasten, noch mehr gemeinsames Essen und erst recht Sexualverkehr. Jegliche Unreinheit zwingt, sofern überhaupt möglich, zur angemessenen Reinigung. Um die Reinheit der einzelnen Kasten zu erhalten, haben die Brahmanen unzählige Vorschriften entwickelt: Gebote, Verbote, Reinigungsriten, Exkommunikation.
      Der Ursprung der Klassengesellschaft lag in der Sorge der Aryer, sich mit dem dunklen Ureinwohner zu vermischen. Der Dunkelhäutige sollte isoliert und dienstbar gemacht werden. Es entstand die Gruppe der so genannten Kastenlosen, der Unberührbaren und Ausgestoßenen, dalits oder harijan (Kinder Gottes, wie Gandhi sie nannte). Nach Manu sollten ihr Besitz Hund Esel sein, ihre Kleider die Gewänder der Toten.
      Bemerkenswert ist, dass selbst unter den Unberührbaren diese Struktur von Hierarchien fortgesetzt wurde, d.h. auch Harijans unterscheiden nochmals zwischen Unberührbaren und Unberührbarsten, abhängig vom Wohnort und vom Umgang mit bestimmten Materialien. Der Unberührbare darf noch die Straße fegen, wohingegen der Unberührbarste für Beseitigung von Abfall, Kadavern und Exkrementen zuständig ist.
      Noch heute hegen Inder einen ausgeprägten Hautfarbenkomplex: Personen mit dunkler Hautfarbe haben weniger Chancen auf dem Heiratsmarkt oder sie werden mitleidig belächelt. Hautcremes, die den Teint europäisch hell bleichen, erfreuen sich bei indischen Frauen großer Beliebtheit. Das Leben in heutigen Hindugesellschaft, vor allem das auf dem Land, ist stärker reglementiert, als es etwa vor 2000 Jahren der Fall war.
      Im Laufe der Generation bildeten sich die jati (Unterkasten), die so genannten Berufs-/ Interessengruppen, von denen es ca. 25.000 gibt. Die genaue Zahl ist kaum feststellbar, da stetig neue gebildet werden, andere hingegen aussterben. Diese Unterkasten sind von Region zu Region wiederum nochmals unterteilt. Selbst viele Inder sind nicht mehr in der Lage, das komplizierte Hierarchiesystem der Kasten zu durchblicken. Das Kastensystem lässt sich nicht durch einen Religionswechsel aufheben. Es gibt trotz der Konvertierung zum Christentum immer noch Brahmanen- Christen und Shudra- Christen, die untereinander nicht heiraten würden, selbst indische Muslime haben eine Art Kastensystem beibehalten.
      Die genaue Kastenzugehörigkeit ist einem Inder normalerweise nicht anzusehen. Man erkennt die Zugehörigkeit zu Kaste und Religion meist am Nachnamen, Herr Biswas z.B. wäre ein bengalischer Shudra, Frau Chatterjee eine bengalische Brahmanin, Herr Gandhi ein Vaishja aus Gujarat und Herr Nehru ein Brahmane aus dem Kashmir.
      Es gibt auch Familiennamen, die Kastengrenzen überschreiten und deren Träger nicht unbedingt eingeordnet werden können, wie ein Herr Patel, Desai oder Malik, oder eine Frau Metha oder Chaudhuri. Viele Nordinder, die in Thailand oder anderen asiatischen Länder leben, haben ein clevere Lösung gefunden, ihren niederen Kastenstatus zu verschleiern. Sie haben kurzerhand ihre Namen geändert, d.h. vorher hießen sie Yadav (Mitglieder der Shudra- Kaste) und jetzt heißen sie Dudey oder Pandey, Name eines Brahmanen. Auch in den Hindifilmen spielen die Namen der Helden oder Heldinnen für die indischen Zuschauer eine wichtige Rolle. Sie geben ihnen Informationen über sozialen Status und Religionszugehörigkeit. Beispielsweise weist der Vorname Amar auf einen Hindu hin, Akbar auf einen Moslem und Anthony auf einen Christen. Sharma beispielsweise weist auf de Status eines Brahmanen hin, Khan auf einen Moslem und Singh auf einen Sikh.
      Offiziell wurde 1947 mit der Unabhängigkeit Indiens ein Kastenverbot ausgesprochen, d.h. die Gleichheit aller indischen Bürger wurde gesetzlich verankert. Jeder Bürger soll prinzipiell freien Zugang zu allen gesellschaftlichen Institution haben. Quotenregelungen sollen den Kastenlosen seit dem ebenfalls den Zugang zu staatlichen Arbeitsplätzen garantieren.
      In den heutigen Städten Indiens, in die immer mehr Menschen strömen, verwischen sich zunehmend die Kastengrenzen wegen des engeren Kontakts in der Arbeitswelt. Besitz, Einkommen und Ausbildung entscheiden immer mehr über Einordnung und Bewertung des Einzelnen. Das Ansehen kann sich immer weniger auf rituelle Privilegien und den angeborenen Status berufen; es muss vielmehr in einem konkurrierenden Besitz- und Leistungssystem erworben werden. Durch Arbeitslosigkeit verändern sich Verhältnisse. Heute kann eine Brahmane in Armut leben oder als Koch, Wäscher oder Fremdenführer seinen Unterhalt verdienen, während Mitglieder unterer Kasten wie die Vaishyas (Kaufleute/ Händler) im Allgemeinen wirtschaftlich am besten situiert sind. Ein Angehöriger der Dhobis (Kaste der Wäscher) kann dagegen im Börsen- oder Immobiliengeschäft Erfolg haben.


      THEATERKULTUR

      Das indische Kino wurde nicht nur von der Mythologie, sondern auch von den Theatertraditionen des klassischen Sanskrit-Dramas, dem Volks- und Parsi Theater beeinflusst. Bevor der Film in Indien aufkam, gab es dort eine reiche Theaterkultur. In Mumbai, dem Zentrum des Theaterlebens, gab es etwa 20 Bühnen. Die Premieren waren Monate vorher ausverkauft, und ganze Familien reisten tagelang aus der Provinz nach Mumbai oder in andere Großstädte, um eine Vorstellung zu erleben. Alle Vorstellungen waren mit Gebet, Gesängen und Tanz versehen und Dauerten vier bis fünf Stunden. Das Publikum wollte etwas für sein Geld geboten bekommen. Indien hat eine Dramentradition, die bis in die Zeit um 100 v. Chr. zurückgeht.
      Die Struktur sowohl des indischen Theaters als auch des indischen Films basiert auf dem „Heiligen Buch der Dramaturgie“, das zwischen 200 v. Chr. und 200 n. Chr. entstanden sein soll. Es ist die ästhetische lehre von den Gemütsstimmungen. Nach der Legende hat Brahma, der Schöpfergott, das Buch höchstpersönlich verfasst.
      In diesem Buch bittet der Gott Indra (Vishnu) den Brahma um eine Unterhaltungsform, die gleichzeitig hörbar und sichtbar sein soll und allem Menschen gemeinsam sein könnte (die vier Veden sind den niedrigen Kasten verwehrt). Daraufhin schuf Brahma Natyaveda, das heilige Buch der Dramaturgie, indem er den vier Veden die vier Elemente: Sprache, Gesang, Tanz und Mienenspiel entnahm. Der Brahmane Bharat Muni, der „große Weise“, der den Menschen nun den neuen Veda lehrte, bestimmte, dass das Drama eine Darstellung der verschiedenen Emotionen sein sollte. Es solle unterschiedliche Situationen widerspiegeln und allen Menschen Mut, Unterhaltung, Glück und Rat geben. Im Einklang mit der hinduistischen Lebensauffassung wurde als letzte Regel das Happy End hinzugefügt, nach dem ein Drama nicht mit der Niederlage oder dem Tod des Helden enden soll und alle Konflikte harmonisch gelöst werden sollen. Diese indische Grundlehre steht im völligen Kontrast zur westlichen Theatertradition, die auf Aristoteles Poetik und dem griechischen Drama basiert. In der griechischen Tragödie wird menschliches Elend reflektiert, und der Held ist dem Untergang geweiht. Im Hindu- Drama hingegen triumphiert der Held über alle Widrigkeiten. Die grundlegenden Elemente im Buch der Heiligen Dramaturgie sind Bhava (Gefühle) und Rasa (Rasa bedeutet wörtlich: „Saft“ oder „das, was schmeckt und genossen wird“). Die wichtigsten neun Rasas sollen die Handlung und den Inhalt des Stücks beherrschen und einfühlsam und kunstvoll menschliche Gefühle reflektieren.
      Bharat Muni unterschied dabei zwischen neun beständigen Rasas: Sringara (Eros/ Liebe), Rudra (Zorn), Veera (Heldentum), Bibhatsa (Ekel), Hasya (Komik), Karuna (Kummer/ Trauer), Adbhuta (Staunen), Bhaya (Furcht) und Shanta (Friedvolles). Die Rasas sind das Schlüsselkonzepte der klassischen indischen Ästhetik und bilden das Zentrum der Drama- Erzählstruktur.
      Diese Rasa- Theorie ist gattungsübergreifend. Damit wird deutlich, dass man Hindifilme nicht wie Hollywoodfilme exakt nach Genres klassifizieren kann. Es werden immer verschiedene Rasas in die Handlungsstränge eingeflochten. Die indischen Zuschauer legen sehr großen Wert auf Darstellung von Gefühlen und zwischenmenschlichen Beziehungen. Sie wollen im Theater wie auch im Film innerlich berührt werden- indisches Kino ist emotionales Kino.


      Das Sanskrit-Drama

      Das Sanskrit-Drama ist die älteste Form des klassischen Theaters in Indien. Es entstand etwa 100 v. Chr. und wurde in zwei Aufführungskategorien unterteilt. Eine Darbietung sollte zu Ehren der Götter in den Tempel stattfinden, die andere zum Vergnügen der Menschen. Bei den religiösen Vorführungen wurden Adaptionen der Epen und religiöse Ereignisse in Sanskrit dargeboten. Die zur Unterhaltung gedachten Veranstaltungen wurden in einer Sprachmischung von Sanskrit und regionaler Volkssprache aufgeführt. Der Beginn jedes Schauspiels wurde von einem Gebet eingeleitet. Themen der Dramen basierten auf mythologischen Ereignissen. Diese Geschichten wurden in Form von Prosapassagen und Gedichten gesungen oder melodisch rezitiert. Unterbrochen wurde der Ablauf durch Musik und Tanzeinlagen. Figuren der Geschichten waren Helden, Götter, Schurken und Dämonen sowie ein obligatorischer Vidushaka (Spaßmacher). Ein Akt eines Sanskrit- Stückes konnte bis zu 41 Nächte dauern. Jede Aufführung wurde von Trommeln und Zimbeln rhythmisch begleitet. Prächtige Kostüme und Schminkmasken waren das Erkennungsmerkmal der verschiedenen Charaktere. Die Blütezeit des Sanskrit-Dramas endete 1000 n. Chr. Es wurde mehr und mehr vom klassisch regionalen indischen Volkstheater abgelöst.


      Die Volkstheater

      Die klassischen Volkstheater übernahmen bald die Rolle des Sanskrit-Dramas. Im Zentrum standen Melodramen mit farbenprächtigen Gesang- und Tanzvorstellungen in jeweiligen Regionalsprachen. Die ehemaligen Sanskrit- Stücke wurden popularisiert und vereinfacht, so dass auch das gewöhnliche Volk sie ohne große Erklärungen verstehen konnte.
      Das Volkstheater schöpfte nicht wie das Sanskrit-Drama ausschließlich aus dem Fundus der Epen und Heiligen Schriften, es bezog weitere Anregungen aus aktuellen politischen und gesellschaftlichen Themen und Ereignissen. Die Figuren des Volkstheaters waren gegenüber dem Vorgänger realistischer, sie verhielten sich natürlicher und weniger stilisiert.
      Es war eine interaktive Performance. Die Zuschauer nahmen am Bühnengeschehen aktiv teil und gaben Kommentare ab, wenn sie von den Darstellern angesprochen wurden. Die Aufführungen fanden nicht im Tempel, sondern unter freiem Himmel statt.


      Das Parsi- Theater

      Anfang des 19. Jahrhunderts entstand in Mumbai das Parsi- Theater, das von den Parsen (Persern) gegründet und entwickelt wurde. Ihre Vorfahren flohen im 10. Jahrhundert aus ihrer Heimat (heutiger Iran) vor dem Ansturm des Islam an die Westküste Indiens, von wo aus sie sich später in weitere Regionen verbreiteten. Die Parsen sind Anhänger der einst mächtigenreligiösen Gemeinschaft der Zoroastrier, die früher im Iran und Irak herrschten. Sie bezeichnen sich selbst als Zaradushti nach ihrem Religionsstifter Zaradusht (altpersisch: Zarathustra), einem der frühesten Propheten in der Menschheitsgeschichte. Ihre Religion ist dualistischer Natur, das Gute und das Böse sind in einen ununterbrochenen Kampf miteinander verwickelt, wobei das Gute immer triumphiert. In dieser Hinsicht sind sich die hinduistische Religion und der Zoroastrimus nicht fremd.
      In der Zeit der britischen Herrschaft waren viele Parsen im Handel und im kaufmännischen Bereich tätig. Sie investierten ihre Gewinne in die Kultur bzw. in die Theaterszene. Auf diese Weise konnten Theaterregisseure und Künstler ohne Geldsorgen schöpferisch tätig sein und viel Innovatives ausprobieren. Das Parsi- Theater absorbierte neben dem eigenen persischen Stil Strukturen und Inhalte des indischen Volkstheaters und des westlichem Theaters (Viktorianisches Theater) und setzte es in einer neuen Form zusammen.
      Viktorianische Theatergruppen, die nach Indien kamen, zeigten Shakespeare und französische Melodramen, die mit Bühneneffekten wie z.B. feuernden Kanonen inszeniert waren. Die Parsi- Ensembles lernten von den Briten ebenfalls die Konstruktion der Dramatik. Romanzen wurden nach folgenden Schema aufgebaut: Ein Paar verliebt sich, Hindernisse und Missverständnisse tauchen auf, und am Ende erfolgt in letzter Minute das kategorische Happy End. Diese Konstruktion ist heute in fasst allen Bollywoodfilmen gang und gebe. Begleitet und untermalt wurden die Theaterstücke mit Musik und Liedern aus der Bhakti- und Sufi- Tradition. Das Parsi- Theater entwickelte sich zu einem Gemisch von Historienspiel, Farce und opernhaftem Drama. Viele Stücke enthielten persische Lyrik, heroische Themen und romantische Liebeslegenden. Auch hieran erkennt man wieder die Parallele zu den Genrefragmenten des späteren Hindifilms.
      Das berühmteste Parsi- Theater war die Elphinstone Dramatic Company in Mumbai, die vor allem historische und soziale Dramen zeigte. Indische Klassiker waren „Kalidasa“ oder „König Shudrada“, aber auch europäische Stücke von Moliere und Sardou. Neben westlichen Adaptionen schrieben Autoren eigene Stücke in Urdu. Die Sprache war damals die „lingua franca“ in den moslemisch bevölkerten Städten Nordindiens und wurde von den meisten Menschen in dieser Region verstanden. Aus dieser Tradition heraus ist es heute noch üblich, die Songs der Bollywoodfilme in Urdu zu verfassen. Viele der ersten indischen Filmemacher waren ebenfalls Perser, wie z.B. die Homi Wadia Brüder, die Stunt- und Actionfilme mit der „Fearless Nadia“ drehten.


      Wie in diesem Kapitel dargelegt wurde, sind die grundlegenden Elemente des indischen Kinos in der Religion und der Kultur begründet. Das Medium Kino eignete sich mehr als jede andere indische Kunstgattung, um Mythologie und Religion lebendig und plastisch darzustellen und Bekanntes neu zu illustrieren. Ausgehend von der Religion wurde das Kino selbst zu einer Art Religion. Indische Familien gingen in ihrer besten Kleidung und mit großer Erwartungshaltung in die Filmvorführungen. Es herrschte eine Art Pilgertum, denn sie schauten etwas an, das sie schon seit langem kannten und das ihnen vertraut war. Aus diesem Grund nahm das Kino eine andere Entwicklung und hatte einen anderen Stellenwert als bei uns im Westen.
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      DIE ENTSTEHUNG DER INDISCHEN FILMINDUSTRIE

      DAS KINO KOMMT NACH INDIEN

      Am 7. Juli 1896 erschien in der „Times of India“ eine Anzeige, die alle Bewohner Mumbais zum unbedeutenden Eintrittspreis von einer Rupie in das Watson Hotel einlud, um das „Wunder des Jahrhunderts“ zu bestaunen. Maurice Sestier, ein Abgesandter der „Gebrüder Lumiere Expedition“, präsentierte in Mumbai an jenem Tag zu vier verschiedenen Terminen den Kinematographen sowie sechs Kurzfilme, wie „The Arrival of a Train“, „Watering the Garden“ oder „Leaving the Factory“. Der Kurzfilm „Arrival of a Train“ zeigte einen in den Bahnhof einrollenden Zug und wirkte derart plastisch und unheimlich, dass die Zuschauer den Eindruck hatten, der Zug würde direkt auf sie zu Fahren. Während in anderen Ländern diese Szene Panik auslöste und die Menschen aus dem Kino rannten, blieben die Zuschauer in Indien gelassen. Die Ursache hierfür lag daran, dass das indische Publikum es bereits gewohnt war, bei Theatervorstellungen solche illusorische Darbietungen zu sehen. In diesen Vorführungen wurden mit bemalten Glasbildern und speziellen Laternen optisch bewegliche Trugbilder erzeugt.
      Weitere Aufführungen des Kinematogrphen erfolgten am 14. Juli im „Novelty Theatre“. Eigentlich waren nur drei Tage für die Präsentation vorgesehen, weil die Expedition noch andere Länder bereisen wollte. Doch der plötzlich eintretende Monsunregen untergrub ihr Vorhaben, und sie blieben zur Freude der Einwohner Mumbais noch eine Weile im Land.
      Ende Juli wurde in der „Times of India“ auf anstehende Preis- und Reservierungsänderungen hingewiesen. Die Preise erhöhten sich und variierten nun zwischen vier Annas und zwei Rupien, und viele Vorführungen waren nur für die Frauen der oberen Gesellschaftsschicht, die so genannte „Purdah-Ladies“, und ihre Familien reserviert. Diesen Frauen war es üblicherweise nicht gestattet auszugehen, da man so die Reinheit der Kasten gewährleisten wollte.


      ERSTE FILMVERSUCHE

      Bevor es Filme mit Ansätzen einer narrativen Handlung gab, beschränkten sich die kinematographischen Darbietungen weitgehend auf die Präsentation von Bewegungsabläufen. Die Kamera verharrte in statischen Einstellungen und filmte alltägliche Begebenheiten ab. Allein der Effekt der bewegten Bilder reichte zunächst aus, um das Publikum in die Vorstellungen zu locken. Als die Produktion von Bewegungen allmählich den Reiz des Neuen verlor, trat der Film verstärkt als Nachrichtenmedium in den Vordergrund. Gefilmt wurden tagespolitische oder sportliche Ereignisse. Viele Produzenten betrachteten diese dokumentarische journalistische bestreben als zentrales Anliegen des neuen Mediums.
      Ein Besucher, den das technische Wunderwerk ebenfalls äußerst beeindruckte, war der indische Fotograf Harischandra S. Bhatvadekar, bekannt als Save Dada. Er bestellte sich nach dem Besuch einer Vorführung gleich eine Kamera aus London und drehte 1899 den ersten indischen Kurzfilm „The Wrestler“, der ein spannendes Tennismatch in den „Hanging Gardens“ von Mumbai zeigt. Save Dada drehte danach noch zwei weitere Kurfilme: 1901 eine Dokumentation über die Auszeichnung eines indischen Studenten an der Londoner Cambridge Universität und 1903 die Krönung von Edward VIII. Da es in Indien noch keine Labore für Filmentwicklung gab, musste er die Negative in London bearbeiten lassen.
      Nachdem diese neue technische Wunder der Gebrüder Lumiere mit solcher Begeisterung in Indien aufgenommen worden war, folgte eine wahre Flut von in- und ausländischen Kurzfilmen, die in Mumbai in provisorisch errichteten Zelten gezeigt wurden.
      Neben den kurzen Dokumentarfilmen war es ebenfalls üblich, Theatervorstellungen abzufilmen, die im Anschluss an das Stück als zusätzliche Attraktion gezeigt wurden. Ein weiterer Vorteil dieser Art Aufzeichnungen war es, die auf Zelluloid festgehaltenen Bühnenstücke in Gegenden zeigen zu können, in denen die Theaterstücke ansonsten nie aufgeführt wurden.
      In den darauf folgenden Jahren wurde man im Ausland mutiger, Engländer und Franzosen fingen an, neben Kurzfilmen auch Spielfilme zu drehen. In Indien waren solche aufwendigen Eigenproduktionen nicht möglich, einerseits aus finanziellen Gründen, andererseits fehlt es an nötigen „Know-how“. Daher bekam das indische Publikum vorwiegend westliche Filme zu sehen, wie „Don Juan“ (1926), „The Sing of the Cross“ (1932) oder „Alice in Wonderland“ (1933). Im ersten Jahrzehnt nach der Erfindung des Kinematographen war Großbritannien neben Frankreich die bedeutendste Filmnation der Welt. Doch leider bestachen diese Filme mehr durch ihre technische Brillanz als durch künstlerische Qualität, weswegen sie bald hinter dem internationalen Standard zurückblieben.
      Das indische Publikum wollte mit der Zeit nicht nur westliche Filme, sondern auch indische Spielfilme sehen, mit vertrauten indischen Gesichtern und Charakteren. Aus diesem Grunde realisierten 1912 der britische Kameramann R. G. Torneys und der indische Regisseur N. G. Chitre eine Art Feature- Film mit dem Titel „Pundalik“, der von der Legende des alten heiligen Mannes Maharashtan handelt. Geschichten (Puranas) aus der Mythologie der beiden Epen Mahabharata und Ramayana sind den meisten Indern vertraut. Von klein an hören sie die abenteuerlichen Legenden von Heiligen und Göttern von ihren Großeltern und Eltern. Daher war es nicht verwunderlich, dass die Mythologie Grundlage für den ersten indischen Spielfilm wurde.


      DADASAHIB PHALKE- VATER DES INDISCHEN KINOS

      Der bekannteste und bedeutendste Pionier, der dieses Werk realisierte, war der aus einer Priesterfamilie stammende Autodidakt und Fotograf Dadasahib Phalke (1870-1944). Tief beeindruckt von dem Film „The Life of Christ“, den er 1910 am Weihnachtsabend im „American Indian Cinema“ in Mumbai sah, hatte er die Vision, einem Film mit indischen Charakteren zu drehen: „Während `Life of Christ´ vor meinen Augen vorüber zog, stellte ich mir die Götter Shri Krishna und Shri Ramachandra bildlich vor. Auf einmal packte mich eine eigenartige Idee. Ich kaufte mir nochmals ein Ticket, um den Film ein zweites Mal zu sehen. Würden wir Söhne Indiens jemals indische Bilder auf der Leinwand sehen können?“
      Nach diesem beeindruckenden Ereignis kündigte Phalke seine Lebensversicherung, lieh sich Geld von einem Freund und fuhr nach London, um sich die nötige Filmausrüstung zu besorgen. Zusätzlich deckte er sich dort mit der nötigen Literatur ein, da es noch keine Lehrer für das Filmhandwerk in Indien gab. Ehe er seinen Traum vom eigenen Film verwirklichen konnte, war es noch viele Hindernisse zu überwinden.
      Nachdem er sich alles aus England besorgt hatte, drehte er mit einer Williamson Kamera den Probefilm „The Birth of a Pea Plant“ (Die Geburt einer Erbsenpflanze). Im Zeitraffer dokumentierte er darin das Pflanzenwachstum einer Erbse. Danach suchte Phalke Kreditgeber für sein Spielfilmprojekt. Yeshwant Nadkarni, ein Händler für Fotoausrüstung, war derart beeindruckt vom dem Trickfilm, dass er Phalke das Geld lieh. Anderen Gläubigern musste Phalkes Ehefrau ihre Juwelen überlassen. Nach vielem Hin und Her bekam er schließlich das notwendige Geld zusammen. Dann suchte er nach geeigneten Schauspielern. Für die weiblichen Rollen musste er Männer nehmen, da es für Frauen aus gutem Hause nicht schicklich war, sich öffentlich vor Männern darzustellen, und auch Prostituierte sich weigerten, in dem Film mitzuspielen. Die Rolle der Königin Taramati in Phalkes Film „Raja Harishchandra“ (König Harishchandra, 1913) übernahm sein feingliedriger Koch Salunke, die Rolle des Königs spielte er selbst. Bei der „wet- sariscene“ (nasse Sariszene), die es damals auch schon gab, kann man ganz deutlich sehen, dass die Frauenfiguren von Männern dargestellt wurden.
      Phalke musste für diesen Film die unglaubliche Leistung vollbringen, Regisseur, Kameramann, Schauspieler und Bühnenbildner in einer Person zu sein. Sein Film „Raja Harishchandra“, der auf dem Mahabharata- Epos basiert, wurde 1913 im Coronation- Theater im Mumbai uraufgeführt und wurde ein sensationeller Erfolg.
      Der Film handelt vom Raja (König) Harishchandra, einem moralisch integren König, der auf dem Altar der Wahrheit sein Königreich, sein Weib und sein Sohn opfert, weil er einst dem Weisen Vishwamitra das Versprechen gab, nicht den heiligen Raum der Götter zu betreten, und es dennoch unbeabsichtigt tat. Der König vollbringt Opfer und erduldet Leid, bis ihm die Götter verzeihen.
      Nach der Premiere des Films wurde Phalke sein eigener Vorführer. Auf einem Ochsenkarren, bepackt mit Projektor, Leinwand und Filmrollen, reiste er durchs Land. Dadasahib Phalke wird seit diesem Film als „Vater des indischen Kinos“ bezeichnet.
      1917 drehte er unter anderem den Lehrfilm „How are films prepared?“ über das Filmhandwerk, in dem er seine Arbeit dokumentiert, um andere Filmemacher zu motivieren. Weitere Filmerfolge waren „Mohini Bhasmasur“ (1913), „Lanka Dahan“ (1917), „Shri Krishna Janam“ ( 1918 ) und „Kaliya danam“ (1919). Diese Filme übten eine dermaßen magische Wirkung auf das Publikum aus, dass sich Männer und Frauen während der Vorführung vor der Leinwand auf den Boden warfen und anfingen zu beten. Im Zuge seines Triumphs gründete er die „Phalke Films Company“ als Manufaktur und wandelte seine Küche in ein improvisiertes Labor um. Später wurde er Teilhaber der berühmten „Hindustan Cinema Films Company“. Insgesamt schuf Phalke in seiner zwanzigjährigen Berufszeit 90 Filme, darunter vor allem mythologische, aber auch viele Kurzfilme, Dokumentationen und Filme mit sozialem Inhalt.
      Ab Ende der 20er Jahren änderte sich der Filmgeschmack, Stuntfilme waren angesagt, vor allem beim einfachen Publikum. Die Atmosphäre der Filmlandschaft wurde kommerzieller, und Phalke begann sich wie ein Fremder zu fühlen. 1928 zog er für drei Jahre aus dem Filmgeschäft zurück, bis er 1931 noch einmal mit dem Film „Setu Bandhan“ versuchte, doch der Erfolg blieb aus. Es folgte eine schwere Zeit, er konnte kaum noch finanzielle Mittel auftreiben. Seinen letzten Film „Gangavataram“ drehte er 1937. Danach kehrte er in seine kleine Heimatstadt Nashik (in der Nähe von Pune) zurück, wo er 1944 völlig mittellos und fast vergessen starb.
      In einem Interview von 1939 für das indische „Mauj Magazin“ sagte Phalke: „Wenn ich nicht die künstlerischen Fähigkeiten besessen hätte, die zum Filmemachen nötig sind, wie Zeichnen, Malen, architektonische Fähigkeiten, Fotografieren, Theaterpraxis und Zauberkunst, und nicht Mut und Wagnis gezeigt hätte, hätte sich die Filmindustrie 1912 niemals in Indien etablieren können.“
      Heutzutage erinnert sich die indische Filmindustrie seiner wieder mit der wichtigsten jährlichen Preisverleihung, dem „Dadasahib-Phalke-Award“.

      Ab 1913 entwickelte sich das Kino dank Phalke langsam von einer Jahrmarktsattraktion zu einer selbständigen Kunstform und Wirtschaftsbranche. Nach dem erfolg von „Raja Harishchandra“ veränderte sich das Profil der Filmschaffenden. Viele Kapitalisten Mumbais stürzten sich auf den neu erstandenen Industriezweig und erhofften sich eine gewinnträchtige Investitionsmöglichkeit. Mumbai wurde der Geburtsort der Filmindustrie, als Vorbild diente Hollywood. Es entstanden mehrere Studios. Eigentümer dieser Studios waren D. W. Sampat (Kohinoor Film Company), Chanduhal Shah (Ranjit Movietone) und Ardeshir Irani (Imperial Film Company), die jeweils nur wenige Meilen voneinander entfernt lagen. Weitere Zentren der Filmindustrie entstanden in den Hafenstädten Chennai und Kolkata, die sich zu großen Handelszentren entwickelt hatten.
      Berühmte Filmemacher in jenen Tagen waren V. Shantaram, V. Damle, S. Fatehal und der deutsche Regisseur Franz Osten. Sowohl Kapital als auch Talent waren eigentlich reichlich vorhanden. Doch die britische Kolonialmacht versuchte mit verschiedenen Strategien, ein echtes Aufblühen der indischen Kinoindustrie zu unterdrücken.


      BRITISCHE ZENZUR UND DAS HOLLYWOODKINO

      Das neue Medium Film begann allmählich, die indische Theaterkultur zu verdrängen. Viele ehemalige Schauspielhäuser wurden zu Kinos umgebaut. Erst 1910 begann man mit der Errichtung von Gebäuden, die speziell auf den Kinobetrieb ausgerichtet waren und die die Möglichkeit boten, Filmprojektoren fest zu installieren. Anfang der 20er Jahre gab es nur etwa 150 Kinosäle in Indien. Die meisten indischen Filme wurden in so genannten „Bioscope- Zelten“ gezeigt. Die britische Regierung, die 1856 die Industrialisierung nach Indien exportiert hatte, investierte im Zuge technischer Entwicklung ebenfalls in Filmstudios und Kinohäuser. Ihre Absicht war es, britisch-nationale Kinokultur in Indien zu pflegen, um auf diese Weise mehr Einfluss auf die indische Bevölkerung auszuüben. In indischen Theatern wurden Propagandafilme, britische Slapstickfilme wie „Rescued by Rover“ (1905) und Verfilmungen von Shakespeare- Dramen gezeigt. Indische Filme hingegen wurden nur zu einem Minimum präsentiert. Das Ziel der Machthaber war es, die indische Elite zur loyalen Unterwerfung zu bewegen. Diese indische Elite entstammte vor allem der aufsteigenden, englisch erzogenen gebildeten Mittelschicht, die sich von ihren Traditionen lösen wollte und westliche Filme bevorzugte.
      Mit dem Ersten Weltkrieg wurden die britische und indische Filmindustrie lahm gelegt. Viele Studios mussten schließen. Hollywood nutzte die Gelegenheit, den Weltfilmmarkt zu erobern, indem es seine Produktion um ein Vielfaches steigerte und Filme in zahlreiche Länder exportierte. So kamen die amerikanischen Produktionen auch nach Indien. 1927 stammten ungefähr 85 Prozent der in Indien gezeigten Filme aus den USA. Die „Universal- Pictures“, die bereits 1916 ihr Vertriebsnetz in den Staaten eingerichtet hatte, verkaufte jährlich 52 Spielfilme, 52 Lustspiele und 52 Wochenschauen. Publikumsmagnete für die indischen Zuschauer waren Komödien von Charlie Chaplin, Harold Lloyd oder Buster Keaton.
      Die 20er Jahre waren die goldene Ära des Hollywood-Films. Die meisten dieser Filme waren Komödien, so genannte „Koks-Klamotten“ mit dem ausgeflippten Detektiv „Coke Ennyday“ oder Lustspiele wie „Betty Takes a Hand“ ( 1918 ) und „Prudence on Broadway“ (1919) oder „The Follies Girl“ (1919).
      Hollywood galt als das neue sündige Babel, Sex und Rauschgift gehörten zum Repertoire dieser Zeit, und die Filme versprachen einen interessanten Blick auf schöne „Jazzbabies“ und Champagnerbäder.
      Aufgrund des vorherrschenden Einfluss amerikanischer Filme auf das britische und indische Publikum begannen die Briten 1921 öffentliche Debatten darüber zu führen, ob amerikanische Kino einen negativen Einfluss auf die jeweilige Bevölkerung ausübte.
      Die Kolonialregierung ließ eine Analyse hinsichtlich der Berechtigung solcher Vorwürfe durchführen. Da jedoch diese Untersuchung sehr unpräzise verlief, war auch das Ergebnis dementsprechend nutzlos. 1927/28 gab die Kolonialregierung nochmals eine Studie in Auftrag- dieses Mal sollte das „Indian Cinematograph Committee“ die Situation der Filmrezeption in Indien untersuchen. Mittels Fragebögen wurden Umfragen zu indischen Filmvorlieben erhoben, um einschätzen zu können, welchen Einfluss das westliche Kino auf die Moralauffassung und das Verhalten hatte. Aus dem anschließenden Materialbericht ging hervor, dass die indischen Zuschauer die amerikanischen Filme den britischen vorzogen. Einen solchen Missstand konnten die Kolonialherren natürlich nicht dulden, und so beschlossen sie, die Machtposition der britischen Filme auf dem Markt wieder zu brechen. Es war der britischen Regierung wichtig, gegenüber der Bevölkerung ihre moralische Glaubwürdigkeit zu bewahren, die man in amerikanischen Spielfilmen in Frage gestellt sah. „Die Darstellung des weißen Kulturverfalls“ war in der britischen Presse und Parlament jahrelang Diskussionsthema. Ganz patriarchalisch ging die Kolonialmacht davon aus, dass Inder aufgrund ihrer Rasse unmündig seien. Die britische Zeitung „Westminster Gazette“ schrieb am 17.11.1921: „(…)Und nun stellen sie sich einmal die Wirkung solcher Filme (Hollywoodfilme) auf die orientalische Psyche vor (…). Unsere Frauen sieht er (der Inder) in dürftigen Fummeln (…), er bildet sich während der nächsten sich abspielenden Dramen seine eigene Meinung über unsere Moral.
      Ab den 30er Jahren wacht die Zensur verstärkt über die öffentliche Sittlichkeit. Es sollten keine lüsternen, lang andauernden Küsse und keine Fleischeslust mehr in britischen und indischen Filmtheatern gezeigt werden. Indische Filme enthielten damals vereinzelt Kussszenen, beispielsweise mit der Filmdiva Durga Khote, doch die Darstellung war nie so eklatant wie bei westlichen Filmen. Die Folge in Indien war das berühmte Kussszenenverbot. Danach durfte Erotik nur abgedeutet und durch blumige Symbolik beschrieben werden. Enormer Einfallsreichtum war gefragt. Daraufhin sah man Allegorien von Bienen und Schmetterlingen, die an einer Blume Nektar saugten, oder von Liebespaaren, die sich genüsslich einen Apfel oder ein Eis teilten. Das Misstrauen gegenüber dem, was ein Inder im Kino über amerikanische Filme und westliche Kultur denken könnte, macht deutlich, dass der britischen Kolonialregierung sehr wohl bewusst war, dass sie beim indischen Publikum mit Menschen zu tun hatte, die durchaus in der Lage waren, einen politischen Willen auszubilden. Aus diesem Grunde war es nicht verwunderlich, dass D. W. Griffiths Film „The Birth of a Nation“ (1915) der Zensur zum Opfer fiel bzw. erst nach zahlreichen Zensur-Schnitten gezeigt wurde, weil er politisch und sozial zu brisant war. Unter Rücksichtnahme auf das indische Gemüt sah man in Griffiths Werk solche Szenen als besonders gefährdend an, in denen Weiße respektlos oder grob behandelt wurden und in denen Parlamentsszenen vorkamen (das Parlament wurde Indern als politische Vertretung vorenthalten). Ein weiterer wichtiger Faktor, der das indische Kino beeinflusste und künstlerisch vorantrieb, war die sich zunehmend durchsetzende nationale Unabhängigkeitsbewegung.


      DIE INDISCHE UNABHÄNGIGKEITSBEWEGUNG UND DIE UMGEHUNG DER FILMZENSUR

      Indien wurde während des Ersten Weltkriegs von den Briten gravierend seiner Ressourcen beraubt. Das land sollte zusätzlich zu den jährlich anfallenden 30 Millionen Pfund an Steuern noch über eine Million kampfbereiter Männer und 100 Millionen Pfund an Kriegskapital beisteuern. Viele Inder meldeten sich aber auch freiwillig, da sie hofften, dass die Briten sich nach Kriegsende ihrem Land dafür erkenntlich zeigen würden. Die Erwartungen erfüllten sich jedoch nicht. Trotz einer reihe von Andeutungen und Versprechen gab es keinerlei Belohnung.
      Bald setzten Ernüchterung, Zorn und Enttäuschung ein. Weiter genährt wurde diese keimende Wut, als 1919 bei religiösen Tumulten in Amritsar/Punjab ein Kontingent britischer Soldaten dorthin entsandt wurde; statt die Unruhen friedlich zu beenden, richteten sie ein Massaker an. Das tragische an diesem Ereignis war, dass sie auch auf unbewaffnete Demonstranten schossen, die sich zu einer Versammlung eingefunden hatten. Es gab über tausende Verwundete. Die Nachricht über dieses Blutbad verbreitete sich in Indien wie ein Lauffeuer und sorgte dafür, dass ein riesige Anzahl von vorher unpolitischen Indern zu Sympathisanten des 1855 gegründeten indischen Nationalkongresses (INC) bzw. der Unabhängigkeitsbewegung wurden. In dieser Zeit bekam die Freiheitsbewegung einen neuen Führer in Gestalt Mohandas Ghandhis, der als Mahathma Ghandhi bekannt wurde.
      Ende der 20er Jahre wurde die Forderung nach Selbstbestimmung der Inder immer lauter. Es kam zu Protesten gegen die erhöhten Baumwollpreis, die die britische Regierung festgesetzt hatte. Die Sozialreformer und Mitglieder des INC riefen zum zivilen Ungehorsam auf. Die indische Bevölkerung wurde aufgefordert, im Ausland hergestellte Ware zu boykottieren, um die einheimische Industrie zu unterstützen. Der Zustrom billiger Güter, vorwiegend Textilien aus Großbritannien, zerstörte viele Indern die Lebensgrundlage. Die Folge waren die Enteignung von Ländereien und die Erhebung von Steuern durch Kolonialisten und Großgrundbesitzer.
      Das Bemühen der Reformer bestand darin, ein neues nationales Bewusstsein und eine neue indische Identität zu schaffen. Sie wollten sich von dem Joch der Ausbeutung und Diskriminierung befreien. Das eigene reichhaltige kulturelle Erbe sollte nicht länger verleugnet werden. Ziel war es, dies mit westlichen Ideen zu verbinden. Die indische Gesellschaft sollte sich aus dem Zeitalter der Witwenverbrennungen, des Kastensystems und der Kinderehen befreien und sich modernisieren. Das Bestreben der Reformer hatte Indiens Unabhängigkeit und den Aufbau eines demokratischen Parteisystems nach westlichem Vorbild zum Ziel. Zahlreiche Filmschaffende schlossen sich diesen Vorstellung an.
      Es kamen verstärkt Filme mit sozialen Themen auf: D. G. Ganguyls „England Returned“ (1921) karikiert, wie gebildet Inder die westlichen Verhaltensweise nachäffen. Baburo Painter dokumentierte in „Savkari Pash“ (1925) die Ausbeutung der armen Landarbeiter durch die Großgrundbesitzer und Geldverleiher, und Chandulal Shah beschrieb in seinem Film „Gun Sundari“ (1927) die Beziehung eines Ehepaars im Kontext einer sich ändernden urbanen Gesellschaft.
      Die Briten standen diesen Reformbestrebungen sehr feindselig gegenüber. Die Filmzensur wurde verschärft, und jeder Film, der anti- britische Andeutungen enthielt oder indische patriotische Gefühle evozierte, kam nicht in die Kinos. 1930 wurde der Stummfilm „Desh Deepak“ (Der Patriot) von Nanubhai Vakil verboten, weil er Zwischentitel enthielt wie: „I would prefer death in the cause of freedom of my country.“
      Nach der Verschärfung der Zensur wurden verstärkt mythologische und religiöse Filme gezeigt, die patriotische Empfindungen stärken sollten und politische Aussagen in Allegorien kleideten. Doch nach einiger Zeit zogen die Engländer Filme aus dem Verkehr, die Zwischentitel enthielten wie: „meine Söhne, sterbt lieber, als in Shivajis Diensten zu leben!“ oder „Träumt vom Tag, an dem eine Regierung des Volkes, durch das Volk, für das Volk existieren wird.“ Der filmische Umgang mit politischen Themen wurde somit fast unmöglich.
      In den 30er Jahren kam es zwischen Briten und Indern zunehmend zu politischen Auseinandersetzungen und Unruhen. Mahathma Ghandhi rief zum berühmten Salzmarsch (Satyagraha) auf. Die Briten besaßen das Monopol über die indischen Salzstätten, während die Inder selbst keine Befugnis darüber hatten und für das Salz noch überhöhte Steuern zahlen mussten. Ghandhi wurde nach dieser und weiteren Aktionen als Unruhestifter verhaftet. Infolge der politischen Aktionen verboten die Briten den Indern, Wochenschauen und Dokumentationen über Demonstrationen zu sehen. Sie fürchteten den Einfluss „kommunistischer“ Propaganda. Als Reaktion auf diese Maßnahmen zeigten indische Regisseure in Spielfilmen öfters Symbole wie das Spinnrad, die Flagge des INC oder eine Karte Indiens, die das damalige Indien und die Territorien der Fürstenstatten zeigte, um den strengen Zensurmaßnahmen entgehen zu können. Zusätzlich dachten sich engagierte Filmemacher intelligente Strategien aus, um weiterhin nationale Botschaften auf der Leinwand propagieren zu können: Sie zeigten wieder mythologische und religiöse und entwickelten einen besonders ausgefeilten symbolischen Bildcode, der nur von der indischen Bevölkerung verstanden wurde. Diese Filme dienten als Metaphern für aktuelle politische Ereignesse. Zeitgenössische indische Reformer und Politiker wurden als Helden und Götter und britische Staatsträger als Dämonen porträtiert. Die Briten schöpften bei diesen vermeintlichen unpolitischen Filmen keinen Verdacht. In ihren Augen waren sie doch der Inbegriff einer politisch wenig gefährlichen indischen Kultur. Die Filmemacher wollten damit patriotische Gefühle ansprechen und ihren Landsleuten Mut machen, sich nicht dem Imperialismus zu beugen: So wie Shri Krishna gegen den mächtigen Schlangendämon kämpfte, der den heiligen Fluss vergiftet hatte, so sollte auch der indische Bürger gegen die Vernichtung und Ausbeutung seitens des Imperialismuskämpfen.



      DAS ENDE DER STUMMFILMZEIT

      In der Stummfilmzeit waren indische Filme noch in einzelnen Genres- wie die Hollywoodfilme- unterteilt. Neben den mythologischen und religiösen Filmen, die zu etwa 60 Prozent das Programm bestimmten, gab es soziale und politische Filme, Kostümdramen, Märchenfilme, Stunt-, Action- und Abenteuerfilme. Als 1931 die neue Ära des Tonfilms anbrach, veränderte sich mit der Zeit diese anfängliche Kategorisierung, die eigentlich nur von Hollywood beeinflusst und völlig untypisch für die indische Kultur war (wie schon der Vorläufer des indischen Kinos, das indische Theater, gezeigt hatte.
      In der Stummfilmzeit entstanden in Indien etwa 1300 Filme, von denen aber nur dreizehn erhalten geblieben sind. Von Dadasahib Phalkes Film „Raja Harishchandra“ gibt es von 3700 Fuß Filmrolle nur noch 1475 Fuß. Die Ursache hierfür liegt darin, dass erst 1964 das „Nationale Filmarchiv“ gegründet wurde. P. K. Nair, der erste Direktor und Begründer dieses Archivs in Pune, suchte jahrelang in ganz Indien nach alten Filmen. Es war nicht einfach für ihn, die Inder davon zu überzeugen, dass es wichtig und wertvoll war, Filme aufzubewahren. Filme wurden in Indien nicht als eine Kunstform angesehen, sondern als kommerzielle Waren. Nur mit Hilfe der Regierung konnte das Archiv gegründet werden. Es beherbergte insgesamt 6000 Kopien, von denen 2000 Kopien ausländische Filme waren. 2002 gab es dort einen Brand, dem leider ein großer Teil an wertvollem Material zum Opfer fiel.


      ERSTE INDISCHE TONFILME

      Indische Zeitungen berichteten über die Premiere des ersten amerikanischen Tonfilms „The Jazz-Singer“ (1927) in New York. Dieser Film wurde in Asien nicht gezeigt, stattdessen sah man 1929 als ersten Tonfilm Hollywoods „The Broadway Melody of Love“ von Harry Beaumont. Bis der erste indische Tonfilm in die Kinos kam, mussten noch ein paar Jahre vergehen, da verschiedene Faktoren technischer- wie aufwendige Umbauten für die Schallisolierung- oder auch künstlerischer und wirtschaftlicher Art die Entwicklung hinauszögerten.
      Am 14. März 1931 war es dann endlich in Indien soweit: Eine neue Filmepoche brach an. In Mumbais „Majestic Theatre“ hatte der erste indische Tonfilm „Alarm Ara“ (Licht der Welt) Premiere. Der Film von Ardeshir Irani wurde in der Hindi- Sprache vertont, basierte auf dem gleichnamigen bekannten Parsi- Theaterstück und enthielt zwölf Gesangseinlagen. Hauptdarsteller waren Master Vithal, Zubeida, Jilloo, Sushila und Prithviraj Kapoor. Der Film erzählt in episodischer Weise von einem alten König und seinen zwei zänkischen, habgierigen Frauen. Es geht um Erbschaftsstreitigkeiten, Intrigen und Mord. Hier ertönte auch der erste Filmhit „De de Khuda ke naam pe“ (Opfere Gott alles, was du besitzt), den W. M. Khan zum Besten gab. Man Kann „Alarm Ara“ als Prototyp des späteren populären Hindifilms sehen.
      Schon ein Jahr später folgte der zweite indische Tonfilm. „Indra sabha“ (Indras Hof, 1932) von J. J. Madan, nach einer lyrischen Verseerzählung des Urdu- Dichters A. H. Amanat. Dieses Werk ist mit seinen 70 Gesangseinlagen eher ein reiner Musikfilm als ein Spielfilm.
      Diese anfängliche Flut singender und tanzender Akteure auf der Leinwand war nicht nur in Indien, sondern auch im westlichen Kino in Heimatfilmen, Lustspielen und Revuefilmen verbreitet. Doch im Gegensatz zu Indien, wo Gesang, Musik und Tanz gleichermaßen in Abenteuer-, Kriminal- sowie Stuntfilmen eingebaut wurden (und bis heute eingebaut werden), beschränkte man im Westen die Montage von Gesangs- und Tanzeinlagen bald ausschließlich auf das Musicalgenre.

      DAS SPRACHPROBLEM UND DER DURCHBRUCH DES TONFILMS

      Mit dem aufkommen des Tonfilms nahm eine vorherrschende Rolle in den Filmen ein. Dafür gibt es verschiedene Erklärungen. Zum einen boten aufgrund der anfänglichen Sprachbarrieren, die der Tonfilm deutlich machte, die Musik und der Gesang eine gute Überbrückungsmöglichkeit. Zum anderen gingen die Produzenten und Filmemacher auf ein grundlegendes Bedürfnis der indischen Gesellschaft ein, da Musik und Gesang schon im volkstümlichen Theater gebräuchlich waren. Doch was sollte die Sprache des indischen Films werden?
      Die Regionalsprache Mumbais ist Marathi, eine Sprache, die damals von etwa 21 Millionen Menschen verstanden wurde. Die Produktion nur auf dieses kleine Sprachgebiet zu begrenzen, war für Mumbais Filmindustrie zu risikoreich, da die Kosten aufgrund der Tontechnik stark angestiegen waren und ein Sprachgebiet von 21 Millionen Menschen eine Filmindustrie nicht unbedingt alleine tragen konnte. Kurioserweise lag zu jener Zeit keines der wichtigen Filmzentren in der größten Sprachzone des Landes in Nord- und Zentralindien, wo etwa 150 Millionen hindisprachige Einwohner lebten. Dieser Hindi- Markt versprach das lukrativste Geschäft. Also entschied man sich, vorwiegend Filme für diese Sprachregion zu produzieren. Der begriff Hindifilm bezieht sich also auf die Sprache, in der der Film produziert wurde. Heute ist Hindi in den sechs Nordstaaten verbreitet und wird von circa 500 Millionen Menschen verstanden. Der Hindi- Film hat demnach zu einer wesentlichen Verbreitung der Sprache beigetragen. Bis zur Einführung des Tonfilms wurden noch circa 80 Prozent der Filme aus dem Ausland nach Indien importiert, nach der Durchsetzung des Tonfilms änderte sich dieses Verhältnis schlagartig zugunsten indischer Produktionen, es wurden nur noch zehn Prozent fremde Produkte eingeführt. Der Tonfilm half indischen Produzenten definitiv, endlich in ihrem Land Fuß zu fassen. Der Import von ausländischen Filmen verlor zunehmend an Bedeutung. Das Publikum bevorzugte einheimische Produktionen, da diese ihnen bezüglich Aufbau, Themen und Sprache vertrauter und verständlicher waren. Da nicht alle Kinobesucher ein einheitliches Hindi bzw. auch andere Sprachen gebrauchten, produzierte man in Mumbai und Kolkata zunächst ebenfalls Filme für andere Regionalsprachen. Als diese Filme erfolgreich in den jeweiligen regionalen Kinos liefen und Gewinn abwarfen, begannen diverse Filmgesellschaften, sich auf einzelne Sprachen zu spezialisieren und regionale Filmstudios zu bauen. Diese Regionalisierung war für ein Land, in dem es eine äußerst hohe Analphabetenquote gibt, sehr wichtig. Chennai baute beispielsweise ein wahres Studioimperium auf und spezialisierte seine Filme auf sämtliche südindische Regionalsprachen wie Telugu, Tamil, Kannada und Malayalam. Ziel war es, sich von den nordindischen Studios unabhängig zu machen. Doch das Hauptziel aller Filmzentren blieb nach wie vor der hindisprachige Markt. Aus diesem Grund wurden auch in Kolkata und Chennai alle größeren Projekte in Hindi gedreht.


      UMSTRUKTURIERUNG DER FILMINDUSTRIE

      Im Zuge der Umstellung vom Stumm- auf den Tonfilm kam es in der westlichen wie auch in der indischen Filmindustrie zu drastischen Veränderungen. Schauspieler, die nicht singen konnten oder die Hindisprache adäquat beherrschten, wurden arbeitslos. Einige der vorher bedeutenden Produktionsfirmen lösten sich im Zuge dieser Veränderungen auf. Sie besaßen weder die Mittel noch das Know- how, um der Zukunft gelassen ins Auge zu sehen. Tonfilme, das hieß Investitionen in teure Geräte, die importiert werden mussten und ein großes Wagnis darstellten. Zudem benötigte man dafür schalldichte Studios. Für ein solches schalldichtes, fensterloses Studio wiederum brauchte man Scheinwerfer, die bis dahin in Indien kaum verwendet wurden. Aus diesem Grunde veränderte sich in der Tonfilmära die Zusammensetzung der Filmindustrie. Neue Investoren und Produzenten strömten auf den Markt und begannen mit dem Bau schalldichten Studios und dem Engagement fester Filmcrews und Techniker. Jedes dieser neuen Studios zeigte in der Anfangszeit mythologische und religiöse Filme, um kein größeres Risiko beim Publikum einzugehen. Es herrschte die gleiche Ausgangssituation wie zu Beginn der Stummfilmzeit. Bald spezialisierten sich die Produzenten auf bestimmte Genres. Die drei größten Filmproduktionsgesellschaften waren die Prabhat- Company in Pune, Bombay Talkies in Mumbai und das New Theatre in Kolkata. Die Prabhat- Company produzierte vorwiegend mythologische und religiöse Filme, Bombay Talkies dagegen konzentrierte sich auf Revuen sowie sozialkritische und (auch) mythologische Filme, und das New Theatre in Kolkata versorgte das Publikum ausschließlich mit Heiligenbiografien und verfilmter bengalischer Literatur. Mitte der 30er Jahre gab es Produzenten, die sich auf Stunt-, Action- und Abenteuerfilme spezialisierten. Die Homi- Brüder waren verrückt nach Hollywoodwestern und Actionfilmen, sie gründeten die Wadia-Movietone Studios in Mumbai
      und wagten das Risiko, mit einer weiblichen Stuntfrau zu drehen. Die Australierin
      Mary Evans, bekannt unter dem Spitznamen „Fearless Nadia“ erwies sich als ein Glücksgriff: „Hunterwali“ (1935) schlug beim indischen Publikum wie eine Bombe ein.
      Indische Filme setzten sich trotz der darauf folgenden Weltwirtschaftskrise und
      geringer Förderung immer mehr durch und bestimmten bald die Kinolandschaft.
      Die indischen Filmemacher waren sich der Tatsache bewusst, mit einem eigenen
      Kino die »Nationalkultur" fördern zu können.

      KRIEGSJAHRE UND DIE GEBURT DES STARSYSTEMS

      Die 40er Jahre waren für das Land und für die Filmindustrie Indiens eine folgenreiche Zeit. Im Zuge des Zweiten Weltkriegs vollzog sich in der Filmindustrie erneut ein tief greifender Strukturwandel. Ausgelöst durch zunehmende Industrialisierung und die in Gang gesetzte Rüstungsindustrie entstanden neue gesellschaftliche Schichten und Berufssparten wie die Arbeitsklasse und die neuen Filmproduzenten der Mittelschicht.
      Ehemalige Bauern und Plantagenarbeiter strömten in die Großstädte, um für die Waffenindustrie zu arbeiten. Herausgerissen aus ihrem gewohnten Umfeld befanden sie sich in einem Zustand allgemeiner Verunsicherung, sie waren auf der Suche nach neuen gesellschaftlichen Orientierungen. Um den Bedrängnissen und Nöten ihres Alltags zu entgehen, flüchteten sie nach Arbeitsende in die Traumwelt des Kinos. Dort wollten sie vor allem Hindifilme von märchenhafter Machart sehen, Geschichten, die die Konflikte zwischen dem traditionellen und dem modernen Leben übertünchten und abmilderten. Auf dieses Bedürfnis gingen die neuen Filmproduzenten und Investoren der Filmindustrie ein.
      Sie waren Geschäftsleute und Händler, die sich aufgrund der Verknappung in den verschiedenen Bereichen schnelles Geld auf dem Schwarzmarkt verdient hatten und nun dieses »Blackmoney" zur Geldwäsche in die Filmindustrie investierten. Damit erhofften sie sich weitere schnelle Gewinne. Hinz und Kunz engagierten renommierte Stars, Drehbuchautoren, Regisseure und Musiker. Aufgrund des Schwarzgelds konnten sie ihnen wahre Traumgagen bezahlen. Da sie keine eigenen Studios besaßen, mieteten sie sich diese bei der Konkurrenz. Ihr Ziel war es, ein möglichst großes Massenpublikum zu erreichen, aus diesem Grunde sollten so genannte Formel-Filme mit mindestens drei Tanznummern, sechs Gesangseinlagen und einer Romanze produziert werden. Diese cleveren Geschäftsleute brach- ten das etablierte Studiosystem allmählich zu Fall. Stars und Filmemacher wurden abgeworben, da die großen Unternehmen weder bereit noch in der Lage waren, ihren Künstlern solche Phantasiegagen zu bezahlen. Es war die Geburt des Starsystems, wie wir es heute in den USA kennen, des »Multistarrers", in dem die Stars den Film verkauften. Je mehr Stars in einem Film mitspielten, umso mehr Gewinn warf der Film ab. Die Folge war, dass Schauspieler und Regisseure begannen, unabhängig von den großen Produktionsgesellschaften zu arbeiten. Oft hatten sie mehrere Verträge von verschiedenen Arbeitgebern gleichzeitig in der Tasche. Die etablierten Studios mussten ihre Produktionen drosseln. Während 1930 noch etwa 370 Filme von ihnen produziert wurden, waren es Anfang der 40er Jahre nur noch 170 Filme. Es kam zum großen Studiosterben. Die Formel-Filme der neuen Auftraggeber überschwemmten den Markt. Während sich die Anzahl ihrer Filmproduktionen vervielfachte, stagnierte jedoch gleichzeitig die Errichtung von Filmtheatern. Zahllose Produzenten zerfleischten sich beinahe aufgrund des Konkurrenzdrucks, alle wollten gleichzeitig ihre vielen Filme in den wenigen vorhandenen Kinos unterbringen. Aufgrund dieser Entwicklung wurden bald Verleiher und Besitzer von Filmtheatern zur bestimmenden Größe auf dem sich verengenden Absatzmarkt. Deren Bedürfnis nach Formel-Filmen mit Starbesetzung wurde maßgebend für die ästhetisch inhaltliche Ausgestaltung des kommerziellen Spielfilms, wie wir ihn heute kennen. Die Finanzierung kommerzieller Spielfilme über Verleiher, Kinobesitzer und private Investoren schuf die strukturellen Rahmenbedingungen für eine Aufspaltung der Produktion, die bis heute als "Ära des unab- hängigen Produzenten" bezeichnet wird. Die meisten Regisseure mussten sich nun den Bedingungen der neuen Produzenten beugen. Sie hatten kaum noch Einfluss auf den Inhalt der Filme, sondern waren Ausführer einer Produktionsmaschinerie. Einige der Filmemacher jedoch schafften es, weiterhin ihre eigenen Filme zu machen. Sie besaßen genügend Geld und Einfluss und bewerkstelligten es trotz der Anpassung an wirtschaftliche Zwänge, einen eigenen Filmstil zu entwickeln. Es waren vor allem Filmemacher, die sich mit der indischen Widerstandsbewegung solidarisiert hatten.
      In der Politik rief die Nationale Kongresspartei die „Quit - India- Bewegung“ aus, um den Widerstand zu intensivieren. Missernten und eine Hungerkatastrophe in Bengalen erschütterten das Land. Die Briten nahmen trotz dieser eingetretenen Notsituation keine steuerliche Rücksicht auf die indische Bevölkerung. Dieses Ver- halten löste große Empörung aus - es kam zu Meutereien und Demonstrationsmärschen.
      Die britische Regierung konnte selbst ihre Untergebenen indischen Militärstreitkräfte nicht mehr unter Kontrolle halten. Viele national angehauchte Filme mit patriotischen Liedern entstanden in dieser Zeit, wie „Sikandar“ (1931), „Shaheed“ ( 1948 ) und »Kismet" (1943) mit dem berühmten Filmsong “Door Hato o Duniyavolo, Hindustan hamara hai" (Geht weg ihr Eindringlinge, Indien gehört uns).


      ZEIT DER INDISCHEN UNABHÄNGIGKEIT


      Am 15.08.1947 war es endlich soweit, Indien wurde nach zweihundert jähriger politischer Einflussnahme und hundertdreißigjähriger Besetzung unabhängig. Doch der Eintritt in die Freiheit verlief traumatisch - Indien wurde geteilt.
      Die große muslimische Minderheit war sich darüber im Klaren, dass ein unab- hängiges Indien auch ein weitgehend von Hindus dominiertes Indien sein würde, das nicht bereit wäre, die Macht zu teilen. Aus diesem Grunde sahen die Vertreter der Moslem-Liga die einzige Lösung in der Gründung eines eigenen Staates. Mohammed Ali Jinnah, ihr Vorsitzender, erklärte sogar: "Ich will Indien geteilt oder zerstört." Aufgrund eines religiösen Bürgerkriegs zwischen Hindus und Moslems wurde das Land in die hauptsächlich hinduistische Nation Indien und die islamische Nation Pakistan aufgeteilt. Es kam zu Massakern und Massenfluchten auf beiden Seiten der Grenzen. Religiöse Auseinandersetzungen zwischen Hindus, Moslems und Sikhs forderten hunderttausende Menschenleben. 8,4 Millionen Menschen mussten zwischen beiden Staaten umgesiedelt werden. Diese riesige Flüchtlingswelle stellte die neue indische Regierung vor große Probleme. Es folgte ein erster indo-pakistanischer Krieg um die Region Kashmir, die von beiden Staaten beansprucht wurde. Die Region wurde geteilt, der größere Teil Kashmirs gehört zu Indien und der kleinere zu Pakistan. Kashmir ist bis heute ein ständiger Unruheherd. Im Zuge der Unabhängigkeit verbesserte sich die politische Situation allmählich. Nach den anfänglichen Problemen herrschte bald Aufbruchstimmung. Indien bekam eine neue demokratisch-republikanische Verfassung, und Premierminister J. Nehru rief 1951 zur allgemeinen Entwicklung und zur Behebung sozialer und ökonomischer Ungleichheiten einen Fünfjahresplan aus, in dem Bildungssystem, Infrastruktur und Wirtschaftssystem modernisiert werden sollten. 1952 fand das erste internationale Filmfestival in Mumbai, Chennai und Kolkata statt. Es eröffnete Filmemachern ganz neue Einblicke in die allgemeine Schaffens- kraft und stellte so für viele eine Offenbarung dar. Zum ersten Mal sahen die Inder außer englischen und amerikanischen Filmen auch italienische oder japanische Filme. Inspiriert von diesen Filmen kam es zu äußerst schöpferischen Aktivitäten. Regisseure wie Raj Kapoor, Bimal Roy, V. Shantaram, Guru Dutt und Mehboob Khan gründeten ihre eigenen Unternehmen und legten den Grundstein für das Autorenkino, in dem die Person des Autors nicht anonym hinter einem Studio zurücktreten musste. Neben rein kommerziellen Filmen entstand eine ganze Reihe so genannter Grenzfilme - Melodramen mit sozialer Thematik, die eine Mischung aus Kunst und Unterhaltungsfilm darstellten -, die Filmklassiker wurden: "Awaara" (Der Vagabund, 1951, R. Kapoor), "Do Bigha Zamin" (Zwei Hektar Land, 1953, B. Roy),»Pyaasa" (Der Durstige, 1957, G. Dutt) und das Nationalepos "Mother India" (Mutter Indien, 1957, M. Khan). Diese Filme waren derart erfolgreich, dass sie erstmals weltweit vertrieben wurden.


      NEW CINEMA-BEWEGUNG

      Ende der 50er Jahre bildete sich in Bengalen eine neue Gruppe von jungen Filmemachern; beeinflusst von dem italienischen Neorealisten Vittorio de Sica und seinem Film »Ladri di biciclette" (Fahrraddiebe) wollten sie die Realität ihres Landes porträtieren. Satyajit Ray inszenierte die berühmte "Apus- Trilogie" mit „Pater Panchali“ (Das Lied der Straße, 1955), „Aparajto“ (Unbesiegt, 1965) und „Apur Sansar“ (Apus Welt, 1959). Mit seinem ersten Film gewann er 1956 bei den Filmfestspielen in Cannes den Preis für» The Best Human Document".
      Die Filme waren in der bengalischen Regionalsprache gedreht und bildeten eine Antithese zum populären indischen Kino. Eine weitere Intention dieser New Cinema-Bewegung war es, sich von dem bestehenden Starsystem zu lösen. Auf diese Weise konnte man unbekannten Darstellern eine Chance zum Karrierestart geben und man hatte mehr Geld für das Filmbudget. Das war dringend notwendig, da das Zielpublikum dieser Filme auf die Minderheit der gebildeten Oberschicht beschränkt blieb. Die Filme waren mehr von Dialogen als von Gesangs- oder Tanzeinlagen bestimmt, und das schreckte andere Publikumsgruppen ab, da sie zudem nur selten untertitelt oder in eine andere regionale Sprache synchronisiert wurden. Sie blieben meist auf den regionalen Filmmarkt begrenzt. Auf Grund dieser Bedingungen war es nicht verwunderlich, dass dieses »Parallele Kino" nie richtig aufblühen konnte. Viele der damaligen Regisseure des New Cinema arbeiten seit den 80er Jahren fürs Fernsehen und halten sich mit der Produktion von Soaps über Wasser. Die bedeutendsten Vertreter des New Cinema waren - neben Satyajit Ray - Ritwik Ghatak, Mrinal Sen und Shyam Bengal.


      GEBURT EINES EIGENEN INDISCHEN STILS


      Mitte der 60er Jahre kam der Prototyp des Multi-Genrefilms in Mode; dieser zeichnete sich dadurch aus, dass er verschiedene Genres gleichzeitig miteinander verflocht. Filmemacher griffen auf die Traditionen der Theaterkultur, der Mythologie und des Hollywoodkinos zurück, vermengten alles miteinander und entwickelten damit ihren einmaligen typisch indischen Stil. Diese filmische Revolution ging mit der Farbverarbeitung einher. Früher mussten indische Filmemacher ihre Filme für teures Geld in London kolorieren lassen. Nur große bedeutende Filme und Kostümdramen bekamen dieses Vorzugsrecht. Ab Mitte der 60er Jahre gab es Filmlabore in Indien. Mumbai und Chennai bekamen die ersten Technicolorlabore. Begeistert von den neuen Möglichkeiten brach eine Flutwelle von farbenfrohen Filmen über das Land herein.
      Das indische Kino, beeinflusst vom westlichen Kino, machte sich auf die Suche nach einem eigenen Stil, immer schwankend zwischen Orientierung an und Ablehnung von westlich-abendländischen Maßstäben. Die Entstehung und Besonderheit des indischen Kinos sind nicht aus diesem Zusammenhang, in dem sich Indisches in einer Art Kulturkampf gegen die Kolonialherrschaft stemmte, zu lösen. Trotz indischer Nord-Süd-Rivalität entwickelte sich der kommerzielle Hindi- Film zum wichtigsten Instrument nationaler Einheit und war erfolgreicher Träger zur Verbreitung des Hindi.



      DEUTSCHE STARTHILFE

      HIMANASU RAI – PIONIER DER DEUTSCH-INDISCHEN KOPRODUKTION



      Als im Jahre 1924 der indische Cineast Himansu Rai die Emelka-Studios der Gebrüder Ostermayer in Schwabing besuchte, ahnte noch niemand, welch bedeuten- de und tragende Auswirkungen dieser Besuch für Indien haben würde. Rai plante, eine Filmreihe über die großen Weltreligionen zu machen. Beginnen wollte er mit dem Christentum, das Rai anschaulich in den Oberammergauer Passionsfestspielen dargestellt fand. Also fuhr er nach München, um seine Pläne zu verwirklichen.
      Himansu Rai stammte aus einer wohlhabenden bengalischen Familie, die in Kolkata ein Theater besaß. Sein Jurastudium hatte er in Kolkata absolviert. Auf Wunsch seiner Eltern war er in London als Rechtsanwalt tätig. Seine Freizeit ver- brachte er mit Kinobesuchen und Schauspielkursen an der "Royal Academy of Dramatic Art". Schon bald spielte er eine Nebenrolle in einem Musical und bekam danach eine Hauptrolle in einem indischen Film.
      Es kam zu einer Karriereentscheidung: Himansu Rai war ein leidenschaftlicher Cineast und erkannte sehr schnell, was für immense Möglichkeiten sich mit diesem neuen Medium auftaten. Seine Vision war es, Indiens Filmgeschichte mit Hilfe westlichen Know-hows technisch und künstlerisch voranzutreiben.
      Die wichtigsten deutschen Filmproduktionsgesellschaften waren zur Zeit der Weimarer Republik die Universum Film AG, kurz UFA in Berlin-Babelsberg und der Emelka - Konzern in München- Schwabing. Die UFA wurde 1917 von Erich Ludendorff gegründet und entwickelte sich Mitte der 20er Jahre zur größten Filmproduktionsstätte Europas. Die Emelka wurde 1918 von den Gebrüdern Ostermayer gegründet. Sie zählten zu den Filmpionieren des süddeutschen Raums und setzten den Grundstein für die heutigen Bavaria-Filmateliers.
      Als fähiger Rhetoriker begeisterte Himansu Rai die Produzenten der Emelka für seine Pläne und überzeugte sie schließlich. Sie entschlossen sich zu einem Film über das Leben Gautama Buddhas.
      Exotische Schauplätze und Themen waren in den 20er und 30er Jahren in Deutschland sehr beliebt. Besonders Indien lockte als geheimnisvolles Märchen- land nach dem Filmerfolg von Joe Mays "Das indische Grabmal" (1921) die Zuschauer in die Kinos. Nach dem Ersten Weltkrieg dürstete es die Menschen nach exotischen Bildgenüssen. Die Zuschauer ließen sich aus der Enge des grauen All- tags in fremde Welten entführen und vergaßen für ein paar Stunden ihre Sorgen.
      Anfangs wurden die exotischen Schauplätze dieser" Weltenbummlerfilme" noch in den Betonkulissen der Studios gedreht, und dunkel bemalte Schauspieler ver- suchten, die Illusion fremdländischer Menschen zu erwecken. Doch schon bald legte sich bei den Zuschauern das anfängliche Staunen, und Unzufriedenheit machte sich breit. Man begann, Kritik zu äußern. Die Kulissen und die Schauspieler wirk- ten zu künstlich und unglaubwürdig. Also gingen die Filmproduzenten auf Reisen.
      Himansu Rais Vorschlag kam den Produzenten der Emelka gerade recht. Er bot ein authentisches Indienbild an, etwas, das noch nie zuvor in deutschen Kinos zu sehen gewesen war. "Cinema verite" - nur Orginalschauplätze, Orginalkostüme, reale Bauten und Laiendarsteller. "Prem Sanyas" (Die Leuchte Asiens, 1925) sollte Indiens erste Koproduktion sein. Indischer Kooperationspartner der Emelka wurde die "Great Eastern Film Cooperation" in Delhi, um die Produktionskosten vor Ort wollte sich Himansu Rai kümmern. Franz Osten alias Ostermayer bot sich an, für dieses Projekt die Regie zu übernehmen.


      FRANZ OSTEN IN INDIEN

      1924 fuhren Franz Osten, die Kameramänner Willi Kiermeier und Josef Wirsching sowie Regieassistent und Dolmetscher Bertl Schuttes nach Mumbai. Die Dreharbeiten erwiesen sich laut Berichten deutscher Filmzeitschriften als äußerst mühselig. Besonders die über tausend indischen Statisten machten ihnen Probleme.
      In Jaipur flüchteten sie ständig vor der glühenden Sonne in den kühlen Schatten; ihr Verhalten war zwar verständlich, doch auf diese Weise verzögerten sich ständig die Dreharbeiten. Schließlich sah Franz Osten keine andere Möglichkeit mehr, als sie von mit Knüppeln bewaffneten Polizisten vor die Kamera treiben zu lassen. Eine weitere aufwändige und anstrengende Prozedur war die Reise durch fünfzehn indische Städte. Franz Osten wollte dem Kinopublikum auf diese Weise ganz besonders interessante und vielseitige Schauplätze vorstellen; Der damalige Maharaja von Jaipur stellte dem Filmteam sein ganzes Reich zur Verfügung. Die westlichen Zuschauer bekamen in einer sechsminütigen Einführung die wichtigsten und interessantesten Plätze Indiens gezeigt, ehe die eigentliche Geschichte Buddhas im Rückblick eines alten Sadhus erzählt wurde.
      In den Hauptrollen spielten Himansu Rai den Buddha und Seeta Devi, ein dreizehn Jahre altes anglo-indisches Mädchen, dessen Braut. Niranjar Pal, ein junger indischer Autor aus London, schrieb das Drehbuch. Es basiert auf der Gedichtvorlage von Edwin Arnolds »The light of Asia".
      Der Film handelt von Buddhas Kindheit und Jugend am väterlichen Königs- hof, streng abgeschirmt vom realen Leben, das Krankheit, Alter und Tod beinhaltet, von seinem Ausflug in die Stadt und der Konfrontation mit der Alltagswelt, seinem Ausbruch aus dieser "Scheinwelt" und seinem spirituellen Werdegang. Der Film wird mit Sequenzen überlagert, die einem UFA-Kulturfilm hätten entstammen können - festliche Umzüge mit 30 prachtvoll dekorierten Elefanten, Wettkampfspiele und Buddhas pompöse Hochzeitszeremonie.
      Deutschlandpremiere war am 22.10.1925 in München. Das außergewöhnliche Werk erntete großen Applaus. Weitere Stationen waren Berlin, Wien, Budapest, Venedig, Genua, Brüssel und London. Leider wurde der Film nur für die Emelka ein finanzieller Erfolg, in Indien spielte er nicht einmal die Produktionskosten ein. Die Gründe dafür lagen darin, dass die indische Oberschicht es gewohnt war, nur amerikanische und britische Filme zu sehen, indische Themen und Darsteller wurden meist von Gesellschaftsschichten in den Billigkinos gesehen. Für dieses Publikum war laut Aussage indischer Filmkritiker dieser Film zu langatmig und anstrengend.
      In Europa wurde die "Prem Sanyas" nun als Maßstab für das Genre des Monumentalfilms gesetzt. Besonders lobte man Franz Ostens Film jedoch für seine »Authentizität"; dabei war den deutschen Kritikern offenbar entgangen, dass der Film viele Unstimmigkeiten aufwies. Das königliche Ambiente Buddhas, das eigentlich um die Zeit 500 v. Chr. angesiedelt sein müsste, entsprach eher dem Hof eines Mogulherrschers aus dem 17. Jahrhundert, auch Kostüme und Rituale stammten aus der neuzeitlichen bengalischen Tradition. Doch das Ganze tat letztendlich dem Filmgenuss keinen Abbruch.
      1926 war das bedeutsame Jahr, in dem das Studiogelände der UFA-Produktionsgesellschaft weiter ausgebaut wurde, es entstanden unter anderem weitere Ateliers in Neubabelsberg. Mit einer Gesamtfläche von ca. 40.000 qm wurde diese Produktionsstätte zur größten in ganz Europa. Die Produktionskapazitäten, die jetzt möglich waren, konnte man nur mit denen des damaligen Hollywood ver- gleichen. Es begann eine Zeit rasanter technischer Entwicklungen. Es gab immer mehr ausgeklügelte und differenzierte Beleuchtungsmöglichkeiten oder raffinierte Kameratricks, die den Filmemachern völlig neue Dimensionen eröffneten.
      Franz Ostens zweiter indischer Stummfilm „Shiraz“ (Das Grabmal einer großen Liebe, 1928 ) wurde nach einer finanziellen Streitigkeit mit der Emelka, diesmal in Kooperation mit der UFA-AG und der „British Instructional Films Ltd“ gedreht.
      Der Film "Shiraz" beruht auf dem Theaterstück "Shiraz - a Romance of lndia" von William Burton und handelt von der legendären Entstehungsgeschichte des berühmten indischen Taj Mahal. Für den Film wurden 70.000 Statisten, 1000 Pferde und 500 Kamele eingesetzt.
      Himansu Rai, Charu Roy und Seeta Devi besetzten die Hauptrollen. Der Film wurde in Deutschland und auch in Indien ein sensationeller Erfolg. "Shiraz" zeichnet sich besonders durch seine handwerkliche Qualität wie beispielsweise beeindruckende Kulissen, feine Schnitttechnik und innovative Kameraeinstellung aus, die es vorher noch nie in der Art gegeben hatte. Vor allem waren es die deutschen Techniker und der äußerst talentierte Kameramann Emil Schünemann, die diesen Film so brillant machten. Franz Osten schrieb seinen indischen Freunden zu diesem Erfolg: »The direktion is very happy, the film ist first class and all people from the diretion have me congratulation... I am very happy, this is the second indian Film, whas go in all kontri from the world." (Buchstäblich übernommen!)
      Auch der indische Filmkurier vom Dezember 1928 lobte den Film: „Ein wunderschöner Film, der der Welt nicht vorenthalten bleiben darf; Franz Osten führte seine Statisten mit sicherer Hand, nichts wirkt gestellt oder arrangiert.“

      1929 drehte Franz Osten seinen dritten indischen Spielfilm "Prapansha Pash" (Schicksalswürfel), eine freie Adaption des indischen Mahabharata.
      Nach den Dreharbeiten fuhren Himansu Rai und Devika Rani mit Franz Osten für den Filmschnitt zur UFA nach Deutschland. Während des Schneideprozesses bekam Devika von Erich Pommer Schauspielunterricht, Ratschläge von Fritz Lang und Make-up-Beratung von Marlene Dietrich. Auch besuchte sie Seminare bei dem berühmten Regisseur G. W. Pabst.
      Nach fünf Jahren Indienaufenthalt wollte Franz Osten vorerst wieder in Deutschland bleiben. Himansu Rai produzierte dann ohne Osten weitere Filme. In Zusammenarbeit mit Emil Schünemann und dem englischen Regisseur J. L. F. Hunt drehte er 1933 den Film »Karma" (Schicksal), in den Hauptrollen Himansu Rai mit seiner Frau Devika Rani. Es war Indiens erster englischsprachiger Tonfilm, und er wurde in England ein riesiger kommerzieller erfolg. Der Schauspielunterricht hatte seine Wirkung getan, Devika Rani beeindruckte durch ihre authentische, eindringliche Performance und ihr perfektes Englisch.

      DIE GRÜNDUNG DER BOMBAY TALKIES

      1934 hatte Himansu Rai endlich genug Kapital angespart, um sich seinen ersehnten Traum, die Gründung einer eigenen Filmproduktionsfirma, zu erfüllen. Da durch die Herrschaft der Nazis die Zusammenarbeit mit Europa zunehmend schwieriger wurde und der Kontakt bald völlig abgeschnitten war, kam seine Firmengründung der "Bombay Talkies" gerade zur richtigen Zeit. Er versuchte nun, sich auf den indischen Filmmarkt zu konzentrieren. 1934 war auch das Jahr, in dem Franz Osten wieder nach Indien zurückkehrte.
      Die Bombay Talkies-Studios wurden gebaut und mit dem besten deutschen technischen Equipment ausgestattet, deutsche Techniker und Kameramänner schulten ihre indischen Kollegen. Jedes Jahr wurden Kandidaten von indischen Universitäten für die verschiedenen Arbeitsbereiche der Bombay Talkies angeworben, ausgewählt und ausgebildet. Der technische Aufbau, der Studiobetrieb und auch der Filmstil der Bombay Talkies wurden geprägt von Franz Osten, Filmarchitekt Karl Graf von Spreti und Kameramann Josef Wirsching. Bombay Talkies beschäftigte 400 Mitarbeiter. Kastentabus gab es nicht, keiner drückte sich vor niederen Arbeiten, auch aßen alle gemeinsam. Aus dieser Schule sind später indische Berühmtheiten wie die Schauspieler und Regisseure Raj Kapoor (Klappenjunge), Ashok Kumar (Laborassistent), Dilip Kumar (Schauspieler) und K.A.Abbas (Drehbuch- autor) hervorgegangen.
      Bombay Talkies wurde das führende indische Produktionsstudio der 30er Jahre und war von Anfang an auf kommerziellen Erfolg ausgerichtet. In nur vier Jahren von 1935 bis 1939 - drehte Franz Osten sechzehn Spielfilme. Devika Rani, Himansus Frau, spielte davon in zwölf Filmen die Hauptrolle und wurde zum weiblichen indischen Filmstar der 30er Jahre. Osten bewies, dass westliche Qualität auch unter indischen Drehbedingungen zu realisieren war. Vor allem lernten die Inder von ihm, Handlungsabläufe flüssiger zu gestalten. Bombay Talkies Filme bestanden zu 50 Prozent aus Liebesgeschichten, zu 40 Prozent aus Songs und Tanzeinlagen und zu zehn Prozent aus technischen Spielereien. Ein Film enthielt nie mehr als zehn Lieder, bei Filmen anderer Produktionsgesellschaften war es durchaus üblich, zwanzig Lieder in die Handlung einzubauen; die Filme der Bombay Talkies wirkten in dieser Hinsicht eher bescheiden. Die Montage der langen Liedsequenzen stellte Franz Osten oft vor Schwierigkeiten, daher wirken seine Lösungen eher schematisch denn originell. Franz Osten hatte auf die zu verfilmenden Stoffe keinen Einfluss, seine Aufgabe war es, das Drehbuch zu verfilmen, das Himansu Rai ihm gab.
      Rai wollte den Unterhaltungsfilm als Hilfsmittel zum Transport sozialkritischer Inhalte nutzen; Anfang der 30er Jahre gab es, aufgrund der Reformbestrebungen indischer Intellektueller wie Gandhi, Nehru und Tagore das Bedürfnis, die indische Gesellschaft zu erneuern. Himansu Rai war ein Verfechter dieser Reformen, und Themen wie Liebe oder Heirat eigneten sich besonders gut, um den indischen Massen Reformideen näher zu bringen. Die Filme dieser Zeit reagierten unmittelbarer und auch intensiver auf aktuelle politische Strömungen als andere indische Kunstgattungen wie das Theater oder die Literatur. Aus den "Hindifilmen" wurde der »Hindi-Social-Film." Franz Osten drehte für Himansu Rai solche "Socialfilms", thematisiert wurden die Probleme des Kastendenkens und der arrangierten Ehe, Schauplätze waren vor allem indische Dörfer, da hier die Situation besonders dramatisch war. Die indische Sozialkritik in diesen Filmen erscheint jedoch nach westlichen Maßstäben eher gedämpft; das hatte zwei Ursachen: Erstens musste Himansu Rai Rücksicht auf die Filmsponsoren nehmen, denn die Mumbaier Geschäftsleute standen den Reformen nur begrenzt offen gegenüber. Der zweite Grund war die englische koloniale Filmzensurbehörde, die Sozialkritik oft mit Anti-Kolonialismus gleichsetzte und dann rigoros u. a. mit Verhaftungen reagierte.
      Der erste sozialkritische Film, den Franz Osten drehte, war 1936 »Achut Kanya" (Die Unberührbare) mit Devika Rani und Ashok Kumar, eine Themenmischung aus indischem Kastentabu und Anna Karenina-Drama. Dieser Film war ein echter Fortschritt für die Hindifilme der 30er Jahre, da über drei Jahrzehnte hinweg meist mythologische Melodramen und historische Abenteuerfilme die Leinwand beherrschten. Auch wurde der Film in der Sprache eines leicht verständlichen AIltags- Hindi-Urdu synchronisiert.
      Der Film zeigt in einer Rückblende die melodramatische Liebesgeschichte zwischen der Unberührbaren Kasturi, Tochter eines Bahnschrankenwärters, und ihrem Jugendfreund Pratap, Sohn eines brahmanischen Kaufmanns. Die Freundschaft zwischen diesem Pärchen und deren Familien wird von den Dorfbewohnern nicht geduldet, sie verstößt gegen die Tradition. Sie zünden wütend das Haus des Brahmanen an. Er wird gezwungen, die Verbindung zu verbieten und seinen Sohn anderweitig zu verheiraten. Auch Kasturi wird mit einem Mann ihres Standes verheiratet. Doch ihre Liebe kennt kein Kastendenken und lebt heimlich weiter fort. Eines Tages führt sie das Schicksal bei einem Dorffest wieder zusammen. Vor Eifersucht entflammt und von Nachbarn aufgehetzt missversteht Kasturis Ehemann dieses Wiedersehen, und er entfacht einen dramatischen Kampf mit Pratap auf den Bahngleisen. Kasturi versucht, die beiden Männer von einander zu trennen, wird von einem Zug erfasst und stirbt: Ein Menschenopfer auf dem Altar der Bigotterie. Der Film war nicht nur von der Thematik her außergewöhnlich, sondern auch, weil Devika Rani als Brahmanin eine Unberührbare spielte. Ihr Aussehen im Film entsprach zwar vom eleganten Kostüm und der hellen Hautfarbe nicht der Rolle, doch das hatte den Vorteil, dass sich auf diese Weise auch orthodoxe Brahmanen mit ihr identifizieren konnten und der Film auch bei dieser Zielgruppe zum Erfolg wurde.
      Im August 1939 begann Franz Osten mit den Dreharbeiten zu "Kangan" (Der Armreif), doch er konnte den Film nicht beenden: Er wurde im September 1939 mit seinem Kameramann JosefWirsching von den Briten verhaftet und interniert, da die Nazis zwischenzeitlich London bombardiert hatten. Der Film "Kangan" wurde dann ohne Beeinträchtigung der Qualität von den indischen Kollegen zu Ende gedreht.
      Nach sieben Monaten wurde Franz Osten aus Altersgründen, gemäß der Genfer Konvention, aus der Haft entlassen. 1940 kehrte er nach Deutschland zurück und arbeitete zeitweise als Leitet der Besetzungsabteilung der Bavaria Filmkunst. Franz Osten wurde als Repräsentant deutscher Filmkunst weltweit gefeiert. Er leistete einen aktiven Beitrag zur Entwicklung der indischen Filmindustrie.



      Ashok Kumar

      ZEITZEUGE ASHOK KUMAR

      Ashok Kumar, der viele Jahre bei den Bombay Talkies gearbeitet hatte und 1996 als 62- jähriger von der indischen Filmzeitschrift Filmfare einen Preis für seinen Lebenswerk erhielt, erzählt in einem Interview mit Anuradha Choudhary von diesen Jahren.
      Eigentlich wollte er 1935, als er nach Mumbai kam, Regisseur werden, doch Himansu Rai überredete ihn zur Schauspielerei, obwohl er gar nichts von diesem Metier hielt. Schauspieler waren in jenen Tagen nicht hoch angesehen, man wollte nichts mit ihnen zu tun haben, da die meisten von ihnen Prostituierte oder Zuhälter waren. Kumars Eltern waren ebenfalls gegen solch eine Karriere. Am Anfang arbeitete er zuerst als Laborassistent und dann als Techniker bei den Bombay Talkies, um die Basis des Filmernachens zu erlernen. Als 1936 der Hauptdarsteller von "Jeevan Naiya" aus gesundheitlichen Gründen ausfiel, wollte Himansu Rai Ashok Kumar für die Rolle. Der lehnte zunächst ab, doch Rai wollte mit seiner Hilfe der Schauspielerei ein neues Gesicht und einen neuen gesellschaftlichen Status verleihen. Seine Frau Devika Rani machte mit ihrer Zusage für die weibliche Hauptrolle den Anfang, und schließlich willigte Kumar ein; Regisseur Franz Osten jedoch war von Ashok Kumar für die Rolle des Helden überhaupt nicht begeistert.
      "Er musterte mich und meinte, du wirst niemals ein Schauspieler werden, geh zurück zu deinem Jurastudium. Doch Himansu Rai vertraute mir und glaubte an mich und überredete Franz Osten, dass ich die richtige Wahl sei. Meine Eltern reagierten wütend, meine Mutter weigerte sich, mit mir zu sprechen, sie dachte, dass kein anständiges Mädchen mich danach mehr heiraten wollte. Ihre Befürchtung bewahrheitete sich zunächst - viele angesehene Familien kehrten uns den Rücken zu. Mein Vater wollte, dass ich eine andere Arbeit annehme, er hatte gute Kontakte zum Ministerium, ich hätte beispielsweise als Steuerinspektor arbeiten können. Doch Himansu Rai blieb unerbittlich, er überzeugte meinen Vater, dass ich eine brillante Zukunft im Filmgeschäft haben würde. Daraufhin ließ mich mein Vater in seiner Obhut."
      Der Film war erfolgreich und führte dazu, dass es nicht nur bei diesem einen Projekt blieb. Auf »Jeevan Naiya" folgte »Achut Kanya", dieser Film wurde Ashok Kumars Durchbruch und etablierte ihn als erfolgreichen Schauspieler. In einem Interview zu »Achut Kanya" erzählt er von seiner Angst vor Devika Rani, der »Drachenlady", als er zum ersten Mal mit ihr zusammen spielen sollte. Man nannte sie scherzhaft so, da sie für ihr legendäres Temperament und ihre Flüche, sowie für ihren Tabak- und Alkoholkonsum berüchtigt war.


      1940 starb Himansu Rai, und Devika Rani übernahm die Leitung der Bombay Ta/kies. Sie war und blieb die einzige Frau, die jemals in Mumbai die Position einer Studiochefin erreichte. Sashadhar Mukherjee, einer der Drehbuchautoren, übernahm die Regie. Doch bald gab es Auseinandersetzungen mit Devika; sie hatte begonnen, politische Tätigkeiten zu übernehmen und immer mehr Außenstehende in die Produktion einzubeziehen. Das eingefleischte Team empfand dies als störend, es gab zunehmend Intrigen und Streitigkeiten, und viele Mitarbeiter verließen nach und nach die Bombay Talkies. Auch Ashok Kumar und sein Schwager Sashadhar Mukherjee verließen schweren Herzens die Studios: »Am letzten Arbeitstag, als ich einen Film schnitt, fühlte ich mich so niedergeschmettert, dass ich nicht sprechen konnte. Ich ging hinaus, um meinem Schmerz Luft zu machen, und boxte gegen die Wand. Ich schwor mir, eines Tages wieder hierher zurückzukehren, schließlich hatte hier meine Karriere begonnen. Im Jahr 1947 war es dann endlich soweit, wir kauften dann wirklich die Bombay Talkies, nachdem Devika Rani gegangen war. Das Loch in der Wand von damals war noch da, und die Situation der Bombay Talkies war ein finanzielles Desaster. Wir versuchten unser Bestes, um alles zu retten. Wir machten auch einige gute Filme wie „Mahal“, „Mashhaal“ oder „Ziddi“, doch wir schafften es nicht, 1954 wurden die Studios geschlossen."
      Obwohl die Geschichte der Bombay Talkies, die so glorreich begann, bald so tragisch endete, bleibt sie doch ein wichtiger markanter Meilenstein in der indischen Filmgeschichte. Den Bombay Talkies ist es eben auch zu verdanken, dass das indische Melodrama den Status einer privilegierten Darstellungsform erreicht hat. Dieses Genre symbolisiert die Idee einer Nationalkultur, die Ahnung einer Identität, für die das epische Melodrama die kulturelle Vorhut abgegeben hatte.


      WILLY HAAS UND SEINE INDISCHE EXILZEIT

      Der berühmte Publizist und Begründer der »Literarischen Welt" Willy Haas musste aufgrund seiner jüdischen Herkunft 1939 vor den Verfolgungen der Nazis aus Deutschland fliehen. Er emigrierte mit rund 2000 anderen Flüchtlingen nach Indien. Unterstützt wurden die Emigranten in Mumbai von der »Jewish Relief Association", einer Gemeinschaft von Juden, die ein paar Jahre zuvor aus Europa geflohen waren. Sie übernahmen die notwendigen, von den Briten geforderten Bürgschaften und halfen bei der Integration. Auch Jawaharlal Nehru, der indische Reformpolitiker und Mitglied des INC, zeigte großes Verständnis für die Verfolgten und leistete ihnen moralischen Beistand.
      Willy Haas arbeitete während seiner achtjährigen Exilzeit als Drehbuchautor und Regisseur für die indische Filmproduktionsfirma »Bhavanani Productions" in Mumbai und trug so unbewusst zur Verbesserung der deutsch-indischen Kulturbeziehungen bei. Seine Erlebnisse und Eindrücke jener Jahre schilderte Willy Haas in einem Vortrag, den er am 10.12.1957 in Frankfurt während der Veranstaltungsreihe „Was man über Film wissen muss“ hielt. Anzumerken ist, dass nur sehr wenige Augenzeugenberichte von Europäern aus jener Zeit erhalten sind, bzw. von Deutschen, die mit Indern in der indischen Filmindustrie gearbeitet haben. Aus diesem Grunde sind diese Aussagen des Zeitzeugen Willy Haas besonders wichtig da e r versucht, möglichst objektiv seine Erlebnisse zu schildern:
      ,, (...) Bhavani bestand vorerst darauf, dass ich mir einige indische Filme ansehen müsste. Im indischen Bazar von Mumbai gibt es nebeneinander vier riesenhafte Gebäude, in denen sich Kinos befinden, die den Ausmaßen des früheren UFA- Palastes in Berlin entsprechen. In Begleitung eines Schauspielers, der der etwas merkwürdigen Sekte indischer Juden angehörte, besuchte ich diese Filmtheater. Ein solches Riesenkino war ein wirkliches Chaos. Der Lärm von Frauen, Säuglingen, rauchenden Männern, jungen Leuten und ganzen Familien mit mehreren Kindern war ein unbeschreibliches Erlebnis.
      Kurz bevor ich nach Indien kam, entstanden neben den mythologischen und historisch-patriotischen Filmen auch so genannte „soziale“ Filme. Auch in diesen sozialen Filmen tauchte hier und da immer ein Gott auf, es wurden heilige Gesänge gesungen, und es wurde getanzt. In diesen Filmen kamen aber nicht nur Könige vor, sondern auch arme Leute. Hier sah ich eine Eisenbahntragödie. Der Bahnwärter hatte zu trinken begonnen, und die Familie kam immer mehr ins Elend. Die Frau versah den Dienst des Mannes, und in ihrer Verzweiflung fasste sie den Entschluss, sich mit ihren Kindern vor den nächsten Expresszug zu werfen. Der Zug kam heran gedonnert, und sie lagen auf den Schienen. Als der Zug schon ganz nahe bei ihr, ja fast über ihr war, erschien im letzten Moment Gott Krischna, koloriert und mit vier Armen und zwei Köpfen versehen. Er hielt den Eisenbahnzug auf, tröstete die Frau und schickte sie mit ihren Kindern wieder nach Haus, und die arme Frau wurde gerettet. Das nannte man einen sozialen Film.
      Bei jener Szene, als der Gott Krishna erschien, brach das Publikum in frenetischen Beifall aus. Es applaudierte, stampfte mit den Füßen und jubelte vor Vergnügen, weil endlich der Gott erschienen war.
      Das war für mich eine völlig neue Art der Gottesverehrung. Mein Begleiter erklärte mir, dass das indische Publikum sehr religiös sei. Es liebe mythologische Motive. Er gab mir auch den Rat, in meinen Film einige mythologische Motive aufzunehmen. Auch Tänze und Gesänge müssten in diesen Film hinein, meinte er, denn ohne diese Dinge könne man keinen indischen Film produzieren. (...)
      (...) So stand ich also vor der Aufgabe, Ibsens Gespenster zu verfilmen, fünf Stunden lang, mit mythologischen Episoden, indischen Tänzen und religiösen Gesängen.
      In dieser Nacht hatte ich einen sehr unruhigen Schlaf, denn ich wusste wirklich nicht, wie ich ein solches Drehbuch schreiben sollte...
      " (...)
      Willy Haas war ein offener, neugieriger Mensch, und obwohl ihm vieles fremd war und blieb und er viele Dinge nicht verstand, versuchte er dennoch, sie gedanklich nachzuvollziehen. Er versuchte, sich in die andere Kultur einzuführen und sie nicht gleich zu verurteilen, wie dieser Auszug zeigt:
      „(...) Es ist sehr schwer für uns Europäer, indische Filme zu begreifen. Ebenso fremd sind unsere Filme aber den Indern. Wenn ein Inder in eines der drei oder vier europäischen Kinos in Mumbai ging, und es gingen viele Inder auch in die europäischen Filme, so war das Gelächter und Gekicher immer riesengroß. Es war etwas ganz Unmögliches für die Inder, wenn zwei Personen verschiedenen Geschlechts sich auf der Leinwand küssten. Man sagte mir, das geschehe natürlich auch in Indien, aber man zeige so etwas nicht.
      Eine Liebesszene in einem indischen Film wirkt auf uns ganz eigenartig. Das Paar singt sich eine halbe Stunde lang aus voller Kehle an, und man hat das Gefühl, nun explodieren beide schon vor Liebe. Sie berühren sich aber noch nicht einmal mit den Fingerspitzen, denn das gilt als etwas ganz Unmögliches, so dass man es nicht zeigen kann."
      Willy Haas beschreibt in seinem Vortrag auch die damalige Situation und das Ansehen der Filmschauspielerinnen, die in der Anfangszeit des indischen Films aus den unteren Kasten bzw. den Freudenhäusern kamen:
      „(...) Ich hatte auf der vorderen Veranda unseres kleinen Bürohauses eine Tafel mit folgender Inschrift gesehen: ,Den Damen des Ensembles ist es verboten, sich im vorderen Teil des Hauses aufzuhalten: Sie hatten nur im hinteren Teil des Hauses einen Raum zur Verfügung mit sehr hoch gelegenen, vergitterten Fenstern. Es war fast wie ein Kerker, in den niemand hinein blicken konnte. Vor diesem Raum befand sich an der Tür die Inschrift: , Herren ist das Betreten dieses Raumes verboten!' Vor einigen Jahren kamen die indischen Filmschauspielerinnen fast nur aus der Tänzerinnen-/Prostituiertenkaste. Damals gab es, Kamatipuraht:', die Liebesstadt. In 29 Straßen wohnten zehntausende von Mädchen. Bhavani zeigte mir, dass einige Mädchen der Komparserie die kleinen eintätowierten Schönheitsflecken auf den Wangen hatten, das Abzeichen der Prostituiertenkaste. Die angebrachten Verbotsschilder hatten also ihre Berechtigung. Im Studio unterhielt ich mich oft mit der sehr hübschen Hauptdarstellerin. Wir versuchten, uns zu verständigen, denn ich sprach damals keine zehn Wörter Hindustani und sie keine zehn Wörter Englisch. Eines Tages stellte mich der Dramaturg der Bhavnani Produktion, ein unsympathischer Kerl, wegen meiner Unterhaltung mit dieser Hauptdarstellerin zur Rede. Er fragte mich inquisitorisch, ob ich denn nicht wisse, dass diese Frau in Kolkata hinter den Gittern gesessen habe? Hinter den Gittern saßen im Bazar nur die Prostituierten. Da ich mich zu diesem Vorwurf gleichgültig verhielt, wurde der Dramaturg sehr aufgebracht, und er brachte seine moralische Entrüstung deutlich zum Ausdruck. Dieser Mann hat mich später nie mehr gegrüßt und auch nie mehr ein Wort mit mir gesprochen. Die so genannte „bessere Gesellschaft“ Mumbais war noch ganz im prüdesten Viktorianismus stecken geblieben, wenigstens äußerlich."(...).
      Nach Kriegsende kehrte Willy Haas 1947 wieder nach Europa zurück und arbeitete in London als Publizist für den »Central Europe Observer". 1948 zog er nach Hamburg, wo er als Kritiker für die Zeitung »Die Welt" bis zu seinem Tod 1973 tätig war.
      [IMG]https://www.movie-infos.net/cms/ScImageProxy/?key=df2c7b6bc5b42556453d02c08747746109f59857-aHR0cDovL2kubWludXMuY29tL2lLTUhkUXk2V1RDQjAuZ2lm&s=0d5ad5a2965333a475280ac750bac390c2a31506[/IMG]

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      MUSIK, GESANG UND TANZ-
      DAS HERZ DES INDISCHEN FILMS




      „Unsere süßesten Lieder sind jene, die von den traurigsten Gedanken erzählen.“ Geeta Dutt


      DIE BEDEUTUNG DER MUSIK


      Wilde Duftmischungen aus Räucherstäbchen, Gewürzen und Gebratenem umhüllen die Nase des Indienreisenden. Auch die Ohren kommen auf ihre Kosten, vorbeiwehende schrille Musikfetzen und dichte Klangwolken gehören zu den markantesten Eindrücken dieses Landes. Zuckersüße hohe Frauenstimmen begleiten die Busfahrten, und rasant galoppierende Tabla- Klänge untermalen die Spaziergänge über den Basar. Plärrende Megaphone zwischen Ladenschildern und auf Fahrrad-Rikschas werben für die neusten Filmsongs. Bis an die Schmerzgrenze wird dabei oft der Pegel hochgejagt; um gegen die anderen vielfältigen Töne anzuspielen. In Indien ist Musik ein essentieller Bestandteil des Lebens. Schon der Start ins Leben beginnt mit Musik, das Neugeborene wird sozusagen mit den Klängen des dholak (Trommel) getauft. Das Kind wächst mit Musik auf, überall hört es Volkslieder und religiöse Lieder, jede Zeremonie, jedes Fest wird instrumental begleitet. Auch im Alltag wird es den Milchmann, den Wäscher oder die Frauen auf den Reisfeldern bei ihrer Arbeit singen hören. Man wacht mit Musik auf und schläft mit Musik ein. So ist es nicht verwunderlich, dass die Handlung in den indischen Filmen vor allem mit Musik, Gesang und Tanzeinlagen durchsetzt ist. Dem westlichen Zuschauer erscheinen die indischen Mainstreamfilme meist zu kitschig, die Darstellung der Emotionen zu übertrieben, doch für indische Zuschauer entsprechen sie deren Grundverständnis von Ästhetik.
      Ob ein Film in Indien gut anlaufen wird oder nicht, hängt vom Staraufgebot und vor allem von seiner Musik ab. Die Songs entstehen bereits lange vor den Dreharbeiten, und drei Monate vor Filmstart beginnt die Musikoffensive. Die Produzenten lassen eine enorme Werbekampagne anlaufen, in allen Fernsehkanälen werden täglich aufwändige Videoclips der heißesten Gesangs- und Tanzsequenzen gezeigt, und Radiostationen spielen stündlich die neuesten Hits. 200 Millionen eigens dafür produzierte Musikkassetten sollen die neuen Kinohits unterstützen. Investoren, Produzenten, Verleiher und Stars warten bangend während der letzten Wochen bis zur Premiere auf die Reaktion des Publikums.
      Das Ohr entscheidet in Indien, ob der Film ein Hit oder ein Flop wird. Die Geschichte des Films ist oft bald vergessen, aber die Songs leben weiter im Gedächtnis und im Herzen der Zuschauer. Von 800 Filmen haben fast 700 ähnliche Filmmuster, doch die Musik zeigt fast immer wieder neue Energie. Eine negative Bewertung der Filmmusik wäre katastrophal, und der Film käme je nach Verleih entweder nur für ein paar Tage oder überhaupt nicht in die Kinos. Normalerweise werden etwa 200 Kopien an die Kinos in den Großstädten freigegeben - falls in der ersten Woche die Spielstätten gut besucht werden, verlängert man die Vorführungen auf zwei und mehr Wochen.
      Melodiös, originell, einfach und leicht nach zu singen sollen die folkloristischen Lieder sein. Die Zuschauer tolerieren Wiederholungen von Filmplots und akzeptieren stereotype Charakterdarstellungen, doch Einfallslosigkeit in den Gesangs- und Tanzsequenzen verzeihen sie nicht. Kein Song eines Filmes kann noch mal für einen anderen Film benutzt werden. Jeder Filmsong ist somit im indischen Film ein Unikat. Es gibt nur Querverweise von einem Lied zu anderen Liedern, das nennt man Antarkshari, ein musikalisches Refrainspiel aus Nordindien. Es ist äußerst beliebt, nicht nur als Zeitvertreib in den Bussen und Zügen, sondern auch in Quizshows oder gar in den Filmen selbst. Bei Antarkshari spielen zwei Spieler gegeneinander: Einer beginnt zwei mukhra (Refrainzeilen) aus einem Filmsong zu singen, der andere Spieler wartet gespannt auf das letzte Wort, dann greift er den letzten Buchstaben dieses Wortes auf und stimmt damit einen neuen Song an. Da circa 100.000 solcher Filmsongs geschrieben wurden und der durchschnittliche Inder etwa 2000 Lieder kennt, kann er aus einem reichen Repertoire an Melodien und Versen schöpfen.
      Javed Akhtar erzählt in einem Interview, dass dieser Brauch des Auswendiglernens von Filmsongs in den 50er Jahren angefangen habe. Zu jener Zeit waren Grammophone und Platten für den indischen Durchschnittsbürger schwer erhältlich. Seinen Lieblingssong konnte man nur hören, wenn man ins Kino oder ins Restaurant ging oder Radio hörte. Aus diesem Grunde bemühten sich viele, die Lieder auswendig zu lernen.


      FILMMUSIKKOMPOSITION UND PRODUKTION

      Bevor in Indien mit den Dreharbeiten für einen Film begonnen wird, müssen Musik und Songtexte feststehen. Der Produzent sucht sich einen Komponisten und einen Songtexter und erzählt ihnen grob die Geschichte des Films. Dann teilt er ihnen mit, von welcher Art der erste Song sein soll und welche Funktion er innerhalb der Geschichte hat. Dieser Song muss schnell fertig gestellt und im Tonstudio aufgezeichnet werden, da meist bereits einen Monat später mit den Dreharbeiten zu dieser Gesangsszene begonnen wird.
      Nach der Einweisung durch den Produzenten gehen Komponisten und Songtexter verschieden vor: Entweder wird zunächst der Text ohne eine musikalische Vorlage geschrieben und dann dem musikalischen Leiter überreicht, der dazu die Musik komponiert, oder der Komponist kreiert zunächst mehrere verschiedene Melodien und spielt sie dem Texter vor. Gemeinsam wählen sie dann eine Melodie aus, und der Songtexter schreibt die Worte zu der Melodie. Gulzar, Sameer, Anand Bakhshi und Javed Akhtar gehören in der Bollywood- Filmindustrie zu den besten Songtextern, sie haben über die Jahre hinweg die meisten Auszeichnungen für ihre Liedtexte erhalten.


      KOMPONISTEN


      Songtexter und Starkomponisten arbeiten oft gleichzeitig an 100 Filmsongs: Seit einem Musikerstreik in den 70er Jahren, der zu einem Mangel an verfügbaren Songmaterial führte, werden die Noten auf Vorrat geschrieben. Einer der damals besten Musikkomponisten war der Bengale S. D. Burmann, der auch die Musik für "Jaal" (1952) und "Taxi Driver"(1954) komponierte. Weitere nennenswerte Komponisten sind Naushad, Nadeem Shravam und C. Ramachandra. Letzterer war nicht nur Komponist, sondern auch Sänger, er brachte frischen Wind in die Filmmusik, indem er westliche und lateinamerikanische Musikstile wie Rumba und Samba in die indische Musik integrierte. Besonders in den 50/60er Jahren hatten Komponisten einen großen Einfluss in der Öffentlichkeit und in der Filmbranche, sie waren nicht nur angesehener als die Filmemacher, sondern bekamen auch ein höheres Gehalt. In den 70er und 80er Jahren erlebte die Filmmusik eine Krise und die Qualität sank. Action- und Gewaltfilme, die keine besonderen Musikkompositionen benötigten, waren verstärkt angesagt. Viele etablierte Filmkomponisten starben in dieser Zeit. Eine neue Generation von Komponisten begann sich Ende der 80er Jahre zu formieren, als die „Teenager- Lovestorys“ in Mode kamen. Repräsentanten dieser neuen Generation sind Anu Malik, das Team Shankar, Loy, Ehsaan und A. R. Rahmann.
      Anu Malik schaffte 1993 seinen Durchbruch mit der Musik für den Film "Baazigar". Er ist der erste Hindifilm-Komponist, dessen Musik in einem Hollywoodfilm auftaucht, sein Stück "Chamma Chamma" aus dem Film "China Gate" (1998 ) wurde von Baz Luhrmann für den Film "Moulin Rouge" neu aufgenommen. Das Team Shankar, Loy, Ehsaan erhielt für "Dil Chahta Hai" (2001) eine Auszeichnung. Ihre Musik ist frisch und mitreißend. Der derzeit talentierteste und berühmteste Musikkomponist ist der erst 36-jährige A. R. Rahmann. Schon sein Vater war ein bekannter Künstler und förderte Rahmanns Talent. Bereits im Alter von acht Jahren stand Rahmann auf der Bühne und gab Konzerte. Ehe er jedoch Komponist wurde, arbeitete er in Indien als Keyboardspieler. Seine Kollegen sagen über Rahmann, dass er Musik „lebt“ und ein enormes Talent und Wissen besitzt. Er hat seinen ganz eigenwilligen Stil, seine Musik klingt nach einer Mischung aus mittleren Osten und indischer Folkloremusik. Die Zusammensetzung der Instrumente ist meistens nicht sehr indisch, dafür sind es aber die Melodien. Auch die Auswahl seiner Playbacksängerinnen ist für indische Verhältnisse eher ungewöhnlich. Viele seiner Songs werden von unbekannten Sängerinnen gesungen, die danach wieder in der Versenkung verschwinden. Er glaubt, dass „neue“ Stimmen besser für "neue" Songs geeignet seien, da sich ansonsten die Songs mit „alt“ bekannten Stimmen eher "alt" anhören würden. Ausgezeichnet wurde er für die Filmmusik von „Roja“ (1993), „Bombay“ (1995), „Dil Se“ (1998 ), "Pukar" (1999), »Taal"(1999) und „Zubeida“ (2001). In Europa wurde er mit der Musik für das Musical »Bombay Dreams" von Andrew Lloyd Webber bekannt. Rahmann steht für eine neue Ära in der indischen Filmmusik und inspiriert auch die Choreografen zu außergewöhnlich guten Tanzschöpfungen. Rahmann ist jedoch nicht nur Komponist, sondern auch Sänger, seine Konzerte sind immer ausverkauft.
      Er hat in den letzen zehn Jahren über 100 Millionen CDs verkauft, etwa soviel wie Madonna und Britney Spears zusammen. Und 1999 war er sogar in Deutschland zu sehen und zu hören, er sang zusammen mit Michael Jackson ein selbst komponiertes Duett im Münchner Olympiastadion, das live in 30 Länder übertragen wurde. Er genießt in Indien Popstar-Status.
      Die Wichtigkeit der Filmkomponisten zeigt sich ebenfalls auf den Filmplakaten, wo sie alleinig neben den Namen des Regisseurs und des Produzenten angekündigt werden. Die Namen anderer Filmteammitarbeiter werden nicht erwähnt, und die Gesichter der Schauspieler auf den Plakaten sind jedem Inder bekannt, so dass sie nicht mehr erwähnenswert sind.
      Indien hat trotz der Fremdeinflüsse der britischen Kolonisation nie seine kulturelle Vielfalt verloren. Die Filmmusik wurde in Indien zunehmend zu einem vereinenden Faktor zwischen den verschiedenen Regionen. Sie war dem Publikum vertraut und half, Sprachbarrieren zu überwinden.
      Immer häufiger werden verschiedene Musikstile, Instrumente und Rhythmen der Regionen miteinander verbunden. Schnelle, kräftige Bhangrarhythmen aus dem Punjab wechseln sich mit wehmütigen bengalischen Volksweisen ab. Durch die Kombination und zunehmende Anzahl von verschiedenen Zupf- und Schlaginstrumenten wie Sitar, Sarod, Sarangi, Dholak, Tablas und auch westlichen Instrumenten wie Violine und Keyboard ergaben sich mehr und mehr Klangfarben. Durch diese Fusion hören sich die Songs und die Musik in den Filmen heutzutage anders an als in den 40er und 50er Jahren.
      Filmmusik reflektiert die Interaktion zwischen Tradition und Modeme, Stadt und Land sowie nationaler Identität und dem Westen. Hindifilmmusik trägt auch zur kulturellen Integration der verschiedenen regionalen Musikrichtungen bei und sorgt für einen gegenseitigen sozialen Austausch. Die traditionelle indische Volksmusik beeinflusste das Hindikino, doch dieser Prozess erfolgte auch in umgekehrter Richtung. Auf indischen Hochzeitfeiern ist es heutzutage Trend, neben der traditionellen Musik auch Bollywoodschlager zu spielen.



      ENTSTEHUNG UND AUFBAU DER SONGSEQUENZEN


      Ein Bollywoodfilm hat meist fünf bis acht Songsequenzen, die jeweils zwischen sechs und zehn Minuten dauern. Wenn es mehr Gesangseinlagen sind, wird der Film als Musical angekündigt. Für jede Situation, in der gesungen wird, müssen sich der Songschreiber und der Komponist jedes Mal wieder etwas Neues einfallen lassen.
      Jeder Song, egal ob es ein "Liebeslied", ein "Hochzeitslied" oder einfach ein "trauriges Lied" ist, muss frisch und anders klingen. Gleichfalls müssen die Lieder auf die Charaktere der Protagonisten zugeschnitten sein, da jede Figur ihr individuelles Temperament und ihren persönlichen Wortschatz besitzt. Ein Held singt anders als ein Schurke, ein Playboy anders als ein Romantiker. Erfolgreiche Songs zu schreiben, ist in Indien daher eine wahre Kunst. Es muss jede Menge beachtet werden. In einem Lied soll alles Wichtige wie im Telegrammstil in acht bis zehn Zeilen gesagt werden. Die Wörter sollten zudem im gewissen Maße literarisch und dennoch leicht verständlich sein. Auch sollten die Wörter musikalisch klingen, Töne sollen Bilder im Kopf entstehen lassen. In den meisten Filmsongs gibt es ein mukhra (Refrainzeile) und zwei bis drei antaras (Strophen).
      Das Schwierigste für einen Songschreiber, meint Javed Akhtar, sei es, metrisch zu den Rhythmen der Musik zu schreiben. Man muss die Stimmung der Melodie verstehen, ihre Kurven und Konturen, die Wörter müssen sich mühelos an die Melodie anpassen und die Stimmung wiedergeben. Für bestimmte Melodien braucht man starke Wörter, die auf den "Beat" passen. Der Zuhörer muss fühlen, dass dieses Wort genau auf diese Note passt?
      Eine Musiknummer im Film kann nie isoliert gesehen werden, sie steht immer in Beziehung mit der vorangegangenen und der darauf folgenden. Den Liedern kommen in narrativer Hinsicht verschiedene Aufgaben und Bedeutungen zu. Es gibt Lieder, die eine Handlung weiter aufbauen und ein Stück vorantreiben oder als Wendepunkt dienen. Beispielsweise erscheint nach dem Song die Figur auf einmal in eitlem anderen Licht oder sie beginnt, sich anders zu verhalten. Daneben sollen Gefühle wie Liebe, Eifersucht, Hass oder auch Erotik, die vorher in der Geschichte nur angedeutet wurden, verdeutlicht werden. Andere Gesangseinlagen stellen dagegen eine Zusammenfassung des vorherigen Geschehens dar, sie lassen nochmals alles Revue passieren und bereiten auf das Kommende vor. Es gibt auch so genannte "mitch-match-songs", die mit besonders schönen ausdrucksstarken Bildern ausgestattet sind und lediglich als Verschnaufpause dienen, ohne die Handlung zu unterbrechen. Die Funktionen der einzelnen Gesangssequenzen werden in der Regel miteinander kombiniert, wobei entweder alleine, im Duett oder mit einem Tanzensemble gesungen wird.
      Die Gestaltung und Montage der jeweiligen Gesangssequenzen erfolgt folgendermaßen: Bei den Lovesongs ist es üblich, das Ort- und Zeitgefühl aufzuheben und das Liebespaar durch ein Raum-Zeit -Vakuum reisen zu lassen. Es zählt nur noch das subjektive Empfinden der Protagonisten, das jenseits aller materiellen Begrenzungen liegt. Im ersten Bild singen sie auf einer grünen Bergwiese, dann laufen sie durch den Sand einer Wüstenlandschaft, und schließlich liegen sie ineinander verschlungen in den Wellen des Meeres.
      Ebenso gibt es Gesangseinlagen, die nicht den vorherigen Handlungsort wechseln, der Song entwickelt sich am Handlungsort selber und wird nahtlos integriert. Bei diesen Songs erfolgt plötzlich eine Verdichtung des Schauplatzes mit einer oder mehreren Personen und Geschehnissen. Es wird das Wunschdenken der Figur projiziert, die sich plötzlich ganz intensiv nach bestimmten Menschen sehnt. Entweder ist dieser Mensch tragisch ums Leben gekommen, und die Figur sieht ihn plötzlich lebendig vor sich, tanzt und singt mit ihm. Oder man hat sich im Streit getrennt und träumt von der Versöhnung. Beim letzteren Fall wird die moralische Gesinnung der Figur durch den Song unterstützt und trägt dazu bei, dass sie sich weiter um die Aussöhnung bemüht.
      Die meisten Filme ohne Gesangseinlagen waren in Indien ein Misserfolg. Beispiele für Filme, die zwar eine gute Story hatten, jedoch keine Songeinlagen, waren "Naujawan" (1937) von den Wadia Brüdern und "Muma" (1954) von Abbas. Die Zuschauer waren so enttäuscht, dass sie ihr Eintrittsgeld wieder zurück haben wollten. Der einzige Film, der es schaffte, auch ohne Lieder in Indien ein Hit zu werden, war der Suspense- Thriller "Kanoon" (1960) von B. R. Chopra. Dieser Film hat deswegen auch nur eine Länge von zweieinhalb Stunden. Dass B. R. Chopra ein großer Fan des Hollywood- "Film noir"-Genres war, merkt man diesem Film an. Es geht um ein Kapitalverbrechen, Intrigen, falsche Verdächtigungen und eine spannende Gerichtsszene, die mit beeindruckenden Kran-, Dolly- und Trolleyaufnahmen inszeniert wurde. Trotz seines Erfolgs fanden sich keine weiteren Nachahmer, und die obligatorischen Song- und Tanzszenen blieben die Regel.



      PLAYBACKSÄNGER/ INNEN


      Jedem Zuschauer, der einen indischen Film sieht, wird stellenweise die enorme Lautstärke auffallen. Die Darsteller schreien stellenweise mehr, als dass sie sprechen. Dieser Trend stammt aus der Anfangszeit des Tonfilms, als die Tontechnik noch sehr einfach war und man wirklich schreien musste, um nachher noch etwas von den Dialogen zu hören. Komischerweise hat sich diese Tendenz bis heute erhalten. Noch bis Mitte der 40er Jahre wurden Lieder live während des Drehs von den Schauspielern gesungen. Da Nebengeräusche sich sehr störend auf die Tonaufnahmen auswirkten, durften sich weder die Schauspieler noch die Kamera viel bewegen. Die Gesangsszenen aus den Filmen dieser Zeit wirken recht amüsant, da man den Schauspielern ihre Mühe anmerkt, nicht den vorgesehenen Bildrahmen zu verlassen. Es wurde ein Mikrofon fixiert, die Musiker saßen hinter der Kamera, und der Schauspieler konnte sich kaum bewegen, da er fürchten musste, dass die Tonbalance zwischen den Musikern und seiner Stimme aus dem Gleichgewicht geriet. Die Einstellungen dieser Zeit wirken daher recht statisch. Ende der 30er Jahre kam allmählich die Playbacktechnik auf zunächst nur bei den Darstellern. Der Song wurde vorher im Studio aufgenommen und dem Darsteller dann beim Dreh vorgespielt. Viele Schauspieler jener Tage hatten zwar gute Stimmen, jedoch meist keine Gesangsausbildung. Bekannte singende Schauspieler der 30er Jahre waren Durga Khote, Zubeida, K. L. Saigal, Surendra, Nurjehati und Suraiya. Es war jedes Mal ein Drahtseilakt, sich auf Gesang und Schauspiel gleichzeitig zu konzentrieren, auch hatten die Schauspieler Angst, dass ihre Stimme im falschen Moment versagen würde.
      Ab 1935 gab es zwar schon vereinzelt Playbacksängerinnen, doch der große Trend setzte erst in den 50er Jahren ein. Viele »Singing Stars" verschwanden dann von der Leinwand. Neue Darsteller waren gefragt, die genau lippensynchron arbeiten konnten. Dieses Verfahren ermöglichte dann Schauspielern wie Raj Kapoor, Dilip Kumar, Meena Kumari und Nargis, ihre Karriere aufzubauen.
      Dem Publikum wurde diese Änderung anfangs nicht bekannt gegeben. Weder in der Zeitung noch im Filmabspann wurden die Namen der Playbackkünstler angekündigt. Auch auf den Schallplatten erschien nur der Name des Akteurs und nicht der des Playbackkünstlers.
      Besonders Lata Mangeshkar, die Ikone der weiblichen Playbacksänger, setzte sich für die Anerkennung ihres Berufstandes ein - nachdem die Hörer des Radiosender "All India" wissen wollten, wer das Lied "Aayega aanewala" sang. Der Chef des Radiosenders rief den Produzenten an, und Lata durfte die verkürzte Version des Liedes singen. Lata erreichte daraufhin, dass der nächste und auch die darauf folgenden Filme ihren Namen im Abspann erwähnten. Raj Kapoors Film "Barsaat" (1949) war der erste Film, der ihre Arbeit in dieser Hinsicht würdigte.
      Die Playbacksängerinnen hatten, ehe sie zum Film kamen, eine jahrelange Ausbildung im klassisch-indischen traditionellen Gesang absolviert. Der Gesangspart des Helden, der Heldin oder des Vamps wurde immer von bestimmten Sängerinnen übernommen. Der Heldin wurde eine klare hohe Stimme zugeordnet, die meist über das Hohe C hinausging, die Stimme des Vamps klang eher tief und rauchig, um ihren weltlichen Charakter hervorzuheben.
      Der Gesang der 30er und 40er Jahre war geprägt vom halb klassisch indischen Stil, in dem die Nasallaute und das Vibrato besonders betont wurden. Von den 50er Jahren bis heute wurde dann die reine, klare Stimme von Lata Mangeshkar das absolute Vorbild. Sie hat inzwischen 30.000 Lieder in 20 verschiedenen Sprachen gesungen und ist im Guinessbuch der Rekorde zu finden. Ihre Stimme umfasst vier Oktaven. Sie und ihre Schwester Asha wurden schon als Kinder von ihrem Vater im klassischen Gesang trainiert. Lata ist die gefragteste und respektierteste Künstlerin nicht nur in der Filmbranche, sondern in ganz Indien und Asien. Sie erhielt die höchste Auszeichnung "Bharat Ratna" (Star von Indien).
      Es gibt keinen Song, den zu singen sie nicht in der Lage wäre. Viele Schauspielerinnen glauben, dass ihr Film nur ein Hit wurde, weil Lata für sie sang. Sie verkörpert nicht nur gesanglich vergeistigte Liebe und Jungfräulichkeit der Heldin, sondern sie lebt sie auch. Lata, die inzwischen um die 80 Jahre alt sein dürfte, ist bis heute unverheiratet. Ihr Kultstatus führte dazu, dass es viele so genannte "Lata- Klone" gab. Playbacksängerinnen wie Saman Kalyanpur, Anuradha Pandwal oder Sunidhi Chauhan versuchten, sie zu imitieren, da sie ansonsten keine Chance für sich im Business sahen.
      Erst mit dem Film "Saaz" (1996) wurde Latas heiliger Status berührt, Sai Paranjpyes Stimme und Interpretation löste einen enormen Erfolg beim Publikum aus. Sie eröffnete damit nun auch anderen Playbacksängerinen die Möglichkeit nicht als Kopie von Lata agieren zu müssen. Derzeitige erfolgreiche Playbacksängerinnen neben Lata sind Alisha Chinnai, Hema Sardesani, Sujata Trivedi und Latas Schwester Asha-Bhosle Burmann Im Gegensatz zu ihrer Schwester war Asha zweimal verheiratet, u. a. mit den berühmten Musikdirektor R. D. Burmann, nun ist sie verwitwet. Asha Bhosle- Burmann singt wie ihre Schwester Lata Playback, doch übernimmt sie in den Filmen den Gesangspart der weltlichen und verruchten Frauenfiguren. Ihre Stimme hat genau den gewissen Sex-Appeal, den man für diese Figuren braucht. Asha erkennt man an ihren »Bazari"- Eigenschaften, sie atmet häufig, fügt englische Wörter oder jazzartige Phrasen wie »za za za zu zuuuu" hinzu. Besonders bekannt wurde sie mit dem Lied »Monika my Darling" aus dem Film "Caravan" (1972), in dem sie den Gesangspart der Schauspielerin Helen übernahm, die die Rolle des Vamps darstellte.
      Einige der berühmtesten und beliebtesten männlichen Playbacksänger waren Mohammed Rafi, Mukesh, Talat Mahmood und Kishore Kumar. Letzterer begann populär zu werden, als das indische Publikum sich auch für musikalische Elemente und Musikrichtungen aus dem Westen öffnete. Sie alle sangen den Löwenanteil der damaligen Filmsongs und eroberten die Herzen Millionen indischer Frauen. Mukesh sang beispielsweise für die damaligen Helden Raj Kapoor und Dilip Kumar und hauchte ihren Figuren Seele ein. Als er 1976 während eines Konzerts mit Lata Mangeshkar starb, meinte Raj Kapoor: »Meine Seele ist gestorben" Derzeitig erfolgreichste Playbacksänger sind Udit Narayan, Sukhwindera Singh und Kumar Sanu, die in den letzten Jahren von der indischen Filmzeitschrift »Filmfare" mit dem Titel "Best Playbacksinger" ausgezeichnet wurden und die Gesangparts für Shah Rukh Khan singen.
      Viele der Playbacksängerinnen verstehen zwar viel von Musik, haben jedoch Schwierigkeiten mit der Aussprache und der Betonung der Sprache, in der sie singen müssen, da es oft nicht ihre Muttersprache ist. Wenn das Gesangsstück sehr schwer ist, wird den Playbacksängerinnen zunächst eine Kassette geschickt, mit der sie dann üben können. Die Songtexter erklären ihnen die Worte des Liedes, die sie dann aufschreiben, und der Komponist informiert sie über den Charakter des Helden und des Songs. Mit dem Harmonium wird dann der Song einstudiert.
      Playbacksängerinnen beklagen, dass heutzutage oft weder Musiker noch männliche Sänger für die Duette in den Tonstudios anwesend sind - die Gesangparts werden aus zeitlichen Gründen getrennt aufgenommen. Die Aufnahme darf höchstens zwei Stunden dauern, und man darf sich keine Fehler erlauben. Was nicht sehr einfach ist, da sie nicht nur die Gesangstechnik und die Aussprache beherrschen müssen, sondern auch ein gewisses schauspielerisches Talent gefragt ist. Je nach Figur erfolgen stimmliche und musikalische Anpassungen, beispielsweise hängt die Aussprache von der ethnischen, sozialen und religiösen Zugehörigkeit ab, je nachdem, ob die Figur einen Hindu, Sikh oder Muslim darstellt, der aus dem Punjab oder aus Gujarat stammen und der Ober-, Mittel- oder Unterschicht angehören kann.
      Meist werden den Stars immer wieder dieselben Playbacksänger zugeordnet. Derzeit angesehenste Playbacksängerinnen sind Sunidhi Chauhan, Kavita Krishnamurthy und Alka Yagnik. Sie singen die Parts für Kajol, Rani Mukherji und Karisma Kapoor.
      Es gibt aber auch Stars, die ihre Solos selber singen, wie Amitabh Bachchan, der von den 70er Jahren an bis heute keine Playbacksänger für sich singen lässt, und auch Aamir Khan hat in seinem Film "Lagaan" (2001) die Gesangseinlagen selber übernommen.
      Der Gesang und die Musik waren bislang ein wichtiger Teil des Filmdramas, sie hatten die gleiche Gewichtung wie eine Filmszene. Nach Ansicht Javed Akhtars verlieren sie heute jedoch zunehmend an Bedeutung. MTV und Channel V steuern ihren Teil dazu bei. Javed Akhtar meint, dass wir in einer Wegwerf -Gesellschaft leben, in der Musik nur noch konsumiert und schnell uninteressant wird. Der Grund dafür liegt auch an der zunehmend seichten Musik, deren Qualität bei der Massenproduktion oft auf der Strecke bleibt. Doch auch wenn gute Musik kreiert wird, verliert sie bald an Beachtung, da sie keine Zeit hat, wirklich "einzusickern ". Und wenn keine Zeit zur Reflektion bleibt, vergisst man die Musik.



      DIE TANZSEQUENZEN


      Tanzszenen gehören wie die Musik und der Gesang zur Formel eines indischen Mainstreamfilms. Doch im Gegensatz zu den Songs und der Musik sind die Tanznummern weniger in die Hauptgeschichte integriert. Um die wahre Bedeutung der Tanzszenen in den Filmen zu verstehen, ist es notwendig, etwas über die Tradition des indischen Tanzes zu wissen.
      Im alten Indien wurde einst der Tanz als heilige Kunst angesehen. Zeugen dieser Zeit sind die Darstellungen Shivas, des Hindugottes, der als männlicher Tänzer mit einem Fuß in der Luft und mit einem Feuerring dargestellt wird. Der Tanz war ursprünglich Bestandteil religiöser Zeremonien, und Tänzer genossen
      ein hohes Ansehen. Diese klassischen indischen Tänze wurden nicht nur in den Tempeln, sondern auch im Sanskrittheater aufgeführt. Die Tänzer zelebrierten Geschichten aus den klassischen Epen Ramayana und Mahabharata und aus Volkslegenden. Jede einzelne Handbewegung, jeder Gesichtsausdruck eines Tanzes wurde genau festgelegt und besaß eine eigene Bedeutung. Die Tänzer wollten Stimmungen und Gefühle erzeugen. Ihr höchstes Ziel war die spirituelle Vereinigung mit dem Kosmos. In der indischen Antike war es üblich, junge Mädchen mit einzelnen Gottheiten zu vermählen. Als Devadasis, Gottesdienerinnen, wohnten sie im Tempel, zelebrierten Opferrituale und tanzten zu Ehren der Tempelgottheit. Sie lebten ebenso wie die Brahmanenpriester von den Spenden der Gläubigen. Bis Mitte des 16. Jahrhunderts hatten die Devadasis einen hohen gesellschaftlichen Status und waren von gesellschaftlichen Beschränkungen, die normalen Frauen sonst auferlegt wurden, befreit. Sie konnten sich frei bewegen, und auch Nebenverdienste wurden ihnen nicht verwehrt. Unter moslemischer Herrschaft aber degenerierte der Brauch. Der Niedergang vieler Hindutempel zwang die Tänzerinnen, gegen Bezahlung in den Häusern der Feudalherren aufzutreten. Geschäftemacher nutzten die Devadasi- Tradition und boten junge Mädchen als Mätressen an. Der Tempeltanz bekam den schalen Beigeschmack der Prostitution und geriet in Verruf. Aus Devadasis wurden Dasis, Prostituierte und Sklavinnen.
      Deshalb spielten bis in die 70er und 80er Jahre nur »gefallene Frauen" wie Kurtisanen, Vamps, Prostituierte oder das Kabarettgirl die erotischen Tanzparts in den Filmen. Schauspielerinnen wie Helen, Cuckoo, Meena Kumari, Vyjayantimala, Sharmila Tagore und Rekha starteten ihre Karriere als Kurtisanenfiguren.
      Die Filmindustrie hat jedoch im Laufe der Zeit den Tanz von seinem einstigen niedrigen Status befreit und ihm zu neuem Ansehen und Ruhm verholfen. "Chandralekha" ( 1948 ) von S. S. Wasan war der erste spektakuläre Tanzfilm, der zu einer Änderung in der Filmproduktion führte und den Tanzszenen zu mehr Gewichtung innerhalb und außerhalb der Filme verhalf. Heute erlernen so manche Töchter aus gutem Hause vor der Eheschließung ein wenig Tanz, damit sie sich hübsch bewegen. Viele der heutigen Schauspielerinnen, wie Madhurit Dixit und Rekha, waren ehemals Tänzerinnen, die jahrelang eine klassische Tanzausbildung genossen hatten, ehe sie zum Film kamen. Tänzerinnen können in Indien nicht von ihren Gagen leben, die Situation ist sehr schwierig, da es zu viele von ihnen gibt. In Südindien, woher die meisten Tänzerinnen kommen, ist der Markt übersättigt, deshalb versuchen viele ihr Glück in der Filmindustrie.
      Tanz und Gesang gelten im indischen populären Film als selbstverständliche Gestaltungsmittel, die die gewünschte Emotionalität bei den Zuschauern verstärken. Sie ermöglichen durch Mitsingen und Mitwippen eine direkte Beteiligung. Der Aufwand für eine Produktion von Song- Tanznummern ist nicht nur organisatorisch, sondern auch finanziell enorm hoch.



      CHOREOGRAPHIE UND CHOREOGRAPHEN


      Zuerst erarbeiten Komponisten und Songschreiber die musikalische Grundlage für die Choreographie. Diese wird dann dem Choreographen, auch »dance-master" genannt, übergeben. Zu dieser Zeit ist das Drehbuch oft noch gar nicht fertig. Lediglich die Charaktere der Protagonisten stehen schon fest, ist der Held eher ein Playboy, bekommt er andere Tanzschritte zugeteilt als der schüchterne Jüngling. Wichtig hierfür ist die Kenntnis der tänzerischen Fähigkeit des Darstellers, die in die Choreographie einbezogen werden. Falls ein Schauspieler überhaupt kein Talent zum Tanzen besitzt, wie Ashok Kumar, der Held des 1943 gedrehten Films "Kismet", muss ein Double eingesetzt werden.
      Nachdem die Choreographie feststeht, proben die "dance-master" mit den Tänzern selbst oder mit so genannten "standins". Die Choreographen bestimmt nicht nur über die Tänzer, sondern ebenso über die Kostüme und das Make-up, was in Absprache mit dem Artdirector geschieht. Sie dirigieren auch die Kameraarbeit bei den Tanzszenen und entscheiden, wann eine Zeitlupe oder ein optischer Trick eingesetzt werden soll. Bekannte Tanzmeister, die Diskostil, Breakdance und Jazz in den 70er und 80er Jahren eingeführt haben, waren Master Kamal, Amitabh Bachchans bevorzugter Tanzmeister, und Vijay, der Preise für die Filme "Karz" (1980) und "Qurbani" (1980) gewann. Obwohl die Filmindustrie von Männern beherrscht wird, haben einige Choreographinnen sich einen respektablen Platz erobern können. Saroj Khan schaffte es, in "Azaad" (1955), "Hero" (1983) oder "Tezaab" ( 1988 ), Männern das Gefühl für Erotik und Verführung zu vermitteln. Farah Khan, die zu den derzeitigen Topgrößen der Filmindustrie zählt und mit allen Stars des Hindikinos zusammengearbeitet hat, schaffte ihren Durchbruch mit dem Film "Dil Se" ( 1998 ), als sie für Mani Ratnam die Tanzszene "Chaiya Chaiya" im offenen Waggon eines fahrenden Zuges mit Shah Rukh Khan und 30 Tänzern inszenierte. Farah Khan bekam das besondere Recht, den Schnitt der Tanzszenen zu überwachen.
      Die Inspiration für die Choreographie holen sich die Meister aus verschiedenen Quellen wie den klassischen indischen Tänzen, z.B. dem Bharatnatyam, dem Kuchipudi oder dem Kathak, und auch aus lateinamerikanischen und westlichen Tänzen wie Salsa, Samba, Ballett oder Flamenco. Wichtig ist die richtige Kombination und Einbindung. Berühmte Dancemaster haben ihren eigenen unverkennbaren Stil und die Vorliebe für bestimmte Bewegungen. Die größten Unterschiede zwischen den Tanzszenen bestehen zwischen Paarszenen und Gruppenszenen sowie zwischen Studio- und Außenaufnahmen. Die Studio aufnahmen ermöglichen eine komplexere Gestaltung der Choreographie und mehr Kamerabewegungen und Beleuchtungseffekte.
      Mit den Jahren des Hindi-Kinos haben sich bestimmte Filmtanzstile entwickelt, die ein Hybrid aus allen denkbaren Formen sind. Begabteste Tänzer der heutigen Bollywoodfilme sind Shah Rukh Khan, Hritik Roshan und Govinda. Beste Tänzerinnen sind derzeit Rani Mukherjee, Kajol, Aishwarya Rai und Madhurit Dixit. Einige dieser Schauspielerinnen haben
      entweder eine Ausbildung in klassisch-indischen Tanz oder zumindest Kurse darin absolviert. Ihre Performance wird durch die Tanzeinlagen noch verstärkt.
      Bei der Inszenierung ist es wichtig, dass die Schritte von den Zuschauern einfach nachgemacht werden können und nicht zu viele westliche Elemente enthalten sind. In den Tanzszenen sollen, wie auch in den Gesangseinlagen, alle Gefühle ausgedrückt werden, die vorher nur angedeutet worden sind.



      BEDEUTUNG DER „SEXY SONGS“ UND DER EROTISCHEN TÄNZE


      Was man nicht wagt, in den Dialogen auszusprechen oder in der Handlung zu zeigen, wird mit Liedern gesagt, vor allem, was die Erotik angeht. Erotische Songs und vulgäre Tanzbewegungen sorgen für die audiovisuelle Auslebung von sexuellen Phantasien, wie das anzügliche berühmte Lied in dem Film "Khalnayak" (1993): "Choli ke peeche kya hai?" (Was verbirgt sich in der Bluse?), das besonders das indische männliche Publikum anheizte. Das Kino bietet dem indischen Zuschauer in dieser Hinsicht die Möglichkeit einer Art Ersatzbefriedigung an, vor allen Dingen in den Filmen, in denen neben den obligatorischen "wet-sari"- Szenen, in denen die Heldin einen nassen Sari trägt, immer mehr nackte Haut gezeigt wird oder Augen und Lippen in Großeinstellungen besonders betont werden. In "Kabhi Khushi Kabhie Gham" (2001) oder in "Andaaz" (2003) sieht man die Protagonistinnen in sehr knappen Miniröcken und in hautengen Leggings umhertanzen. Der Umgang mit Erotik hat sich aber nur in der Filmbranche verändert und tendiert mehr zum Stil der westlichen Zivilisation. Indische Produzenten versuchen auf diese Weise, mehr Besucher in die Kinos zu locken.
      Indiens Kultur ist geteilt zwischen persönlichen Vorstellungen und gesellschaftlichem Verhaltenskodex. Die Produzenten wollen diesen Zwiespalt mit der oben beschriebenen Art von Szenen überbrücken. In der Gesellschaft sind Sexualität und Erotik noch immer ein Tabuthema, wie der nächste Abschnitt zeigt.



      EROTIK UND SEXUALITÄT IN INDIEN

      Aufgrund der immensen Bevölkerungszahl herrscht in Indiens Großstädten eine absolute Raumnot. Hektisch und gedrängt geht es in den Metropolen zu, Bahnsteige und Böden sind immer voll von Wartenden, Schlafenden und Pendlern. Kein Fleck Boden, keine Mauernische bleibt ungenutzt. Mehr als ein Viertel der indischen Gesamtbevölkerung, rund 250 Millionen Menschen, lebt heute in den aus allen Nähten platzenden Metropolen. Ein Ende ist nicht abzusehen, im Gegenteil, die Anzahl soll sich in den nächsten Jahren noch um 20 Millionen pro Metropole erhöhen. Mit etwa 6.000 Menschen pro Quadratkilometer erreichen die einwohnerreichsten Städte auch ohne Wolkenkratzer internationale Spitzenwerte. Die meisten vielköpfigen Familien müssen sich ein bis zwei Räumen teilen, pro Kopf stehen jedem oft weniger als drei Quadratmeter Wohnfläche zur Verfügung. Einsame Schäferstündchen, wie wir sie im Westen kennen, sind in Indien für die Mehrheit der Bevölkerung aus Platzmangel nicht möglich. Wer kann schon mit seiner Frau wilden, hemmungslosen Sex haben, wenn die Schwiegereltern oder die Kinder im selben Raum oder im Nebenraum schlafen?
      Der Internetartikel »Es gibt keinen Sex in Indien .. einer Leserin schildert die Situation und die strengen Moralregeln, die in Südindien herrschen: "Ich lernte, dass es keinen Sex in Südindien gibt, weder in der Provinz, die Tamil Nadu genannt wird, noch in der Hauptstadt Chennai. Als Beispiel gibt es in südindischen Filmen keine Kussszenen (außer in den sündhaften westlichen Filmen wie The Sound Of Music oder West Side Story (...).
      Es gibt keine Nachtclubs, keine Casinos mit Dance- Shows und angeblich keine Prostitution. Es gibt keine Playboymagazine oder schmutzige Bücher. Jedes Anzeichen von körperlicher Zuneigung zwischen Mann und Frau ist verboten auf der Straße. Es gibt keine nackten oder halbnackten Frauen. In der Tat wird Badekleidung, die man ansonsten an jedem Strand in den USA sehen kann, nicht gebilligt. Trotz der Millionen Menschen, die auf den Straßen leben, ist absolut nichts Sexuelles erkennbar. Und ich wundere mich, wie jede Familie sechs Kinder bekommen konnte. (...) Mit ein Grund für diese strengen Moralkodi ist, dass es keine Privatsphäre in Indien gibt. Selbst in einem Hotelzimmer oder einem Appartement hat niemand wirklich seine Ruhe. Alles, was du tust, wird beobachtet. Und wenn jemand nicht mag, was du tust, sind sie begierig darauf, dich am Weiterzumachen zu hindern, egal wo du bist."
      Es ist jedoch nicht nur die Raumnot, die die Menschen daran hindert, ihre Sexualität frei auszuleben, sondern vor allem das gesellschaftliche Reglement der indischen Kultur.
      Vorbei sind die Zeiten des Kamasutra, des ältesten Lehrbuchs der erotischen Literatur, in denen das Ausleben von Erotik noch als anzustrebendes Lebensziel galt. Im alten Indien wurde neben dem Dharma (das Gute) und dem Artha (das Nützliche) noch das Kama (das Angenehme) als Möglichkeit gesehen, sein Bewusstsein zu erhöhen und zu erweitern. Erotik wurde mit dem Aspekt der Selbstbeherrschung in Verbindung gebracht und als Lebenskunst betrachtet. Das Kamasutra, das etwa 400 n. Chr. entstand und von Mallanaga Vatsyayana geschrieben wurde, betrachtete Erotik auf einer sachlichen Ebene. Es ging um die unterschiedliche Sexualität von Frau und Mann, um die Kunst der Verführung, um Gedanken zur Brautwerbung und Hochzeit und um die Situation von Ehefrauen und Prostituierten. m 1000 n. Chr. begann in Indien ein rigoroser Brahmanismus einzusetzen, vergleichbar mit unserer Zeit des Mittelalters, in der Sexualität als etwas Schmutziges gebrandmarkt wurde, das nur notwendig war, um die Menschheit nicht aussterben zu, lassen. Die Rolle der Frau wurde aufgeteilt in "Geschätzte Mutter", "Gefürchtete Hure" und "Ritual-Partnerin". Die Prüderie in Indien wurde im Zuge der britischen Kolonisierung mit dem Einfluss der Kirche und dem Viktorianismus noch weiter verstärkt und bis heute nicht abgeschüttelt. Bei einer solch kollektiven Betrachtungsweise in Bezug auf die Frau ist es unvermeidlich, dass das Schicksal der Sexualität auch innerhalb der Ehe unter keinem guten Stern steht.

      Die körperliche Liebe gerät zur schandhaften Angelegenheit, zur schnellen Begier- de mit wenig Liebe und Leidenschaft. Die Missbilligung der Erotik im Eheleben prägt das Verhalten bis heute. Der berühmte indische Therapeut Sudhir Kakar aus Delhi schildert in seinem Buch »Intime Beziehungen" seine Praxiserfahrungen und Beobachtungen, die er in Indiens Gesellschaft dazu gemacht hat: »Die riesige Anzahl von Frauen aus der Mittel- und Oberschicht, die sich wegen ihrer sexuellen Nöte in Psychotherapie begeben, ist unübersehbar. Es gibt aber auch direkte Hin- weise darauf, dass das sexuelle Unglück in den untersten Kasten weit verbreitet ist, obwohl die Oberschicht immer geglaubt hat, diese müssten sich nicht an den restriktiven Sittenkodex ihrer Kultur halten. ( . . .) Interviews mit niedrigkastigen Frauen aus einem Armenviertel Delhis haben gezeigt, dass deren Sexualität eher von Feindseligkeit und Gleichgültigkeit geprägt ist als von Zuneigung und Zärtlichkeit. Die meisten Frauen schilderten den Geschlechtsverkehr als einen heimlichen, in einem engen, überfüllten Raum vollzogenen Akt, der nur wenige Minuten dauert und der jegliche körperliche und emotionelle Zärtlichkeit vermissen lässt. Die meisten Frauen empfinden ihn als schmerzhaft oder widerlich, oder beides zusammen. Der Geschlechtsakt ist etwas, das sie - oft aus Furcht vor Schlägen - über sich ergehen lassen. Keine der Frauen legt dabei die Kleider ab, weil das als beschämend gilt. Auch weniger verbitterte Frauen, die sich noch nach körperlicher Zärtlichkeit sehnen, empfinden den Akt an sich als ein Vorrecht und ein Bedürfnis des Mannes: "Admi bolna chahta hai" (Der Mann will sprechen)."
      Auch von dem, was nach der Hochzeit ab läuft, haben der Inder und die Inderin nicht immer genaue Vorstellungen. Voreheliche Sexualität ist im Allgemeinen verpönt, lediglich die Unter- und die Oberschicht der Bevölkerung in den Metropolen zeigen Ansätze eines freieren Lebenswandels.


      DIE BEDEUTUNG DER KÜSSE

      Nur wenige Schulen und Eltern klären ihre Kinder auf. Sex wird tabuisiert. Dass diese herrschende Unwissenheit natürlich auch abwegige Gedanken und Vorstellungen mit sich bringt, ist durchaus kein Wunder, beispielsweise war am 7. Juni 2003 in der indischen Zeitung »Hindustan Times" folgendes zu lesen: »Ich bin eine Schülerin aus der achten Klasse. Ich möchte wissen, ob ein Mädchen nach einem Kuss schwanger werden kann. Ich möchte auch gerne wissen, wie ein Mädchen oder eine Frau schwanger wird. Ich kann meinen Eltern nicht solche Fragen stellen. Bitte lassen sie es mich wissen."
      Das Mädchen kam nicht von ungefähr auf die Idee, dass man durch Küssen schwanger werden könne, in Indien wird der Kuss mit dem Geschlechtsakt gleich- gesetzt, er ist etwas rein Sexuelles und nicht, wie bei uns, ein Zeichen der Zuneigung, das nicht sehr viel mehr bedeutet als ein Händeschütteln. Aus diesem Grunde bedeutet, sich in der Öffentlichkeit zu küssen, öffentlich Sex zu haben.
      Auf der indischen Internetseite ananova.com war ein Artikel über die Gruppe »Lovers Organisation for Voluntary Exhibition" aus Kolkata zu lesen, die in Parkanlagen »love zones" (Liebeszonen) für romantische Stelldicheins reservieren lassen möchte. Sie möchte endlich die Möglichkeit schaffen, sich in Ruhe und ohne Angst treffen zu können, ohne gleich mit Repressalien seitens der Polizei rechnen zu müssen. Selbst das unschuldige Händchenhalten eines Liebespaares kann schon zur Verhaftung wegen öffentlichen Ärgernisses führen.
      Dass der Kuss in Indien etwas ganz Besonderes ist, zeigt auch der Artikel »Wie soll man küssen?" auf der indischen Internetseite seasonsindia.com, in dem eine Gebrauchsanleitung für das richtige Küssen gegeben wird: »Das Erste, was beim Küssen zu beachten ist, ist, sich zu entspannen. Denke an nichts außer an den Kuss, den du gibst. Oder noch besser, denke einfach an gar nichts. Erlaube dir, dich völlig sicher zu fühlen bei dem, was du tust. Das macht den großen Unter- schied. Küsse, als ob es nichts gäbe, was du lieber tun würdest, als gerade hier mit deinem Liebhaber zu sein und ihn zu küssen. Etwas anderes, das viele Leute vergessen, ist der Gebrauch der Hände. Benutze sie an Stellen wie dem Rücken, den Schultern und den Armen. Eine andere tolle Stelle ist der Nacken, mit einer leichten Massage zum Kopf hin. Sei romantisch, küssen ist eins der romantischsten Dinge, die man tun kann. Tu so, als sei es das erste Mal, dass du diese Person küsst. Probier etwas Neues aus: Lass die Augen offen, küsse das Gesicht des Partners an einer anderen Stelle als den Lippen. Leichte Küsse entlang der Stirn sind perfekt. Bring ein bisschen Abwechslung hinein, gib auch kurze Küsse zwischen den langen Küssen, und beende einen Kuss immer mit einem kleinen Schlusskuss."
      In Indien ist bei Liebespaaren neben dem normalen Kuss, der so genannte »Eskimo-Kuss" üblich: Anstatt sich zu küssen, reibt und presst man die Nasen aneinander. Dass in den letzten Jahren in den indischen Filmen verstärkt Kussszenen gezeigt werden, hängt mit dem westlichen Einfluss - u. a. durch das Fernsehen - zusammen.
      Der Internetartikel» TV Porn - America's Biggest Export to India" des amerikanischen Schriftstellers Andrew Robinson vom 06.07.96 schildert diesen Einfluss und den Konflikt, der sich daraus in der indischen Gesellschaft ergibt:
      » Vishakapatnam, India - Eine Stadt mit 900.000 Einwohnern an der Ostküste. Ich sitze zusammen mit meinen Nachbarn, die der indischen Mittelschicht angehören, beim Fernsehen. Mein Gastgeber ist ein Mann mittleren Alters, er trägt ein Dhoti, seine Frau und seine drei Töchter tragen Saris. Ich frage ihn, ob er den Fernsehkanal wechseln könnte. Das nächste Programm zeigt zwei amerikanische Frauen, die sich in einem Schlammbad wild bekämpfen, wobei die eine von ihnen einen löchrigen Lycra-Badeanzug trägt und die andere ein gold-silbriges Trikot, das besonders ihre beiden Hinterbacken betont. ,Ist dies ein populärer Sport in ihrem Land?', fragt mich mein Gastgeber grinsend. Die jüngste Tochter wählt einen anderen Kanal. Click. Drei Frauen in Bikinis, bewaffnet mit Rettungsbojen rennen über den Strand. Click. Donahue fragt: , Wann hast du deine Tochter angerufen und ihr verboten, weiterhin ihren Freund zu treffen?' Click. Madonna spielt mit ihren Fingern an sich selbst herum.
      Noch vor drei Jahren existierte von all dem, was man hier sieht, nichts in der indischen Fernsehlandschaft, in einem vor allem familienorientierten Land, wo Kussszenen auf der Leinwand schon als Pornografie gelten und das Zeigen von Zuneigung in der Öffentlichkeit missbilligt wird. Importierte Hollywoodfilme (weitgehend zensiert) und grelle öffentliche Anzeigen ließen schon damals bei den Indem das Bild vom sexuell hyperaktiven Amerikaner entstehen. Doch nun, bei der reichlichen Auswahl von Fernseh- und Satellitenprogrammen, an die selbst der ärmste indische Haushalt angeschlossen ist, verbreitet sich dieses Klischee noch weiter und wird profaner als jemals zuvor. , Was denken nur die jungen Männer ? ' fragt mich die Hausfrau Vijaya Laxmi zu der neuen Generation von TV-Satelliten- zuschauern. ,Hier bin ich mit meinen 40 Jahren und kann mir nicht diese Bilder mit dem gefährlichen, ungesunden Ungleichgewicht der Yang- Energie anschauen, die sich in Terroristenmassakern, faschistischer fundamentalistischer Politik und Gewalt gegen Frauen manifestiert' (... )".
      Die amerikanische Fernsehserie "Baywatch" wurde 1996 in Indien zur populärsten Fernsehsendung mit der höchsten Zuschauerrate. Angelockt von den hohen Einschaltquoten und eifrig darauf bedacht, mit dem schnell wachsenden Markt der Privatsender konkurrieren zu können, entschied sich der indische staatliche Sender »Doordarshan ", die Serie Baywatch in den verschiedenen indischen Regionalsprachen zu synchronisieren. Ein Verfahren, das normalerweise nur für qualitativ hochwertige nationale Programme reserviert ist. Der Telugu sprechende Computeringenieur Surendranath Talla, der viele Jahre in den USA gelebt hatte, meinte dazu: »Die meisten Dialoge der Serie werden nicht zu übersetzen sein, Sätze wie, die Freundin meines Vaters' würden in Telugu einfach absurd klingen. Da gibt es keine Vorstellung und keinen Ausdruck für solch einen Sachverhalt. Aber was macht das schon? Für die indische Bevölkerung, die das sehen wird, ist diese Serie nur eine weitere verrückte Mischung aus nackten afrikanischen Körpern eines National Geographic Specials und einigen Karnevalshows."
      So ist es nicht verwunderlich, dass die Inder ein ziemlich verzerrtes Bild von der westlichen Zivilisation bekommen. Studentinnen vergleichen die sexuellen Belästigungen, die sich auf den Straßen der Städte zutragen, mit dem Durchqueren eines Minenfeldes.
      Aufgrund der Tabuisierung und Unterdrückung der Sexualität einerseits und des Einflusses der freizügigen westlichen Welt andererseits blühen in Indien ganz besonders der "red-light-district" und die Pornobranche. Obwohl gesellschaftlich nicht akzeptiert, ist es vollkommen normal, den Geschlechtsakt von randi (Nutten) zu erkaufen. Eine ganze Armee von Prostituierten steht den Männern in gigantischen weitläufigen Zonen Mumbais, Kolkatas und Delhis zu Diensten. In der Nähe von Karwar an der indischen Westküste gibt es das Dorf Premnagar (Stadt der Liebe), das nur aus Bordellen besteht.
      Pornovideos und -magazine sind zwar öffentlich verboten, doch sie werden überall in Indien unter dem Ladentisch verkauft. Die Auswahlmöglichkeit von erotischen Filmen hat sich zur Freude der indischen User durch das Satellitenfernsehen noch vergrößert. Um mit den vielen Kabel- und Satellitenkanälen auch in dieser Hinsicht auf dem Markt konkurrieren zu können, hat der Chefzensor der indischen Filmindustrie 2002 sogar vorgeschlagen, die Pornofilmindustrie des Landes zu legalisieren und ihr zu erlauben, Hardcorefilme in dafür vorgesehenen Kinos zu zeigen. In den meisten indischen Großstädten gibt es Kinos, die bislang illegal in den so genannten "morning sessions" solche Filme zeigen. Mr. Anand, Vorstand des "Central Board of Film Certification" (CBFC) meint: "Pornos werden überall heimlich im Land gezeigt, und die beste Methode, um gegen diesen Ansturm von, blue movies' anzukämpfen, ist es, sie öffentlich mit legalen Lizenzen in den Kinos zu zeigen. Es gibt eine große Nachfrage nach solchen Filmen in Indien, und wir Zensoren können die Pornografie nicht für immer unter Verschluss halten. Indem wir solche Spielstätten etablieren, bieten wir den Menschen, die so etwas sehen möchten, einen Ausweg an. Das Ganze kann jedoch nur geschehen, wenn es eine Gesetzesänderung gibt."

      Eine weitere Auseinandersetzung mit diesem Thema erfolgte in dem Internetartikel (11.01.00) von Radhika Kumar. Sie fragte die Leser, ob "Artfilme" einen schlechten Einfluss auf die indische Gesellschaft ausüben.
      "Nacktheit, Sex, Prostitution, Transvestiten, Lesben, extreme Gewalt, Blut, schlechte Sprache (...) die Liste könnte so weitergehen. Dies sind nur einige kontroverse Elemente, die heutzutage die Hindi-Artfilme vergiften. Die Hysterie begann 1994, als der Film "Bandit Queen" in Indien wegen der vulgären Sprache, den brutalen Sex- und Gewaltszenen und vor allem der zur Schau gestellten Nacktheit verboten wurde. Seitdem wurden weiterhin viele dieser Artfilme uraufgeführt und haben die ältere und prüdere Generation geschockt. Der Film, The Cloud Door' von Mani Kaul kam kurz nach, Bandit Queen' in die Kinos und erhielt die gleiche lodernde Antwort wie sein Vorgänger. Diese beiden Filme setzten den Samen für diese Filmindustrie.
      Nach dem Ruhm von „The Cloud Door“ in Indien und in Deutschland und dem Hitstatus des berüchtigten „Bandit Queen“ begannen die Filmemacher, sich auf das große Geheimnis zum Erfolg einzuschießen - der Artfilm von Basu Bhatchariyahs „AASTA“ (1997) mit Rekha, Om Puri und Honey Irani wurde ein Hit in Indien. Wahrscheinlich lag das an seiner vulgären Handlung, in der eine verheiratete Frau sich prostituiert, da ihr Mann impotent ist (Rekha wurde für die Szene berühmt, da sie erstmals einen weiblichen Orgasmus zeigte, ohne ihren Sari zu lüften; als sie kam, trällerte sie im hohen C los). Wir haben alle von der heißen Sexszene zwischen Rekha und Om Puri gehört. Dann kam Deepa Mehtas Film „Fire“, der von zwei Frauen handelt, die die lesbische Liebe entdecken und ausleben, und danach der Gewaltfilm „Maachis“ von Gulzar, der von der Lebenschronik eines Sikhterroristen handelt.
      Der letzte Artfilm, der in dieser Richtung veröffentlicht wurde, war „Kamasutra“ von Mira Nair. Auch Bollywood-Filmemacher und -schauspieler versuchen heutzutage, in dieser Hinsicht ihre Grenzen auszuloten. Ein Beispiel für unzensiertes Material war der Film „Karan Arjun“ von Rakesh Roshan, in dem Shah Rukh Khan während eines Songs seinen Kopf unter Kajols Kleid schiebt. Ein anderes Beispiel ist Dev Anands „Gangster“, in dem der Busen des Mädchens während der Vergewaltigungsszene zur Schau gestellt wird. Auch Pornofilme schießen in Indien aus dem Boden. (...) Sind die Art-Filme dafür verantwortlich oder bricht Indien aus seiner Prüderie - herbeigeführt von sexueller Anspannung - aus? Entscheiden Sie!"



      DIE FIGUREN UND STARS
      DER BOLLYWOODFILME



      DIE HELDEN

      Die Helden in den Filmen sind nach verschiedenen Charakteren aus den indischen Epen und den persischen Liebesgeschichten modelliert. Entweder sind sie physisch stark wie Bhim, romantische Liebhaber wie Krishna oder perfekte Ehemänner und Kämpfer wie Lord Ram.
      Sie zeichnen sich durch besondere Tugenden wie Treue, Ehrlichkeit, Selbstlosigkeit und moralische Gesinnung aus. Wichtigstes Ziel des Helden war und ist die Vereinigung mit der Heldin und die Bekämpfung des Bösen.
      Vergleicht man Hollywoodhelden mit Bollywoodhelden, kommt man zu der Einsicht, dass indische Helden allesamt Muttersöhnchen sind. Im Westen wäre diese Kennzeichnung eine schreckliche Beleidigung, in Indien jedoch nicht. Egal, ob sie den Romeo oder den Actionheld spielen, stets sind sie mit ihrer Mutter verbunden, deren Glück ist das Glück des Helden. Im Gegensatz zu den einsamen, ruppigen Hollywoodhelden Kevin Costner oder Clint Eastwood wirken die Helden der Bollywoodfilme auf den westlichen Zuschauer eher verweichlicht. Hollywood- Helden sind verschwiegen und kämpfen lieber gegen Dämonen, als über Gefühle zu reden, Weinen betrachten sie als weiblichen Zeitvertreib. Die Bollywoodhelden brechen alle Regeln in Bezug auf das amerikanische Selbstverständnis von Männlichkeit. Sie stammen meist aus geordneten Familienverhältnissen, trinken im Gegensatz zu ihren amerikanischen Kollegen keinen Alkohol und sind emotional offen und leidenschaftlich.
      Ihre Gefühle teilen sie offenherzig in den atemberaubenden Versen der Song- texte mit: „Deine Liebe haucht diesem leblosen Herzen Leben ein.“ Sie weinen herzzerreißend, wenn ihnen danach ist, auch in aller Öffentlichkeit, ohne sich dafür zu schämen. Ihre Männlichkeit stellen sie für das weibliche Publikum mit verführerischen Netzhemden, ärmellosen Westen und schwarzen Lederhosen zur Schau.
      Die Indischen Zuschauer legen Im (Gegensatz zum westlichen Publikum großen Wert darauf, dass der Held seine Gefühle offen legt. Die Helden sollen weinen, sollen ihre Freude, ihre Verzweiflung und ihren Schmerz zeigen, man will wissen, wie weh es ihnen tut, ansonsten fühlen sich die Inder betrogen. Das Happy End ist in Bollywoodfilmen nur ein wirklich glückliches Ende, wenn die Eltern des Helden zufrieden sind. Im Gegensatz zur westlichen Gesellschaft, die auf Individualismus und Unabhängigkeit aufgebaut ist, legt die traditionelle indische Gesellschaft großen Wert auf die Wünsche und Bedürfnisse der Familie und der Eltern. So ist es ganz natürlich, dass der ideale indische Held ganz andere Eigenschaften und Verhaltensweisen an den Tag legt als der westliche Held. Der Grad der Männlichkeit wird einzig von der Biologie bestimmt, und nicht davon, ob er weint oder "cool" ist.
      Seit den 90er Jahren ist der romantische Held neben dem Antihelden in den Filmen stark vertreten. Die romantischen Helden sind greifbar und menschlich, verletzlich und gefühlvoll. Sie zeigen, dass man nicht in jedem Aspekt des Lebens heldenhaft sein muss. Ab den 90er Jahren verschwand in vielen Filmen ebenfalls die klare Rollenaufteilung zwischen dem Helden und seinem Antagonisten, dem Bösewicht. Die Antihelden sind sympathische, böse Typen, mit denen sich das Publikum immer noch identifizieren kann.


      ANTIHELDEN

      Antihelden gibt es in Bollywood in mehreren Varianten, jedes Jahrzehnt hat seine eigenen neuen Antihelden hervorgebracht. Hier einige Vertreter:
      a) Der tragische, introvertierte Held Devdas in dem gleichnamigen Film (1935), der sich in den Alkohol flüchtet und am Ende Selbstmord begeht, da er die Geliebte aufgrund gesellschaftlicher Konventionen nicht heiraten darf.
      b) Der Antiheld namens Shekhar in dem Film "Kismet" (1943), der auf die schiefe Bahn gerät und zum Einbrecher wird, da ihm das Schicksal in der Kindheit übel mitgespielt hat.
      c) In dem Film "Awara" (1951) stellt die Figur Raj einen ähnlichen Antihelden dar, der sich an seinem Vater rächen will, da dieser ihn und seine Mutter im Stich gelassen hat.
      d) Der neue Typus von Antiheld "The angry young man", der Anfang der 70er Jahre auftauchte und über zwei Dekaden hinweg den neuen Volkshelden Vijay repräsentierte.
      Die kulturelle Parallele des gut-schlechten Helden findet sich im Mythos von Karan im Mahabharata wieder, der von seiner Mutter verstoßen wird und zum gefürchtetsten Krieger wird, der selbst seine Brüder nicht verschonen möchte.
      Das, was alle Antihelden der Bollywoodfilme miteinander verbindet, sind ihre tragischen Kindheitserlebnisse. Entweder wurden die Eltern getötet oder sie verloren sie oder sie wurden von ihrer Familie verstoßen. Sie sind eine Mischung aus positiven-negativen Helden. Je nach dem, unter welchen äußeren Umständen sie sich gerade befinden, verhalten sie sich tugendhaft oder kriminell. Am Ende werden sie jedoch immer durch die Liebe einer Frau zum Guten bekehrt.
      Seit ein paar Jahren ist in einigen Bollywoodfilmen wieder eine neue Art Antiheld entstanden. So genannte indische Godfatherfilme nach dem Modell der Filme von Martin Scorsese zeigen einen ganz neuen eigenen Typus von Helden.
      Alle Antihelden in Filmen wie »Satya" ( 1998 ) und »Company" (2002) sind Gangster, die keine moralischen Bedenken haben, schlechte Dinge zu tun. Während ihre Vorgänger in Filmen wie "Baazi", "Jaal", »Shri 420" und "Deewar" ihre kriminellen Taten bedauerten und ihre Bestrafung akzeptierten, kennt die neue Generation der Antihelden keine Reue. Sie kommen aus armen Verhältnissen und nehmen sich mit Gewalt und ohne Skrupel, was sie wollen. Sie wischen sich die blutigen Hände am T-Shirt des Opfers ab, reißen Witze über den Toten und gehen nach der Tat mit ihren Kumpanen in die nächste Bar. Man kann sagen, dass eine Verschmelzung zwischen Antiheld und einstigem Bösewicht stattgefunden hat.

      DIE BÖSEWICHTE

      Um den wahren Mut des Helden zu zeigen, muss ihm ein besonders teuflischer Bösewicht gegenübergestellt werden. Jedes Jahrzehnt hatte nicht nur seine jeweiligen Helden, sondern auch seine Bösewichte. In den 20er Jahren waren es böse Dämonen wie Ravan, der zehnköpfige Dämon aus dem Ramayana.
      In den 30er Jahren folgten menschliche Dämonen wie arrogante Landbesitzer und Feudalherren. Diese Bösewichte waren immer klassisch stilvoll mit Anzug und Hut bekleidet und rauchten dazu dicke Zigarren. Ihre Bedrohung brachten sie mit dem Hochziehen einer Augenbraue und mit ihrer gefährlich raunenden Stimme' zum Ausdruck.
      Die Schurken der 40er und 50er Jahre waren die Industriellen und Kapitalisten. Ihre Darstellung war stark von den Gangstern der Hollywood „Film-Noir“ -Thriller beeinflusst. Sie trugen westliche Hüte und Anzüge und waren nebenbei Schmuggler oder Nachtclubbesitzer.
      In den 70er und 80er Jahren waren Gangster, Polizeibeamte, Terroristen, Waffenhändler und Psychopathen die Bösewichte. Diese Jahre waren die großartigste Zeit für die Bösewichte der Hindifilme. Sie waren die eigentlichen Helden des Films und die amüsantesten Charaktere. Leicht erkennbar an ihrem dämonischen Lachen, buschigen Augenbrauen, lüsternen Blicken, offenen Hemden und schnee- weißen Schuhe. Aufgrund dieses auffälligen Aussehens konnten sie von der Polizei sofort verhaftet werden. Sie besaßen alle schlechten westlichen Eigenschaften und Verhaltensweisen, die man sich nur vorstellen konnte, sie rauchten wie die Schlote, tranken Whisky und umgaben sich mit "heißen Miezen". Der Bösewicht war viel facetten reicher als der Held, seine Persönlichkeit strahlte von vorne herein Gewaltbereitschaft aus, er verfügte über eine furchterregende Stimme und eine Körpersprache, die fähig war, Leute erschauern zu lassen. Er tat all die Dinge, die das Publikum sich nicht traute. Durch ihn konnten die dunklen Seiten der Seele gefahrlos ausgelebt werden. Der Höhepunkt des Films war immer der Endkampf zwischen Held und Bösewicht. Der Bösewicht war nicht nur essentieller Charakter für Actionfilme, sondern auch für Liebesgeschichten, die nach dem Romeo-Julia- Muster aufgebaut waren. Er war der nicht beachtete Verehrer, der eifersüchtige Freund des Helden oder der despotische Vater, der seine Tochter schon dem Jugendfreund versprochen hatte. Einfallsreich ersannen sie sich Übeltaten, um das Paar an seinem Glück zu hindern. Entweder ließen sie die Braut entführen, ver- letzten den Gegner oder setzten Gerüchte in die Welt.
      Das Bild des Helden und des Schurken ist in den 90er Jahren teilweise unklar geworden, man hat sich an den Westen angenähert und verteufelt nicht mehr alles. Man hat keine klaren Vorstellungen mehr, was ein Held bzw. ein Schurke tut und was nicht, was tugendhaft oder lasterhaft ist, da die Gesellschaft sich am Kreuzweg sozialpolitischer Wertesysteme befindet.


      NEBENFIGUREN


      Der Polizeiinspektor ist eine weitere Nebenfigur, die in vielen Hindifilmen zu finden ist. Erkennbar am Schnurrbart, seiner sportlichen, khakifarbenen Uniform und seinem Schlagstock. Er möchte von seinen Mitmenschen immer mit "Police Inspector Saheb" angesprochen werden, was seine Autorität unterstreichen soll. Er ist kompetent, aber nicht sehr clever, aus diesem Grunde ist es am Ende nicht er, sondern der Held, der den Bösewicht stellt.

      Der Witzbold der Hindifilme ist die plumpeste und unbeholfenste Figur und wird eigentlich immer nur von Männern gespielt. Er lebt entweder mit dem Helden oder der Heldin im Haus als Angestellter oder wohnt zumindest in ihrer Nachbarschaft. Meist ist er recht hässlich und verbringt seine Zeit mit dummen Sprüchen und Witzen. Das beste Beispiel ist Johnny Lever. Dieser große Entertainer gilt als der indische Jerry Lewis. Er taucht in beinahe jedem Bollywoodfilm auf. Egal ob es sich dabei um ein Drama, eine Komödie oder einen Kriegsfilm handelt, immer gibt es eine Johnny Lever Komik-Szene. Sein Markenzeichen sind wildes lautes Geschrei und das Aufreissen der Augen.

      DIE HELDIENNEN- (DEVDAS)

      Die Heldinnen des indischen Films haben in den vergangenen Jahrzehnten ebenfalls einen Charakterwandel durchlaufen. Von den 20er bis zu den 60er Jahren wurden sie meist als treue, opferbereite Ehefrauen, tugendhafte Mädchen und sittsame Schwiegertöchter dargestellt. Sie sollten dem weiblichen Publikum als Vorbild dienen. Modell für dieses Ideal stand Sita aus dem Ramayana, die diese absolute Tugend verkörperte. Man sah in ihr keine Abwertung der Frau, sondern im Gegenteil eine Aufwertung. Es sollten» typisch" weibliche Qualitäten wie Leidensbereitschaft und Treue gezeigt werden. Mitte der 30er Jahre gab es progressive Filmemacher, die die konventionelle Rolle der Heldin sowie gewisse indische Traditionen in Frage stellten. Einige Schauspielerinnen dieser Filme stammten aus progressiv denkenden Elternhäusern und hatten eine schulische Ausbildung oder einen akademischen Abschluss. Diese gebildeten, aufgeklärten Frauen spielten nun in Filmen, die vorsichtig-kritisch das Kastenwesen oder die arrangierte Heirat beleuchteten. Frauen wurden nicht nur als willenlose Opfer gezeigt, sondern als mutige Frauen, die versuchten, den Status quo zu verändern, es aber alleine nicht schafften und am Ende scheiterten.

      DIE PROSTITUIERTE

      Eine der Kontrahentinnen der Heldin jener Zeit war die Figur der Prostituierten, der so genannten Devdasa - der gefallenen Frau, die sich meist als Tänzerin und Mätresse ihren Lebensunterhalt verdiente. Gespielt wurden diese Frauen von Darstellerinnen, die wirklich Prostituierte waren oder aus anderen niederen Kasten stammten. Ihre Aufgabe bestand darin, den Helden zu verführen, ihn sexuell hörig zu machen und von seiner Heldin zu trennen, was ihnen aber natürlich nicht gelang.
      In den 30er Jahren änderte sich jedoch nicht nur die Figur der Heldin, sondern auch die der Prostituierten. Aufgrund von politischen und sozialen Reformbewegungen begannen einige Filmemacher, diese Devdasa-Figuren mit einem sozialkritischen Ansatz zu zeigen. Die Nöte, Sorgen und Probleme dieser Frauen wurden thematisiert. Eine besonders beliebte Figur, die während dieser Zeit entstand, war "Die Prostituierte mit dem goldenen Herzen ': die aufgrund tragischer, schicksalhafter Umstände diesen Beruf ausüben musste. Sie war Vertraute und manchmal sogar heimliche Geliebte des Helden. Bei ihr schüttete er sein Herz aus, sie verstand ihn auf Grund ihrer Lebenserfahrungen besser als die wohlbehütete Heldin. Doch trotz ihres guten Charakters gab es für die Prostituierte keinen Weg zurück in die Gesellschaft. Sie blieb eine Gebrandmarkte. Am Ende eines Films widmete sie sich entweder spirituellen Dingen oder sie beging Selbstmord. In fast allen Filmen der 30er Jahre war es das Ziel der Heldin wie auch der Prostituierten, den Helden zu bekommen.


      DIE KURTISANE


      Die Kurtisane (Variante der Prostituiertenfigur „mit dem goldenen Herzen“) war eine andere beliebte Frauenfigur in den Filmklassikern. Im Gegensatz zur Figur der Prostituierten lebte sie gegen ihren Willen in einem anrüchigen Ambiente, hinter ihr stand immer eine traurige Geschichte. Entweder wurde sie entführt und zur Prostitution gezwungen oder sie war elternlos und musste sich auf diese Weise ihr Geld verdienen. Sie tanzte meist als Kabarettgirl und Animierdame in den Etablissements. In manchen Filmen bleibt die Kurtisane jedoch jeder Logik zum Trotz und wie durch ein Wunder Jungfrau, sie scheint von einer höheren Macht beschützt zu werden, kein Mann schafft es, sie zu entehren. Mit ihrer körperlichen Reinheit soll ihre reine Gesinnung symbolisiert werden.


      DER VAMP

      dass ihre Eltern arm waren, kein Verhältnis zu ihr hatten, sie ignorierten oder sogar hassten. Die Figur des Vamps wollte aus dem Elend entfliehen und reich werden. Ihr Charakter war schlecht, sie wollte nur Zwietracht stiften, war ohne Herz und ohne Moral, eine sozial Ausgegrenzte. Sie rauchte Zigaretten, sie trank Whisky und war nicht an Heirat und Kindern interessiert. Sie war sexuell freizügig, flirtete mit allen Männern und lebte oft mit einem Schurken aus selbstsüchtigen Interessen zusammen. Sie verkörperte die Inderin mit westlichem Einfluss, erkennbar an figurbetonter, aufreizender Kleidung und lasterhaftem Verhalten. Selbstsüchtig, materialistisch und unmoralisch schlug sie sich durchs Leben. Sie interessierte sich weder für Familie noch für Traditionen. Oft arbeitete sie als Revuetänzerin in einer anrüchigen Spelunke. Ihre Aufgabe in den Filmen bestand darin, die männlichen Kinozuschauer erotisch anzuheizen. Sie war das Objekt, auf das alle sexuellen Phantasien projiziert werden konnten. Zu ihren verführerischen Tanzeinlagen sang sie alle erotischen Lieder des Films. Auf diese Weise wurde das gesellschaftliche indische Wertesystem nicht verletzt - die Heldin als Sexualobjekt darzustellen, galt damals als ein Tabu. Am Ende der Filme nahm die Vampfigur immer ein bitteres Ende. Entweder wurde sie vergewaltigt und umgebracht oder von der Kugel getroffen, die eigentlich für den Helden bestimmt war. Der Vamp glich eher einer Karikatur als einer wirklichen Frau, aber dennoch zeigte sie mehr unterschiedliche Facetten als die eindimensionale Persönlichkeit der Heldin.


      BÖSE SCHWIEGER- UND STIEFMÜTTER


      Andere negative Frauenfiguren, die eine Antithese zur Heldin bildeten, waren beispielsweise die bösen, keifenden, tyrannisierenden Schwiegermütter, Schwägerinnen und Stiefmütter. Sie machten das Leben der Heldin zur Hölle und verlangten von ihr unsägliche Geduld und Opferbereitschaft. Meist versuchten Schwägerin und Schwiegermutter, den Ehemann aufzuhetzen, indem sie Gerüchte in Umlauf setzen. Am Ende jedoch erwartete die Heldin nach all dem erduldeten Leid immer der verdiente Lohn - ihre Widersacherinnen sahen ihr Unrecht ein und baten um Vergebung.


      FRAUENFIGUREN IM WANDEL – DIE VERSCHMELZUNG

      Mitte der 70er Jahre vollzog sich langsam eine Wandlung in Indien, die Flowerpowerbewegung schwappte teilweise ins Land hinein. Die neue Heldin war nun eine Mischung aus Vamp und Heldin, ein so genanntes »good-bad girl". In Filmen wie "Hare Rama Hare Krishna" ist die Heldin ein Hippie, der Pott raucht, und in "Chet- na Charita" ist die HeIdin eine leichtes Mädchen.
      Die Heldinnen waren modern westlich gekleidet und tanzten noch verführerischer als ihre Vamp-Vorgängerinnen. Um am Ende aber den Helden zu bekommen und vom Publikum als Heldin akzeptiert zu werden, war ein vorheriger Gesinnungswandel notwendig. Die neue Heldin war für den Helden kein fremdartiges, launisches Wesen mehr. Sie war klug und lässig und nicht mehr so leicht zu schockieren, er fühlte sich bei ihr wohl und konnte mit ihr wie mit seinen Kumpel sprechen.
      Aufgrund des Imagewechsels der HeIdin bekam die Vampfigur im Laufe der 80er Jahre immer weniger Auftritte in den Filmen, in den 90er Jahren ist sie fast vollständig von der Leinwand verschwunden.
      Diese klassische klare Rollenzuweisung der weiblichen Charaktere endete wie die der männlichen Kollegen in den 90ern. Heutzutage gibt es kaum noch so eindeutige Typisierungen wie HeIdin und Vamp, Heldin und Kurtisane. Man könnte sagen, dass die Heldinnen sich die anderen Rollen einverleibt haben. Früher konnte beispielsweise eine Revuetänzerin keine HeIdin sein, heute schon. Ebenso kann sie mit negativen Charakterzügen ausgestattet sein, einzig wichtig ist, dass sie am Ende des Films ihre Fehler einsieht und ihr Leben zum Positiven wendet. Selbst Frauenrollen wie die hartherzige Schwiegermutter oder Schwägerin oder die Nebenbuhlerin findet man nur noch selten in den Filmen. Die Familienangehörigen benehmen sich respektvoll und freundlich, und selbst die Konkurrentin verzichtet oft großzügig auf den Helden.
      Modeme negative Frauenrollen sind die selbstsüchtige Karrierefrau, die kein Interesse an Familie und ihrer Mutterrolle zeigt, oder die fordernde, gierige Geliebte, die den Helden erpresst und nie genug Luxus bekommen kann. Das traditionelle Frauenbild nach dem Vorbild Sitas ist für die heutige Generation des neuen Jahrtausends zwar veraltet und nicht mehr gefragt, man weiß aber auch nicht genau, was oder wie die neue Frau sein soll. Was für eine Freiheit darf ihr zugestanden werden, wo sind die Grenzen?
      Javed Akthar, einer der bekanntesten indischen Drehbuchautoren, meint dazu, dass er heutzutage Frauencharaktere anders als noch vor einigen Jahren darstellen würde, nämlich: reifer, selbstständiger und freier. Durch den Einfluss des Fernsehens und neuer Technologien (Computer und Internet) würde sich die Gesellschaft langsam verändern: immer mehr Frauen werden berufstätig, finanziell unabhängiger und damit selbstbewusster. Dieses neue, realistischere Frauenbild, das Javed Akhtar dabei vorschwebt, wurde: bereits in einigen indischen TV-Serien wie "Tara und Saans" (eine Ally Mc Beal- Variante) aufgegriffen. In diesen Serien werden moderne, erfolgreiche, berufstätige Großstadtfrauen mit einer liberalen Einstellung gezeigt.
      Tara Sinta, eine dieser Serienschauspielerinnen, ist der Ansicht, dass seit Ende der 90er Jahre immer mehr Regisseure und Produzenten der kommerziellen Filmindustrie dazu neigen, Frauen in erfolgreichen Positionen zu zeigen, Frauen, die etwas zu Stande bringen, Individuen und nicht nur Typen. Es gibt auch inzwischen Bollywoodfilme, in denen rebellierende traditionelle Ehefrauen dargestellt werden, wie in, „Kabhi Khushi Kabhie Gham“ (2001) oder in »Shakti" (2002). Es sind mutige Frauen, die ein eigenes Unrechtsbewusstsein besitzen und für ihre Rechte und die Rechte anderer eintreten. Sie heben ihre Männer vom Podest herunter, leisten ihnen Widerrede. Solche Szenen wären vor einigen Jahren gar nicht denkbar gewesen.
      Regisseure wie Prakesh, Shyam Benegal, Manesh Bhatt und Vinay Shukla sind die Repräsentanten dieser neuen so genannten Grenzfilme, die ein realistischeres und facettenreicheres Frauenbild präsentieren.
      Ein einheitliches, klares Frauenbild gibt es in Indiens Kinowelt nicht mehr. Zwar werden noch viele Klischees und Stereotypen gezeigt, aber auch Beispiele für realitätsnahe Frauenfiguren. Indiens Gesellschaft und Indiens Frauen sind noch auf der Identitätssuche, befinden sich in einer Umbruchphase.


      DIE FANS UND IHRE STARS

      In Indien werden Stars weitaus mehr verehrt als in Europa und in Hollywood. Sie sind präsenter und greifbarer als die westlichen Stars. Ihre Adresse und Telefonnummer stehen sogar regulär in Telefonbüchern und manchen Touristenreiseführern, so, als ob sie bereit wären, jeden willkommen zu heißen. Ihre allgegenwärtige Präsenz zeigt sich ebenfalls auf den riesigen Filmplakaten, die zwischen Häuserwänden und auf Straßenkreuzungen aufgestellt sind, von denen einem ihre Gesichter ständig entgegen springen. In Indien werden allzu gerne die heroischen Eigenschaften der Filmfiguren auf die Stars persönlich übertragen.
      Man identifiziert sich mit den Helden und Heldinnen, sie dienen als Vorbild. Ebenso wie das westliche Publikum baut das indische Kinopublikum eine enge Beziehung zum Leinwandstar. auf. Männer möchten wie Amitabh Bachchan sprechen und sich bewegen oder denselben Haarschnitt tragen wie ein Hritkih Roshan oder Shahrukh Khan. Junge Damen wiederum legen mehr Wert auf die Kleidung und wollen das gleiche Outfit wie Aishwarya Rai bei dem Song „Hum dil de chuke sanam“ oder wie Kareena Kapoor bei College-Song in K3G.
      Bollywoodfilme beeinflussen de Lebensstil und die Mode. In einigen Jahren wird man kaum noch traditionelle Kleidung sehen. Nur Touristen wollen noch Saris und Nehrujacken tragen. Die Verehrung geht sogar so weit dass viele Schauspieler, die vor allem Tugenden und Heldentum auf der Leinwand symbolisiert haben, in politische Ämter gewählt werden. Das gibt es zwar auch in den USA, wenn man an Ronald Reagan oder Arnold Schwarzenegger denkt, doch in Indien treten diese Fälle noch gehäufter auf.
      Berühmtestes Beispiel ist Amitabh Bachchan, ein Held der 70er Jahre, der 1984 in seiner Heimatstadt Allahabad mit Mehrheit zum Parlamentsmitglied gewählt wurde, bis er nach zweieinhalb Jahren feststellte, dass er sich doch nicht eignete. In Südindien wurde N. T. Rama Rao, ebenfalls ein berühmter Schauspieler, zum Staatschef gewählt. In religiösen Filmen kämpfte er siegreich und gerecht gegen das Böse, dies war für genügend Inder ein Grund, ihn zu wählen. Dass sie Fiktion mit Realität verwechselt hatten, wurde ihnen bald klar, und N. T. Rama Rao verlor die nächste Wahl.
      Die Figur des Helden und der Star, der diesen Helden repräsentiert, sind in Indien kaum voneinander zu trennen. Das Mainstreamkino schafft Individualität durch individuelle Schauspieler. Dilip Kumar, der Star der 40er Jahre, wird immer mit der Figur des tragischen Helden in Verbindung gebracht, Rajesh Khanna mit dem romantischen Helden der 60er Jahre und Arnitabh Bachchan mit dem wütenden jungen Rebellen der 70er Jahre.
      Was für Ausmaße diese Identifikation mit den Stars in Indien annehmen kann, zeigt folgende Anekdote von Sanjay Leela Bhansali zu seinem Film »Khamoshi"
      (1996) aus dem Buch "Bollywood - The Indian Cinema Story" von Nasreen Kabir, in dem der Protagonist Nana Patekar einen Taubstummen spielt:
      »Ich erzähle Ihnen, was ich bei meinem ersten Film Khamoshi durchmachen musste: Die Hauptfigur des Films ist ein Taubstummer, der von Nana Patekar gespielt wurde. Nana ist bekannt für seine feurige Vortragsweise, seine heftigen Wutausbrüche und Ansprachen, und ich besetzte ihn als Taubstummen, er konnte somit nicht sprechen... Erster Tag, erste Aufführung, ich bin im Liberty- Kino. Es ist nicht angekündigt worden, dass Nana Patekar einen Taubstummen spielt - das war mein Fehler! Der Trailer sah viel versprechend aus, und die Leute strömten ins Kino. Der Film begann, und Nana wurde gezeigt, wie er in der Gebärdensprache kommunizierte. Das Publikum in der ersten Reihe begann zu schreien: Nana! Sprich! Bitte sprich! Ich sank nur in den Sessel und dachte, mein Film würde ein Flop. Sie riefen weiter: Wir wollen dich sprechen hören, komm schon: Sprich! So, als ob Nana sie hören könnte und zu sprechen anfangen würde! Dann erscheint die Schauspielerin Seema Biswas. Sie spielt Nanas Ehefrau, und sie versuchen, das neugeborene Kind mit Zeichensprache aufzuwecken. Nana stößt Seema frustriert zur Seite, da das Kind nicht reagiert, und wird auf Seema wütend. Als er sie zu schlagen beginnt, schreit das Publikum: Phoolan Devi! - weil Seema Biswas die Rolle der Phoolan Devi in „Bandit Queen“ gespielt hatte - Phoolan Devi, erschieß ihn! Erschieß ihn! Ich dachte, nun sei es vorbei. Mein Film ist ein völliges Desaster. Das ganze Publikum lachte, und ich saß im Liberty und weinte. Einige Tage später kam der Verleiher aus Delhi, um mir zu sagen, Sir, in Delhi rannten die Zuschauer aus dem Kino. Lassen Sie doch Nana in der letzten Szene sprechen, bitte lassen Sie ihn sprechen!' Ich sagte:, Aber er ist doch stumm, und in der letzten Szene stirbt er, wenn er sprechen sollte, hätte er es schon vorher im Film machen sollen. Wie soll ich ihn denn am Ende sprechen lassen?' Der Verleiher berührte meine Füße und sagte, bitte gehen Sie zu den Tonstudios und fügen Sie Nana Dialoge hinzu, dann wird der Film ein Erfolg. Doch ich sagte ihm, dass ich nicht von meiner Überzeugung abweichen würde, um ihn sprechen zu lassen. Aber warum sagte der Verleiher mir das? Weil das Publikum es so wollte."
      In der Industrie bestimmen neben der Filmmusik die Stars den Erfolg eines Films. Viele Filmemacher haben ein Problem, ihre Filme überhaupt finanziert zu bekommen oder später von einem Verleiher vertreiben zu lassen, wenn sie nur Unbekannte anbieten können. Somit sind die Produzenten und Regisseure hilflos der Gnade der Stars ausgeliefert.
      Wie kann ein Filmemacher die Gunst eines Stars für sich gewinnen? Er schickt dem Auserwählten entweder ein speziell auf ihn zugeschnittenes Drehbuch oder einen Stapel Drehbuchkopien. Gefallt dem Star die Geschichte, machen sie einen Vertrag und der Star bekommt eine bestimmte Summe im Voraus bezahlt, ca. ein Prozent des Gesamthonorars, das etwa ein bis sechs "crore von Rupees" beträgt (Maßeinheit, in der Markt- und Verkaufswert der Filme und der Stars gemessen wird: ein crore entspricht etwa 200.000 Euro). Die Vereinbarungen hängen vom Marktwert des Stars in der Boxoffice-Liste ab. Die Summe wird für das Versprechen des Stars gezahlt, dass er sich die Daten für den Dreh sowie für die Nachsynchronisation freihält. Die Stars kassieren letztendlich etwa 40 Prozent des Gesamtbudgets. Die meisten indischen Schauspieler arbeiten gleichzeitig an verschiedenen Filmen, eine Rolle wird morgens und die andere nachmittags gedreht. Die Dreharbeiten verlaufen in Mumbai recht undiszipliniert, oft kommen die Darsteller statt um 9 Uhr erst um 13.00 Uhr, dann wird eine Einstellung gedreht. Danach ist Mittagszeit und Essen angesagt. Doch die Mahlzeit ist reichlich und schwer, alle sind müde, darum wird erst um 16 Uhr weiter gedreht, und um 18 Uhr ist meist Drehschluss. Wenn nun der Star nicht weiter drehen kann, da er zu einem anderen Drehort muss, bleibt es nur bei der einen Einstellung des Drehtages. Er setzt sich ins Auto und kämpft sich nun durch den Verkehr von einem Ende Mumbais zum anderen Ende der Stadt. Den anderen Drehort erreicht er mit gravierenden Verspätungen. Völlig abgekämpft und müde kommen die Darsteller an die Sets und müssen sich nun beeilen, um nicht noch mehr kostbare Zeit zu verlieren. Als Resultat zeigen sich bei einigen Filmen mangelnde Stimmung und Lichtanschlussfehler.
      Normalerweise bedarf ein Dreh ein Jahr Vorbereitungszeit. Doch trotz Verträgen und Zusicherungen kann es vorkommen, dass der Star derart in Stress und Zeitnot ist, dass er das Filmprojekt in letzter Minute absagen muss. Der Regisseur kann in diesem Moment nichts dagegen unternehmen. Ihm bleibt nichts anderes übrig, als an einem anderen Film weiter zu arbeiten. Er hat nur dann einen Schutz, wenn der Film fast fertig gedreht wäre, denn diese Filme sind rechtlich geschützt und haben Priorität vor anderen. Von 1000 produzierten Filmen kommen letztendlich nur etwa 30 Prozent auf die Leinwand.
      Der Grund für die Annahme so vieler gleichzeitiger Verträge liegt an dem unsicheren Filmgeschäft. Wenn ein noch relativ unbekannter Schauspieler beispielsweise! nur zwei Filme drehen würde und diese dann noch schlecht liefen, würden die Leute sagen, dass er ein Verlierer sei. Sein Marktwert schwindet, und niemand gibt ihm eine zweite Chance. So denkt er sich, dass es besser ist, gleichzeitig für zehn Filme zu unterschreiben, da die Möglichkeit, wenigstens einen Kassenschlager zu landen, sich auf diese Weise deutlich erhöht. Shashi Kapoor wurde berühmt für diese Arbeitsweise, die Krönung waren 140 Filmverträge innerhalb eines Jahres. Er wurde zum »tax star" (Steuerstar) Indiens.
      Viele Stars wie Amitabh Bachchan, Shah Rukh Khan oder Aamir Khan arbeiten jedoch seriös und konzentrieren sich auf die Fertigstellung eines Projektes.


      WIE WIRD MAN EIN STAR?


      Jeder, der nach Bollywood kommt, will ein Star werden. Dabei machen besonders oft die Neulinge, die aus keiner der bereits ansässigen Stardynastien kommen, frustrierende Erfahrungen. Mahima Choudhary schildert in der indischen Filmzeitschrift „Stardust“ ( Mai 1998 ) recht anschaulich ihre desillusionierenden Erlebnisse. Ihr Mentor entpuppte sich im Nachhinein als Ausbeuter und Erpresser. Er akzeptierte nicht, dass sie nach einiger Zeit unabhängig werden wollte, die Angebote sollten nur über ihn laufen. Auch enthielt der Vertrag im Kleingedruckten die Klausel, dass 50 Prozent ihres Gehalts an ihn gehen sollten. Nur mit Hilfe eines guten Anwalts und über einen Gerichtsprozess schaffte sie es, sich aus dem Vertrag zu lösen. Ein ähnliches Erlebnis widerfuhr Eva, die ihren Namen in Kareena umändern ließ, da er zu britisch für das indische Publikum klang. Sie kam nach Bollywood, weil sie ein Teil von dem werden wollte, was die Leute von draußen als Paradies bezeichneten. (Interview aus Cine Blitz März 1998 )
      „Alle denken, es sei dort alles sehr nett, sehr leicht und glamourös. Doch wie sich herausstellte, war es ein Dschungel voller Wölfe - in Form von Betrügern, Herzensbrechern - und Manipulationen. In den wenigsten Fällen wirst du wie ein Mensch behandelt, sie kümmern sich nicht um deine Gefühle, sie scheinen eiskalt und abgebrüht zu sein. Als ich meinen ersten Film machte, wurde ich von Kollegen direkt gefragt, mit wem ich herumgefickt hätte. Als sie mein entsetztes Gesicht sahen, blickten sie nur verständnislos, da dies etwas ganz Normales sei. Regisseure und Produzenten nutzen die Situation von Newcomern aus, sie wissen, wie verzweifelt man ist und dass man fast alles tun würde, um für sie arbeiten zu können.
      Viele Mädchen bestätigen diesen Eindruck. Sie kommen mit Hotpants und kurzen Shirts zu den Sets und flirten mit den Filmemachern und Produzenten. Die einzigen, die hier gut behandelt werden, sind die, deren Eltern oder Verwandte bereits in der Industrie arbeiten.“

      DIE SCHATTENSEITEN DES RUHMS

      Für den Starruhm zahlt man einen hohen Preis. Da in Indien vor allem in der Filmindustrie das große Geld verdient wird, sind Produzenten, Regisseure und Schauspieler oft Opfer der Unterwelt und deren Schutzgelderpressungen. Die Methode funktioniert wie in anderen bekannten Ländern, in denen die Mafia herrscht. Sie geben vor, die Stars schützen zu wollen, und verlangen Geld dafür. Wenn diese nicht auf das Angebot eingehen und nicht bezahlen wollen, versucht man, sie zu töten. Die Mafia versucht so, Angst zu verbreiten, was ihr natürlich auch gelingt. Allein in Mumbai sind 2000 Polizisten damit beschäftigt, 40 Berühmtheiten der Filmbranche zu schützen.
      Bollywoods Unterwelt und ihr enges Verhältnis zur Filmindustrie hat Tradition. Einnahmen aus Drogenhandel, Schmuggel und Prostitution werden in der Filmindustrie »gewaschen" und investiert. Da der Kapitalbedarf immens hoch ist und ein ständiger Konkurrenz-und Überlebenskampfherrscht, bleibt Produzenten und Filmemachern oft nichts anderes übrig, als sich dieser Gelder zu bedienen. Es heißt, dass die Hälfte der Investitionen aus dieser Quelle stammt. Doch der Kredit wird nicht umsonst vergeben, die Bosse wollen natürlich Einfluss auf die Auswahl der Schauspieler und Regisseure ausüben und den Verkauf von Filmrechten kontrollieren. Es kommt häufig zu Auseinandersetzungen, vor allem, seitdem teure Film- Produktionen gefloppt sind.
      Die Filmindustrie hat schon viele Talente durch Mordanschläge verloren. Seit dem Tod von Gulsham Kumar, dem berühmten Film-und Musikproduzenten, geht die Angst um. Er wurde am 12.08.1997 im Mumbai nach einem Tempelbesuch auf offener Straße erschossen. Wer die Drahtzieher waren, weiß man nicht. Doch dass hinter den Anschlägen Verbrechersyndikate stecken, daran gibt es keine Zweifel. Viele der Stars haben Leibwächter angeheuert.
      In einem Artikel in der indischen Filmzeitschrift »Filmfare" ( Juni 1998 ) stellt die Polizei für den Begleitschutz der Stars drei Sicherheitskategorien auf: X (Minimum an Sicherheit), Y (Mittlere Sicherheit), Z (Maximum an Sicherheit). Die Sicherheitskräfte der Stars, die der Kategorie Z angehören, werden vom Staat finanziert, die beiden anderen Kategorien müssen von den Stars selbst bezahlt werden. Der Schutz hängt von der Art der Bedrohung und der Gefährdung ab. Es gibt finanzielle Erpressungen wie bei dem Regisseur Rakesh Roshan (Hritik Roshans Vater) nach dem grandiosen Erfolg seines Filmdebüts »Kaho Na Pyar Hai" (2000). Dieses Ereignis zog ungebetene Gäste aus der Unterwelt an. Sie versuchten von Rakesh Roshan hohe Geldsummen zu erpressen. Als dieser darauf nicht einging, versuchte man, ihn auf offener Straße zu töten. Zwei Kugeln trafen ihn, doch er überlebte.
      Des Weiteren gibt es Erpressungen, die sich um das Mitwirken bei bestimmten Filmen drehen, Govinda hatte ein solches Angebot der Unterwelt abgelehnt und bekam daraufhin Morddrohungen. Amitabh Bachchan gehört zur Z- Kategorie und wird täglich von einer schwer bewaffneten Eskorte begleitet. Shah Rukh Khan entschied sich für Kategorie X, d.h. einen bewaffneten Sicherheitsbeamten.

      DIE STARS UND STARLETS VON
      DER STUMMFILMZEIT BIS HEUTE

      Bollywood-Filmstars sind so zahlreich wie Indiens Götter, und zu verfolgen, wer wer ist und wer was tut und mit wem, ist ein wahrer Vollzeitjob. Aus diesem Grund habe ich eine gewisse Auswahl getroffen, die sich auf die prägnantesten Persönlichkeiten des indischen Mainstreams bezieht.


      Die Stars der 20er und 30er Jahre

      Die ersten frühen Helden der Stummfilmzeit waren Dinshaw Billimoria und Master Vithal. Beide agierten in Actionfilmen und historischen Dramen. Dinshaw Billimoria war der Star des Imperialstudios und spielte in Stuntfilmen wie "Wild Cat of Bombay" (1927) und „Anarkali“ ( 1928 ). Master Vithal (? - 196936) schaffte seinen Durchbruch als Actionheld mit „Ratan Manjari“ (1926). Eine weitere Bollywoodlegende war Prithviraj Kapoor (1906 -1972) aus Peshawar, der zuvor am Theater als Bühnenschauspieler gearbeitet hatte. Sein Debüt gab er im Stummfilm "Cinema Girl" (1926). Des Weiteren spielte er in Indiens erstem Tonfilm "Alam Ara" (1931) den alternden Raja, der von seinen beiden Frauen geplagt wird, die sich ständig streiten. Unvergesslich bleibt er jedoch in der späteren Rolle des Königs Akbar in dem Film „Mughal-e-Azam“ (1960), in der er mit seinem imperialen Verhalten und seiner tiefen Stimme selbst dem echten Akbar Konkurrenz gemacht hätte. Prithviraj Kapoor war der Begründer der Kapoordynastie, die seit vier Generationen bis heute in Bollywoods Filmindustrie das Business mitbestimmt.

      Die Stars der 30er und 40er Jahre


      Kundan LaI Saigal

      Einer der ersten Bollywood-Singing-Actor-Helden der 30er und 40er Jahre war Kundan LaI Saigal (1905 - 1947). Er war ursprünglich aus Punjab und zog nach Kolkata, wo er als Schreibmaschinenverkäufer arbeitete. Sein Gesangstalent wurde von B. N. Sircar entdeckt, der ihm Unterricht und einen Job am New Theatre anbot. Berühmt wurde K. L. Saigal mit der Hauptrolle und seinem wunderschönen, ergreifenden Gesang in „Devdas“ (1935). Er war der erste wirkliche Superstar, nicht wegen seines Aussehens oder seiner darstellerischen Fähigkeiten, sondern aufgrund seines Gesangs. 1947 starb er im Alter von 43 Jahren.


      Ashok Kumar

      Ein anderer Schauspieler dieser Zeit war Ashok Kumar (geb.1911), der die Antithese zu dem impulsiven Helden Saigal darstellt. Seine Rollen leiteten den Wechsel vom romantischen Helden zum Antihelden ein. Ashok Kumar begann als Laborassistent bei Bombay Talkies und wurde mehr oder weniger durch Zufall zum Schauspieler auserkoren, als der Protagonist von "Jeewan Naiya" (Das Boot des Lebens, 1936) ausfiel. Danach folgte "Achhut Kanya" (Die Unberührbare, 1936). Seine beste Rolle gab er in Gyan Mukherjees "Kismet" (Schicksal, 1943), Bollywoods erstem Blockbuster. Er spielt den Antihelden, der von seinen Eltern getrennt ist und in die Fänge der Unterwelt gerät. Dieses Rollenmodell war Vorläufer für die nachfolgenden Charaktere der 50er Jahre. Stars wie Raj Kapoor, Dev Anand oder Dilip Kumar machten den gewöhnlichen Mann von der Straße zum neuen Antihelden. Der starke, unfehlbare Supermann war nicht mehr gefragt. Realität und soziale Themen sollten reflektiert werden.


      Dilip Kumar

      Dilip Kumar (geb.1922), der eigentlich Yusuf Khan hieß, wurde von Devika Rani entdeckt, als sie einen Ersatz für Ashok Kumar suchte. Sein Debüt gab er in "Jwar Bhatta" (1944). Er war der tragische Held, der eher bereit war, die Liebe seiner Geliebten zu verlieren, als die Pflichterfüllung gegenüber seinen Freunden zu vernachlässigen. Dilip Kumar wurde berühmt für seine cineastische Darstellungsweise. Er wusste, wie er Filmsprache und Technik gezielt und effektiv miteinander kombinieren konnte. Er besaß Charisma, obgleich er nicht dem indischen Schönheitsideal entsprach.
      Er spielte immer ähnliche Charaktere, d.h., er spezialisierte sich vorwiegend auf die Rolle des introvertierten, sensiblen, nachdenklichen Helden. Berühmt wurde er mit den Filmen "Andaaz" (Stil, 1949), mit "Devdas" (1955) und "Mughal e- Azam" (1960). Seinen letzten Auftritt gab er in "Shakti" (1982), wo er einen skrupellosen Polizisten spielte.


      Die Stars der 50er und der 60er


      Raj Kapoor

      Ein berühmter Star der 50er und 60er Jahre war Raj Kapoor ( 1924-1988 ), der als Schauspieler und gleichzeitig als Regisseur tätig war. Er war der Sohn des legendären Schauspielers Prithviraj Kapoor.
      Raj begann seine Karriere als Klappenjunge bei Bombay Talkies. Seine erste Rolle spielte er bereits mit elf Jahren. Als er älter war, arbeitete er als Assistent bei Kidar Sharma und bekam von ihm die Chance zu einer Hauptrolle in dem Film "Neel Kamal" (1947). Schon ein Jahr später gründete er mit 24 Jahren "RK-Films", seine eigene Filmgesellschaft samt Filmstudios, und drehte dort seinen ersten Film "Aag" ( Feuer, 1948 ). Beeinflusst von Charlie Chaplin kreierte er die indische Variante des romantischen Tramps, der Verliererfigur in einer korrupten Gesellschaft. Alle Helden, die Raj Kapoor selbst spielte, sei es in "Awaara" (Der Vagabund, 1951), "Anadi" (Der Unerfahrene, 1959) oder in "Me ra Naam Joker" (Mein Name ist Joker, 1970), hatten immer etwas mit ihm persönlich zu tun. In seinen Filmen verwischen die Unterschiede zwischen Realität und Kunst. Zwischen 1931 und 1966 wurden sechzehn Prozent aller Hindifilme von Mitgliedern seiner Familie (Prithviraj, Raj, Rishi und Radhir) bestimmt. Inzwischen arbeiten 286 Familienmitglieder der Kapoor- Dynastie in der Bollywoodindustrie.


      Dev Anand

      Ein weiterer Vertreter der 50er Jahre- Stars war Dev Anand (1923), auch "Evergreen Hero" genannt. Sein Bruder, der innovative Filmemacher Chetan Anand, ermutigte Dev, beim Film zu arbeiten. Sein Debüt gab er mit »Hum Ek Hain" (1946). Er repräsentierte den romantischen Helden und modernen Stadtmenschen der indischen Mittelklasse. Mitte der 40er Jahre hatte er zusammen mit seinem Bruder die Filmgesellschaft »Naeketan Films" gegründet, auf diese Weise konnten sie unabhängig ihre Filme produzieren. Bekannt wurde er mit »CID" (1956) und »Nan Do Gyarah" (1957). Ende der 60er Jahre führte Dev Anand selbst Regie bei den Filmen "Prem Pujari" (1970) und "Hare Rama Hare Krishna" (1972). Sein letzter Film, in dem er sowohl Regie führte als auch mit Salman Khan die Hauptrolle spielte, war "Love at Time Square" (2003), eine Dreiecksliebesgeschichte. Er plant, demnächst einen Film über die Lebensgeschichte von Nora Jones, Grammy-Gewinnerin und Tochter des berühmten Sitarspielers Pandi Ravi Shankar, zu drehen. Das Ganze wird jedoch nicht in Indien, sondern in Hollywood stattfinden.


      Shammi Kapoor

      In den 60er Jahren schwand die Beliebtheit des tragischen Helden und Antihelden, und ein neuer Held kam in Gestalt von Raj Kapoors jüngerem Bruder Shammi Kapoor (geb.1931), dem Rock 'n' Roller des Hindifilms, mit "Tumsa Nahin Dekha" auf die Leinwand. Er hatte schon in den 50er Jahren versucht, Karriere zu machen, doch jeder Film floppte. Schließlich änderte er sein Image und seinen Stil und hatte plötzlich Erfolg. Er war der jugendliche, energievolle, wild gestikulierende Rebell. In den Filmen, in denen er mitspielte, gab es keine grausamen Kastenkriege, keine Bösewichte und auch keine erdrückende Armut mehr. Mit dem Film »Junglee" (1961) wurde er zum Vorbild für eine ganze Generation.
      Für einen Helden tanzte er schlecht, doch das störte nicht weiter. Er war sorglos und scherte sich nicht um Traditionen. Er symbolisierte den Krishna-Liebhaber aus der Bhagavad-Gita, den zudringlichen Held, der Frauen anmacht. Er ist immer überall in der Nähe der Heldin. Sie reagiert anfangs verärgert und widerwillig, doch er versucht mit allen Mitteln, ihre Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, entweder mit offensiven Andeutungen oder mit Zweideutigkeiten und vielsagenden Liedern und Tänzen. Er taucht an den unmöglichsten Orten auf, um die Heldin bei ihrer täglichen Arbeit zu necken und zu überraschen. Je stärker seine Einfälle von der Heldin missbilligt werden, umso größer ist sein Spaß. Für den Krishnahelden ist es unerlässlich, dass die Frau unberührt ist und dass sie durch seine Bemühungen ihr eigenes Verlangen entdeckt. Die eiskalte Lady wird in ein ihn heiß begehrendes, wolllüstiges Weib verwandelt.


      Die Stars der 70er Jahre


      Rajesh Khanna

      Zwischen 1969 und 1972 wurde Rajesh Khanna (geb. 1942) der romantischste Held. Sein Debüt gab er mit "Aakhri Khat" (1966). Danach wurden alle seine Filme ein Boxofficehit. Filme wie "Aradhana" (1969) oder "Khamoshi" (1969) führten zu einer wahren Euphorie, er bekam 1000 Heiratsanträge von seinen Verehrerinnen, ein Brief war sogar mit Blut geschrieben. Doch sein Einfluss und Rang wurden 1973 durch eine neue und stärkere Interpretation des Antihelden Vijay in Person Amitabh Bachchans abrupt unterbrochen.


      DAS PHÄNOMEN AMITABH BACHCHAN (geb.1942)



      Amitabh Bachchan wurde als Sohn des Poeten, Autors und Shakespeare- Übersetzer Harivansh Rai Bachchan 1942 in Allahabad geboren. Nach dem Studium arbeitete er als Warenhändler in Kolkata. Doch die Arbeit befriedigte ihn nicht wirklich, und er widmete seine Freizeit dem Theaterspiel.1968 verließ er schließlich seinen gut bezahlten Job, um nach Mumbai zur Filmindustrie zu gehen. Monate des Wartens und des Kampfes folgten, auch der indische Radiosender »All India Radio" wollte ihn wegen seiner tiefen Stimme nicht nehmen. Der Stimme, die später sein Markenzeichen wurde. In dem Film »Resha Aur Shera" (1971) musste Amitabh Bachchan sogar einen Stummen darstellen. Nach einer Reihe von Flops, in denen er u. a den Part des Bösewichts übernahm, wurde er 1970 in »Anand" zum ersten Mal wirklich bemerkt, in der Rolle des frustrierten Doktors und hilflosen Helfers. 1973 war es dann endlich soweit für Amitabh Bachchan, und zwar mit der Rolle des Polizeiinspektors Vijay in "Zanjeer".
      Gesucht wurde ein Schauspieler - groß, schlank, mit intensivem Blick und guter Stimme. Amitabh Bachchan wurde mit der Figur des Vijay zum neuen, ganz eigenen Helden, mit dem man keinen anderen messen konnte. Vijay, was der „Siegreiche“ bedeutet, dominierte ein ganzes Jahrzehnt die indische Kinolandschaft. Francois Truffaut sprach scherzend von einer "One-Man"-Industrie. Die achtzehn Filme, die auf "Zanjeer" folgten, trafen genau den Nerv der Zeit. Filme wie "Deewar(1975), „Trishul“ und „Namak Halal“ (1982) reflektierten die gesellschaftlichen Ereignisse wie politische Skandale und Korruption im Justizbereich, Arbeitslosigkeit und Kriminalität.
      Die Drehbuchautoren Javed Akhtar und Salim Khan schufen mit Vijay einen neuen Helden, der keine Kompromisse mehr machte und der es den Widrigkeiten des Lebens nicht erlaubte, ihn zu besiegen. Er war der geborene Einzelkämpfer, der niemanden fürchtete und der seine Gegner zerstören wollte, der das Gesetz selber in die Hand nahm und sich über soziale Schranken hinwegsetzte.
      Bachchans Ära kann als klare Trennungsmarke in der indischen Filmgeschichte gesehen werden. Die Filme vor und nach dieser Zeit kann man in Prä- und Post- Bachchan-Jahre einteilen. Er verkörpert eine neue Form des Helden und Liebhabers. Sein Held ist weder gut noch schlecht, er lebt am Rand der Gesellschaft und hat nur wenige Bezugspersonen. Die Beziehungen zu seinen Vertrauenspersonen sind stark und unruhig. Der Held wird rasch gewalttätig und zieht sich oft grübelnd zurück. Er ist der geborene Gesetzesbrecher, der aber von seinen eigenen Gesetzen nicht abweicht. Er ist oft Teil der Unterwelt, ohne sich jedoch an deren sadistischen Exzessen zu beteiligen. Als Liebhaber ist er nicht romantisch, sondern beherrscht und in sich gekehrt. Nach dem Motto: "In unserer Welt gibt es andere Qualen als die der Liebe und andere Glückseligkeiten als die einer zärtlichen Umarmung."
      Noch niemals wurde in Indien ein Star so gefeiert wie Amitabh Bachchan. Er wird nahezu wie ein Gott verehrt. Noch heute pilgern aus ganz Indien tausende von Menschen zu seinem Haus in Juhul Mumbai, um am Sonntag eine Audienz bei ihm zu bekommen.
      1982 erlitt Amitabh Bachchan während der Dreharbeiten bei einer Stuntszene zu »Coolie" einen lebensbedrohlichen Autounfall. Für zwei Monate lag er auf der Intensivstation und weitere sechs Monate im Breach Candy Hospital in Mumbai. Tausende von Fans kamen zum Krankenhaus und versuchten, mit Massengebeten seine Genesung zu beschleunigen, einer seiner Fans lief als Opfergabe sogar 800 km rückwärts. Die Gebete wurden erhört und Amitabh Bachchan genas wieder.
      Sein Erfolg blieb nicht nur auf Indien beschränkt, in einer BBC Online-Abstimmung wurde er zusammen mit Laurence Olivier zum größten Star des Millenniums gewählt. Seit Dezember 2000 kann man ihn auch in Madame Tussauds Wachsfigurenkabinett in London bewundern.
      Warum ist Amitabh Bachchan so berühmt und beliebt? Und warum beeinflusste er auch andere Heldenrollen? Die Helden der 40er, 50er und 60er Jahre waren alle tugendhaft. Sie besaßen einen passiven, kindlichen Charakter und waren ein schwaches Abbild des romantischen Helden, der das Getrenntsein und die Enttäuschung in der Liebe mit übermenschlicher Intensität erlebt. Wenn sie denn wütend und frustriert waren, richtete sich ihre Wut zuletzt gegen sie selbst und nicht gegen die Gesellschaft. Aus einem Gefühl der Hilflosigkeit flüchteten sie dann in Depressionen und Alkohol oder sie begingen Selbstmord, wie die Helden in den Filmen »Devdas" und »Pyaasa". Ihre Rebellion blieb auf sie selbst beschränkt. In der damaligen feudalen Gesellschaftsordnung fühlten sich die Menschen in Indien ausgebeutet und ungerecht behandelt. Mit dem beginnenden Kapitalismus und der fortschreitenden Industrialisierung setzte zunächst die Hoffnung auf eine Verbesserung der Lebensumstände ein, die Helden der 60er Jahre wurden positiver und optimistischer. Doch letztendlich änderte sich nicht viel im Land. Der Traum von einer besseren Zukunft zerplatzte und kreierte eine neue Art von Zynismus und Ärger bei der Bevölkerung. Die Reaktion auf die gesellschaftlichen und politischen Einflüsse war der Antiheld Vijay, den Amitabh Bachchan verkörperte. Dieser vollbrachte die Dinge, von denen Millionen Inder damals träumten, er nahm ihnen das Gefühl von Ohnmacht und Hilflosigkeit. Er kämpfte für eine bessere und menschlichere Welt.
      Doch das ist nicht alleine der Grund für seinen Erfolg. Amitabh Bachchan verkörpert für die Inder physisch und charismatisch den Archetyp eines Helden. Jeder möchte ihn als Vater, Berater und Freund haben. Auch von den Stars der Filmindustrie wie Shah Rukh Khan, Hritik Roshan und Govinda hört man immer wieder, wie sehr Amitabh Bachchan ihr Vorbild ist.
      Seit 34 Jahren arbeitet er in der Filmindustrie und hat um die 200 Filme gedreht. Da er sich nicht nur auf einen Rollentyp festgelegen wollte, spielte er 1977 in "Amar, Akbar und Anthony" den Part des Anthony und zeigte in dieser Rolle auch Talent für Komik. Ende der 80er Jahre konnte Amitabh Bachchan jede Rolle spielen, Antihelden, Romantiker, Tyrannen, Liebhaber, Kämpfer und komische Helden. Auch als Sprecher betätigte sich Amitabh Bachchan, beispielsweise konnten wir seine dunkle, tiefe Stimme als Erzähler in dem Filmklassiker "Lagaan" hören.
      Seit 2000 ist er der Moderator von "Kaun Banega Crorepati?", der indischen Version (Wer wird Millionär?) im indischen Kanal "Star Plus". Diese Show ist ein phänomenaler Erfolg, mit Witz und Charme lockt er die Menschen von den Straßen. In den derzeitigen Filmen spielt er meistens die Charakterrolle des streng orthodoxen Vaters oder Lehrers, scherzend meint er in einem TV-Interview dazu: "Ich habe mich vom „Angry Young Man“ zum „Angry Old Man“ entwickelt."
      Verheiratet ist Amitabh Bachchan mit der Schauspielerin Jaya Bhaduri. Sowohl sie als auch ihre beiden Kinder Abishek und Shweta arbeiten für das Bollywoodkino.


      Die Stars der 80er und 90er Jahre - die neue Generation

      Die 80er Jahre wurden außer von Amitabh Bachchan noch von Salman Khan und Sunny Deol geprägt, der die Auseinandersetzung mit den Bösewichten ebenfalls nicht scheute.


      Salman Khan

      Salman Khan ist der erste Hindistar, der seinen gestählten Körper zum Markenzeichen erhob und zur Schau stellte. Er wurde bekannt in Filmen wie "Hum Aapke Hain Koun" (1994), "Hum Dil De Chuke Sanam" (1999),"Biwi No. 1" (1999), "Chori Chori Chupke Chupke" (2001). Zurzeit steht er einerseits wegen Verbindungen zum organisierten Verbrechen und andererseits wegen Mordverdachts in Kritik. Salman Khan fuhr laut Anklage auf dem Bürgersteig und tötete einen Passanten. Seiner Meinung nach war es ein tragischer Unfall. Das Gerichtsurteil steht noch aus.


      Sunny Deol

      Sunny Deol, alias Ajay Singh Deol stammt aus dem Punjab und zählt dort noch heute zu den beliebtesten Schauspielern. Er war zwar ein miserabler Tänzer, hatte dafür aber viele beeindruckende Muskeln, die er stattdessen einsetzen konnte. Er ist der geborene Macho, der für Ehrlichkeit und Gerechtigkeit steht und nie aus Mordlust tötet. Sunny Deol spielte fast nur in patriotischen Action- Epen wie "Border" (1997), "Gadar" (2001) und "Hero"(2003) mit.


      Govinda

      Der Übergang der 80er Jahre in die romantischen 90er Jahre wurde mit einer neuen Heldenfigur, der des "Komischen Helden" eingeleitet. Govinda, der auch Chi Chi genannt wird, war der erste komische Held im Hindikino und gilt als der größte Komiker Indiens. Er ist eine Mischung zwischen Jim Carrey und Robin Williams. In letzter Zeit hat er massiv zugenommen, das führte dazu, dass neben seinem Dauergrinsen nun auch sein Übergewicht sein Markenzeichen wurde. Des Weiteren trägt er in seinen Filmen sehr gerne Motorradjacken und Ohrringe aus den 80ern. Neben seinem komischen Talent besitzt er ein versiertes tänzerisches Können. Er spielt den Dörfler, der in die große Stadt kommt, u. m sein Glück zu machen. Nach einigen Hindernissen heiratet er eine reiche Frau und verbringt mit ihr rosige Zeiten. Seine erfolgreichsten von bisher 92 Filmen sind »Biwi no 1", "Jodi no1 ", "Raja Baba", "Coolie no 1 ", und »Hero no 1 ". Inzwischen ist er seiner Komikereinsätze müde geworden und will nach »Ek Aur Ek Gyarah" (2003) versuchen, eine neue, interessantere Rolle zu bekommen.


      Anil Kapoor

      Anil Kapoor, er gehört der Kapoor- Dynastie an, verkörpert den romantischen Helden. Sein Durchbruch kam mit "Virasat" (1997). Er spielt den neuen romantischen Helden mit »Allround- Talent", der als Schwiegersohn geeignet ist und dennoch genügend Sex-Appeal besitzt. Er ist der Mann, den jeder gerne als Bruder oder Freund haben will.


      Shah Rukh Khan

      Einer der größten Superstars der Gegenwart ist Shah Rukh Khan, der nicht aus einer Familiendynastie der Filmindustrie stammt. Er hat eine Schauspielausbildung an der Akademie in Delhi gemacht und dann dort am Theater gearbeitet. Danach wechselte er über zum Fernsehen und spielte in mehreren Serien mit. Anfang der 90er Jahre ging er nach Mumbai zur Filmindustrie. Seine dortige Karriere begann er als untypischer Hindifilmheld. Nach einigen anfänglichen Flops wurde die Rolle des mörderischen Psychopathen "Baazigar" (1993) mit ihm besetzt. Ein einmaliger Film in der Geschichte Bollywoods, denn zum ersten Mal bringt der Held die Heldin um. Shah Rukh Khan zählt zu den wenigen Schauspielern Bollywoods, die in den letzten zehn Jahren viele verschiedene Rollen spielen konnten.
      Besonders viel Lob erntete er für die Rolle in "Devdas" (2002), da diese Figur schwierig zu spielen war und viele subtile Nuancen erforderte. Er übernahm selbst die klassische Körpersprache und Sprechweise seines Vorgängers K. L. Saigal aus en 30er Jahren. Inzwischen hat Shah Rukh Khan mit dem Regisseur Aziz Mirza und der Schauspielerin Juhi Chawla die eigene Produktionsfirma "Dreams Unlimited" gegründet.


      Aamir Khan

      Ein anderer in Europa bekannt gewordener Star ist Aamir Khan, den man in seinem von ihm produzierten Film "Lagaan" (2000) als Helden und Befreier eines indischen Dorfes bewundern konnte. Seine Familie ist ebenfalls im Filmgeschäft tätig, Vater Tahir Hussain ist Filmproduzent und sein Onkel Nasir Hussain ist Regisseur.
      Aamir Khan wollte eigentlich Kricketspieler werden, machte dann seine ersten Erfahrungen als Regieassistent bei seinem Onkel. Völlig überraschend wurde er auf einmal Schauspieler, alle dachten, dass er zu schüchtern und zu introvertiert wäre. Er gab sein Debüt in dem Artfilm "Raakh"( 1988 ) von Aditya Bhatacharya. 1988 wurde er von seinem Cousin Mansoor Khan gecastet und für den Helden in "Qayamat se Qayamat Tak" engagiert. Dieser Film wurde ein riesiger Kassenschlager, und Aamir Khan wurde über Nacht berühmt. Er gehört derzeit zu den höchstbezahlten Bollywoodstars. Für den Film ,,Mangal Pendey - The Rising", der 2005 in die Kinos kommt, kassierte er die horrende Summe von 80 Millionen Rupien.
      Aamir Khan ist einer der wenigen Schauspieler, die ihre eigene Produktionsfirma besitzen, und hat sich damit die Möglichkeiten geschaffen, bestimmte Projekte realisieren zu können.


      Hrithik Roshan

      Der Prototyp des romantischen Helden wird derzeit meistens verkörpert durch Superstar Hrithik Roshan, Sohn des Regisseurs und Schauspielers Rakesh Roshan. Eigentlich wollte Hrithik gar kein Schauspieler werden, sondern Grafikdesign und 3D-Computeranimation in den USA studieren. Rakesh Roshan suchte für sein Filmdebüt "Kaho Na Pyar Hai" (2000) einen Helden und dachte dabei an Shah Rukh Khan, doch dieser konnte zeitlich nicht zusagen. Eines Tages saß er mit seinem Bruder, dem Musikkomponisten Rajesh Roshan, und der Drehbuchautorin Honey Irani zusammen, als Hrithik zufällig ins Zimmer kam. Da betrachtete Rajesh Roshan seinen Neffen Hrithik und meinte: "Warum nicht er?" Und Rakesh antwortete: "Ja warum nicht?!"
      Der Film wurde mit wenig Werbung angekündigt, da er weder zwei bekannte Stars für die Hauptrollen vorweisen konnte noch einen berühmten Musikkomponisten. Wider Erwarten wurde er über Nacht ein absoluter Boxofficehit. Hrithik besaß alles, was zu einem Superstar der neuen Generation gehört: Charme, Stimme, Talent, Anmut und Verletzbarkeit. Wie ein Lauffeuer verbreitete sich die Nachricht von dem neuen Superstar Hrithik in den Medien, eine wahre Hrithik-Manie überschwemmte das Land.



      Die „bösen“ Stars


      Der Schauspieler Pran Sikand spielte in den 50er und 60er Jahren den König des absoluten Übels. Sein Name wurde das Synonym für das Böse schlechthin. 25 Jahre lang gab es in ganz Nordindien keine Söhne, die den Namen Pran trugen. Die Verachtung für Pran ging sogar so weit, dass Leute, sobald sie ihn sahen, mit Steinen nach ihm warfen und ihn beschimpften (India Today, 30.11.1988 ).
      Auch Pran wollte eigentlich kein Schauspieler werden, es ergab sich alles rein zufällig. Er war Fotograf in Labore und traf dort den Drehbuchautor Walli Mohammed. Dieser war so von seiner Ausstrahlung begeistert, dass er ihm eine Rolle für das Punjabmovie „Yamala Jat“ (1940) gab. Danach zog Pran nach Mumbai und arbeitete mit Bimal Roy und Raj Kapoor. Bekannte Filme, in denen er mitwirkte sind: „Madhumati“ ( 1958 ) und "Jish Desh Mein Ganga Behti Hai" (1960).

      Einer der gefürchtetsten und beeindruckendsten Bösewichte der indischen Filmgeschichte war jedoch die Figur des Gabbar Singh aus "Sholay" (1975), der von Amjad Khan gespielt wurde. Er war eine Mischung aus mexikanischem Bandit und skrupellosem Psychopathen.
      Er trug Militärstiefel, war unrasiert und hatte tabakgelbe Zähne. Das Gefährliche an ihm waren seine Unberechenbarkeit und seine Bildung. Er hatte seine eigenen Moralvorstellungen. Keiner der anderen Bösewichte war so grundlos schadenfroh, sadistisch und grausam wie Gabbar Singh. In "Sholay" ließ er Basanti (Hema Malini) auf Glasscherben tanzen, schnitt Thakur die Arme ab und erschoß drei seiner Leute beim Russisch Roulett. Mütter setzten die Figur Gabbar Singh sogar als Drohmittel ein. Wenn ihre Kinder weinten und nicht schlafen wollten, sagten sie: "Schlaf, oder Gabbar Singh wird kommen."

      Ein weniger gruseliger Zeitgenosse der 70er und 80er Jahre war Prem Chopra. Er spielte den schleimigen, höflichen Lustmörder, vor dem sich alle Frauen in Acht nehmen mussten, sobald er sich auf der Straße zeigte. Er benutzte immer englische Phrasen und imitierte James Bond. Wenn er sich vorstellte, sagte er immer: »My name is Prem, Prem Chopra" . Er rauchte, trank, fuhr schnelle Autos, war immer gut gekleidet und hatte ein Mädel an seiner Seite. Prem Chopra, der lange Karriere als Schurke gemacht hatte, erlaubte seiner Tochter nicht, diese Filme anzuschauen, er hatte Angst davor, was sie von ihm denken würde. Er erzählte, dass die Leute nichts mit ihm zu tun haben wollten, da er so grauenvolle Dinge auf der Leinwand tat.

      Viele damalige Schauspieler wünschten sich, ab und an den Bösewicht spielen zu dürfen, doch einige waren dazu verdammt, es tun zu müssen. Ranjeet, bekannt aus „Reshma aur shera“ (1971), spielte in mehr Filmen den Bösewicht als mancher Star den Helden. Inzwischen ist er dieser Rollen müde geworden und arbeitet als Regisseur. In einem Interview mit „Man's world“(Dezember 2000) sagte er: „Du wachst auf und gehst zur Arbeit, du vergewaltigst die Tochter von irgend jemandem, du beraubst jemanden, wie lange kann man solche immer gleichen Rollen wohl machen?“.

      Ein Bösewicht der 80er Jahre, der auch international bekannt wurde, ist Amrish Puri. Er spielte in Steven Spielbergs »The Temple of Doom" den Priester, der Menschenopfer darbringt. Amrish Puris Spezialitäten sind in „Mr. India“ (1987) zu bewundern, wo er als geistesgestörter Terrorist Mogambo mit ausländischen Kontakten Indien mit Nuklearwaffen zerstören will. Ebenfalls berühmt wurde er für Sätze wie in dem Film “Nastik" (1983): “Give him Hamlet's poison so that he may more from being to be to not to be.” Oder: “Drop him into liquid oxygen, liquid won't let him live and oxygen won't let him die”. Amrish Puri war eine Verschmelzung von verschiedenen Schurkenfiguren der Filmgeschichte, eine Kombination von Rind Sadhu, Mad Max und amerikanischen Science Fiction-Bösewichten.
      Ein weiterer äußerst beliebter Bösewicht der 80er Jahre war Gulshan Grover. Er kam Anfang der 80er Jahre zur Filmindustrie nach Mumbai und spielte zwischen 1990 und 2003 in 100 Filmen den Fiesling. Er ist zu sehen in »Duplicate" ( 1998 ), "Rahul" (2001) und "Ek aur Ek Gyarah" (2003).
      Andere berühmte Bösewichte der 70er und 80er Jahre waren Shakti Kapur, der in über 250 Filmen mitwirkte, Kivan Kumar und Sadashiv Amrapurka. Alle kamen ursprünglich aus der Theaterszene.



      DIE STARLETS


      Die Filmdiven der 20er und 30er Jahre

      Anfang des 20. Jahrhunderts war es beim indischen Theater und Film üblich, dass Männer und Frauen aus den unteren Kasten, zu denen die Künstlerkreise gehörten, die Frauenfiguren spielten. Für Damen aus gutem Haus galt es damals als gesellschaftlicher Makel, sich vor fremden Männern darzustellen. Während der britischen Kolonialzeit gab es verschiedene Reformbestrebungen; eine davon war, gebildete indische Frauen aus der gesellschaftlichen Oberschicht auch für die Arbeit beim Film zu gewinnen. Erst im Verlauf der 20er Jahre erklärten sich zunehmend Frauen aus den angesehenen gesellschaftlichen Kreisen bereit, sich als Schauspielerin zu betätigen. Zunächst waren dies Frauen mit nicht hinduistischem Hintergrund. Erste Filmschauspielerinnen waren die Jüdin Ruby Meyers, die unter dem Hindunamen „Sulochana“ bekannt wurde, und die Christin Glorious Gohar, die wegen ihres eleganten Stils die Herzen der Zuschauer eroberte. Beide spielten in mythologischen und sozial orientierten Filmen. Sulochana war Indiens erster weiblicher Filmstar, Mitte 20er Jahre wurde sie bekannt durch Filmhits wie "Telephone Girl" (1926) und "Anarkali" (1928 ).
      Eine der berühmten damaligen Schauspielerinnen und Sita- Darstellerinnen neben Durga Khote war Shobhana Samarth. In einem Interview bei der Preisverleihung der indischen Filmzeitschrift "Filmfare" 1997 äußert sie, dass sie sich mit der »Sita-Rolle" überhaupt nicht identifizieren konnte und es ihr schwer gefallen sei, diese Figur glaubhaft zu verkörpern, da sie von diesem Frauenbild nicht überzeugt war. Vom Charakter und ihren Gewohnheiten her sei sie eher das völlige Gegenteil Sitas gewesen: aufbrausend, rebellisch und mit einer Vorliebe für Alkohol, Zigarillos und Fleisch. Doch Shobhanas Zwiespalt blieb von den Zuschauern unentdeckt. Im Gegenteil: Sie waren dermaßen von Shobhanas Darstellung überzeugt und angetan, dass sie der Figur, sobald sie auf der Leinwand erschien, Blumen zuwarfen.


      Mary Evans Wadia

      Eine weitere Heldin der 30er Jahre war Mary Evans Wadia, auch unter dem Namen „Fearless Nadia“ bekannt. Die gebürtige Australierin bekam eines Tages die Gelegenheit, mit einer Ballettgruppe quer durch Indien zu tingeln, wo sie schließlich als Revuegirl bei den Wadia-Movietone-Studios in Mumbai landete. Die beiden Wadia - Brüder waren verrückt nach Western und Abenteuerfilmen. Sie entdeckten, dass Mary Evans nicht nur gut tanzen, sondern auch reiten und fechten konnte. Sie wagten das Risiko, erstmals einen Stunt -/ Abenteuerfilm mit einer Frau zu drehen. Ihr Debütfilm »Hunterwali" (1935) schlug wie eine Bombe beim indischen Publikum ein. Es folgte eine Reihe von 50 Actionfilmen. Ihre Darstellung entsprach genau dem Gegenteil der gewohnten Frauenrollen. Zu ihren Spezialitäten gehörte es, auf fahrenden Zugdächern zu rennen, böse Männer zu verprügeln und sich in tosende Wasserfälle zu stürzen. Sie war eine Mischung aus Zorro, Tarzan und Robin Hood. Fearless Nadia wollte mit ihrem Verhalten indische Frauen dazu ermutigen, sich gegen Unterdrückung und Ungerechtigkeiten zu wehren.
      So sagte sie in "Diamond Queen (1940): »Wenn Indien frei sein will, dann muss die indische Frau genauso frei werden"


      Die Filmdiven der 40er und 50er Jahre

      Die weiblichen Stars der 40er und 50er Jahre spielten klassische, konventionelle Frauenrollen, die jedoch gleichberechtigt neben dem Helden standen oder sogar in den Mittelpunkt des Films gerückt waren. Diese Schauspielerinnen blieben den indischen Zuschauern wegen ihrer authentischen und ausdrucksstarken Performance in Erinnerung. Die bedeutendsten Schauspielerinnen jener Tage waren Nargis, Meena Kumari, Nutan, Waheeda Rehmann und Madhubala. Sie schafften es, in ihrem vorgegebenen Rahmen dennoch erfolgreich progressive Ideen zu transportieren.
      Militante indische Frauenfiguren haben auf das indische Publikum eher abschreckend gewirkt. Sie zeigten die Sorgen, die Sehnsucht und das Leid des Frauendaseins. Die Filme, in denen sie mitspielten, schrieben Filmgeschichte und dienen heute noch vielen Regisseuren und Cineasten als anzustrebendes Ideal.


      Nargis

      Nargis wurde vor allem für ihre Rolle in dem historischen Epos „Mother India“ (1957) von Mehboob Khan berühmt, der in der Zeit vor und nach der indischen Unabhängigkeit spielt und den gleichen Stellenwert in der Filmgeschichte besitzt wie das Hollywood-Epos "Vom Winde verweht". Nargis wurde von ihrer Mutter schon als Kind zum Star aufgebaut, bereits mit vierzehn Jahren bekam sie ihre erste Rolle in Mehboobs Film „Taqdeer“ (1944). Ihre Mutter Jaddan-Bai entstammte der Kurtisanen-Tradition (kothevali), war ausgebildet in Musik, Tanz und Schauspielerei und mit dem Regisseur Mehboob befreundet. Nargis spielte oft Rollen, in denen sie Menschen darstellen musste, die älter waren als sie selbst. Es waren außergewöhnlich starke und mutige Frauenfiguren, die sie verkörperte. Für den Film "Mother lndia" wurde ihr die große schauspielerische Leistung auferlegt, nacheinander die verschiedenen Lebensstadien einer Frau darzustellen, angefangen von der jungen Braut über die junge Mutter und reife Frau bis hin zur Greisin.
      Nargis spielte nicht nur für den Regisseur Mehboob Khan, sie war vor allen die Protagonistin in den meisten filmen des Regisseurs Raj Kapoor, mit dem sie eine heimliche Liebesaffäre hatte.


      Meena Kumari

      Meena Kumari, eine weitere bedeutende Schauspielerin jener Zeit, bekam den Ruf als "Tragedy Queen" des indischen Kinos. Eigentlich hieß sie Mahjabeen (Mondgesicht). Tatsächlich traf dieser Name auf ihre Gesichtsform zu. Schon mit sechs Jahren stand sie vor der Kamera und gab ihr Debüt in „Leather Face“ (1939). Als Erwachsene stellte sie das Leid und die Pflichterfüllung indischer Mütter und Ehefrauen dar. Mit "Baiju Bawra" (1952) wurde sie zum Publikumsliebling, es folgten „Parineeta“( 1953), "Sharda" (1957) und "Dil Ek Mandir" (1963). Doch ihre besten Filme waren "Sahib Biwi Aur Ghulam" (1962), in dem sie Choti, die unglückliche Schwiegertochter spielt, die aus lauter Langeweile und Frust zur Alkoholikerin wird, und "Pakeeza" (1971), in dem sie das tragische Leben einer Prostituierte darstellt. Millionen indischer Frauen konnten sich mit Meenas Rollen identifizieren.

      Weitere wichtige nennenswerte Schauspielerinnen der 50er Jahre waren Nutan, Waheeda Rehmann und Madhubala.
      Nutan, ist die Tochter von Shobhana Samarth und wurde Ende der 50er Jahre mit ihren eher unkonventionellen Rollen erfolgreich. Sie hatte vom Typ her ein ähnliches Image wie Audrey Hepburn, in "Sujata" (1959) spielte sie eine Unberührbare und in "Bandini" (1963) eine Mörderin.


      Waheeda und Madhubala

      Waheeda verkörperte die klassisch muslimische Schönheit, mysteriös und zugleich verführerisch. Für das Mumbaikino wurde sie von Guru Dutt entdeckt, als der sie zufällig in einem südindischen Telugufilm sah. Er engagierte sie für alle seine Filme wie "CID", "Pyaasa", und "Kaga; Ke Phool". Und Madhubala, die eigentlich Mumtaz Jehan Begum hieß, war die indische Marilyn Monroe. Sie setzte den Standard für Schönheit. In den 50er Jahren wirkte sie in über 70 Filmen mit. Ihren Durchbruch hatte sie mit der Geistergeschichte "Mahal" (1949) von Kamaal Amrohi, in der sie eine unglückliche Spukgestalt spielt. Ebenso beeindruckend ist sie in "Mughal e-Azam" (1960,) in dem sie Anarkali, die den Untergang geweihte Geliebte, darstellt.

      Die Filmdiven der 60er und 70er Jahre


      Ab Mitte der 60er Jahre begann glamouröses Aussehen wichtiger als Talent unglaubwürdige Performance zu werden, viele Stars kamen dementsprechend aus der Modewelt zur Filmindustrie. Bekannte Stars wurden Saira Banu (Beauty Queen) oder Hema Malini (Dream Girl). Während bis in die 60er Jahre Held und Heldin gleichermaßen interessante Untersuchungsobjekte für die Filmemacher darstellten, änderte sich dieses Verhältnis ab Mitte der 60er Jahre. Die Frauenrollen wurden uninteressanter, Heldinnen spielten vorwiegend romantische Nebenrollen, wohingegen der Held das Zentrum der Filme immer mehr zu beherrschen begann.


      Hema Malini

      Hema Malini war die Top-Schauspielerin der 70er Jahre, fast jeder Film, in dem sie mit machte, wurde ein Boxoffice- Hit. Sie war so erfolgreich, dass sie sich Dinge erlaubte, die sonst keine andere Schauspielerin gewagt hätte. Beispielsweise bestimmte sie, mit welchem Star sie zusammenarbeiten wollte. Normalerweise entscheiden die Stars, mit welcher Schauspielerin an ihrer Seite sie arbeiten möchten. Sie weigerte sich, mit dem Superstar Rajesh zu spielen, und auch mit Amitabh Bachchan kam es öfters zu Auseinandersetzungen. Hema Malini war ursprünglich Tänzerin und kam aus Südindien, sie spielte keine sonderlich anspruchsvollen Rollen, hatte jedoch eine unglaubliche Präsenz in ihren Filmen. Bekannte Filme waren "Johnny Mera Naam ", „Lal Patthar“, „Seeta aur Geeta“ und „Sholay“.


      Rekha

      Ein anderer weiblicher Publikumsmagnet war Rekha. Sie ist das uneheliche Kind der populären südindischen Tamil-Schauspielerin Gemini Ganeshan und des berühmten südindischen Politikers Jeminni Ganeshan. Als Rekha Ende der 60er Jahre nach Bollywood kam, war sie plump, drall und dunkelhäutig und wurde als Schauspielerin nicht ganz ernst genommen. Mitte der 70er Jahre vollzog sie unter dem Einfluss von Amitabh Bachchan eine Metamorphose zur athletischen und mental gereiften seriösen Schauspielerin. Rekha und Amitabh Bachchan galten als das Traumpaar, sie spielten in über 20 Filmen zusammen, z.B. in "Muqaddar Ka Sikandar", "Silsila" und "Mr. Natwarlal". Ihre beste Darbietung gab Rekha in dem Film "Umrao Jaan", in dem sie eine Kurtisane spielt, die um ihre Rechte und ihr Glück kämpft.

      Weitere bekannte Stars der 70er Jahre, die ein neues Heldinnenbild des "good- bad girls" einführten, waren Zeenat Aman und Parveen Babi. Sie waren die Heldinnen der indischen Flowerpowerbewegung und leiteten den Imagewechsel von der tugendhaften Sitaheldin zur selbstbewussten unabhängigen Frau ein, mit der man "Pferde stehlen konnte".


      Filmdiven der 80er Jahre bis heute


      Sri Devi

      Sri Devi war die höchst bezahlte Schauspielerin der 80er Jahre und verkörperte das indische Idealbild: vollbusig, Schlafzimmerblick, Engelsgesicht und kindliche Stimme. Sie hatte mit "Nagina" (1986) und »Nigahen" (1989) Toperfolge. Meist spielte sie aber die Sexdiva. Erst in späteren Filmen wie "Chandini" (1989) und »Lamhe" (1991) spielt sie anspruchsvollere Rollen, reife Frauen, die gegen Vorurteile und für ihre Unabhängigkeit kämpfen.

      Andere gefragte Stars der Gegenwart sind: Bipasha Basu, Urmila Matondkar, Kareena Kapoor, Madhuri Dixit, Preity Zinta, Aishwarya Rai und Kajol Mukherjee. Sie sind aber eher wegen ihrer grandiosen Tanzszenen bekannt als für ihr schau spielerisches Können. Die Rollen, die sie spielen, bieten ihnen wenig Raum neben dem Helden. Sie sind mehr oder weniger Dekoration für den Helden, jemand, mit dem man singt und tanzt. Verpackung neu, Inhalt alt. Das Ziel der meisten Heldinnen besteht darin, den Helden zu bekommen und ihn zu heiraten, mehr nicht.


      Bipasha Basu

      Das Exmodel Bipasha Basu ist besonders wegen ihres raffinierten Blicks, der starke Männer zum Schmelzen bringt, bekannt. Ihr linkes Auge ist meist halb geschlossen und das rechte Auge geöffnet. So betört sie die indische Männerwelt. Kein Wunder, dass sie besonders mit „Jism“ (2003), einem vor Erotik knisternden Film, Erfolg hatte.


      Urmila Matondkar

      Urmila Matondkar ist ebenfalls Exmodel, und eine begnadete Tänzerin. Deswegen wird sie vorwiegend für Tanzszenen eingesetzt. Bekannt wurde sie in dem Fi1m "China Gate" ( 1998 ) mit der berühmten "Chamma Chamma"- Tanzsequenz. Zurzeit kann man ihre heiße Tanzeinlage in "Company" (2002) bewundern.


      Kareena Kapoor

      Kareena Kapoor ist Karisma Kapoors jüngere Schwester und Enkelin des berühmten Raj Kapoor Sie ist erst seit dem Jahr 2000 in der Bollywoodindustrie tätig. In nur drei Jahren hat sie sich einen Platz auf den obersten Rängen erkämpft. Sie spielt meist zickige, eingebildete und sehr aufreizende Frauenfiguren. Deshalb ist sie bei Indiens weiblichem Publikum nicht so beliebt. Zu bewundern ist Kareena Kapoor in Filmen wie "Asoka" (2001), "K3G" (2001) und "Talaash" (2003).


      Madhuri Dixit

      Madhuri Dixit war Model, ehe sie zum Film kam. Sie spielt tugendhafte, geläßigt emanzipierte Frauenfiguren. Besonders berühmt wurde sie wegen ihres tänzerischen Könnens in dem Film "Hum Aapke Hain Koun" (1994). Nach diesem Film gehörte sie 1994 zu den höchstbezahlten Schauspielerinnen Bollywoods. In den letzten Jahren ist es etwas ruhiger um sie geworden, sie widmet sich derzeit mehr ihrem Mann und ihrer Familie. Der letzte große Film, in dem sie mitspielte war "Devdas" (2002).


      Preity Zinta

      Preity Zinta gehört zu den charmantesten Gesichtern Bollywoods. Sie war einst Model und TV -Moderatorin. Besonders bekannt wurde sie mit Filmen wie "Mission Kashmir" (2000), "Chori Chori Chupke Chupke" (2001), »Dil Chahta Hai" (2001) und »The Hero" (2003).


      Aishwarya Rai

      Aishwarya Rai gehört zu den höchstbezahlten Stars der Filmindustrie. Auch sie war Schönheitsmodel und gewann 1994 die "Miss World- Wahl".1997 trat sie dann der Bollywoodgemeinschaft bei. Man sieht, dass der Einstieg als Model eine ideale Zugangsvorausetzung für die Filmbranche ist. Anfangs wurde Aishwarya Rai nur für Tanzszenen eingesetzt, doch inzwischen hat sie auch größere Rollen bekommen. Beispielsweise spielt sie in »Devdas" an der Seite von Shah Rukh Khan. Sie ist sehr ehrgeizig und hat auch Ambitionen, in das internationale Filmgeschäft einzusteigen. Hollywood hat sie bereits als neues Bond-Girl im Auge. Und der in Hollywood lebende indische Regisseur M. Night Shyamalan hat auch schon bei ihr angeklopft. Bewundern konnten westlichen Zuschauer Aishwarya Rai bei ihrem Starauftritt in Cannes. Keine andere Schauspielerin wurde bei den Filmfestspielen so oft fotografiert und gefilmt wie sie.


      Kajol Mukherjee

      Kajol Mukherjee gehört zu den beliebtesten Schauspielerinnen. Sie steht nicht nur bei Fans hoch im Kurs, sondern auch bei Kollegen. Sie versprüht eine Fröhlichkeit, die einfach ansteckend ist. ihr Markenzeichen ist ihr spitzbübisches Lachen und ihre auffällig breite Nase. Zu bewundern war sie in Filmen wie »Dilwale Dulhania Le Jayenge" (1995) »Kuch Kuch Hota Hai" ( 1998 ) und in »K3G" (2001).
      Zu den wenigen Schauspielerinnen, die die Möglichkeit bekommen haben, anspruchsvollere Rollen zu spielen, gehören Tabu, Karisma Kapoor und Shabana Azmi.


      Tabu


      Tabu war einst Supermodel und hat sich inzwischen zur angesehenen Schauspielerin gemausert. Tabu vereint Schönheit mit Talent. Sie spielt sowohl in Blockbustern als auch in Independent-Filmen mit. Sie legt großen Wert darauf, stark emanzipierte Frauenfiguren zu spielen, sowie in den Filmen "Chandni Bar" (2001) oder "Astiva" (2002).


      Karisma Kapoor

      Karisma Kapoor ist ein Megastar mit eindrucksvoller Erfolgsbilanz. Sie gehört zu den bekanntesten Gesichtern im indischen Filmbusiness. Schon im Alter von 20 Jahren war sie berühmt. Sie spielte die Protagonistin in Filmen wie »Raja Hindustani" (1996), »Fiza" (2000), »Zubeidaa" (2000) und »Shakti" (2002). Diese Filme repräsentieren nur einige wenige Beispiele, in denen Frauenfiguren im Mittelpunkt stehen, die u. a. versuchen, sich gegen das Patriarchat aufzulehnen und sich zu behaupten.


      Shabhana Azmi

      Shabhana Azmi ist Frau des Drehbuchautors und Songtexters Javed Akhtar. Sie wurde in ihrer Rolle in dem Film »Godmother" (1999) von Tausenden indischen Frauen als Vorbild gewählt, da sie mutig gegen Diskriminierung und Vorurteile kämpft. Shabana Azmi ist eine der besten indischen Schauspielerinnen. Sie hat in Kunstfilmen und in Kommerzfilmen mitgespielt. Ungeachtet ihrer 48 Jahre werden ihr höchst gehaltvolle Rollen angeboten. Sie meint, dass dies vor zehn Jahren nicht denkbar gewesen wäre. Ältere Schauspielerinnen spielten damals ausschließlich Mutterrollen, sprich asexuelle Wesen, das hat sich nun glücklicherweise geändert.

      Die Vamp-Darstellerinnen

      Schauspielerinnen, die den Vamppart übernahmen, waren: Begum Para, Sheila Ramani, Shashikala, Vijayalakshmi oder Kuldip Kaur. Die berühmteste Vamp- Darstellerin war jedoch Helen Richardson, sie regierte diesen Bereich von den 60er bis zu den 70er Jahren. Sie galt als das indische Sexsymbol der 60er Jahre. Besonders sehenswert war sie in »Sholay", als sie für den Schurken Gabbar Singh tanzte, oder in »Caravan" (1971) als die Whisky trinkende Femme Fatale.

      Eine Anekdote von Archana Puran Singh, die in vielen Filmen die Vamprollen spielte, zeigt, dass die Rolle des Vamps im Laufe der Zeit sehr trivialisiert worden ist: »Eines Tages kam ein Produzent zu mir, um über eine Filmproduktion zu sprechen. Die Art, wie er mir Instruktionen gab, war im Nachhinein eher vergnüglich: Er sagte: „Madam, ich möchte mit Ihnen einen Film drehen, es gibt drei Szenen: eine Entführung, dann singen sie vier Lieder und dann sterben sie - sie opfern ihr Leben für den Helden' - das war es. Ich fragte, was denn die Geschichte des Films sei. Er antwortete: „Die Geschichte des Film? Warum soll ich sie Ihnen erzählen? Ich habe ihnen die Rolle erklärt. O. K.?“ Sie erzählen einem nicht die Geschichte. Wenn du es wirklich wissen willst, sagt man dir nur, wer der Held und wer die Heldin ist, und glaubt, man wäre beeindruckt und das würde ausreichen,“ (aus „Bollywood- The Indian Cinema Story“ von Nasreen Munni Kabir, S.96)
      [IMG]https://www.movie-infos.net/cms/ScImageProxy/?key=df2c7b6bc5b42556453d02c08747746109f59857-aHR0cDovL2kubWludXMuY29tL2lLTUhkUXk2V1RDQjAuZ2lm&s=0d5ad5a2965333a475280ac750bac390c2a31506[/IMG]

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      EIN BLICK HINTER DIE KULISSEN

      WIE WIRD MAN REGISSEUR?

      In Indien gibt es insgesamt etwa 5000 Regisseure, von denen ungefähr 300 in Bollywood arbeiten, aber nur circa 120 gelten in der offiziellen Boxoffice-Liste als erfolgreich. Zu den erfolgreichsten Regisseuren gehören Subhash Ghai, Raj Khosla, Yash Chopra, Ramesh Sippy, Aditya Chopra, Vinod Chopra, Mani Ratnam, Mahesh Bhatt, Rajkumar Santhoshi, Sanjay Leela Bhansali und Ram Gopal Varma.
      Nicht jeder Regisseur hat das Glück, regelmäßig einen Auftrag zu bekommen, und vor allem dann nicht, wenn er schon ein paar Flops gelandet hat. Bis in die 80er Jahre hinein war es möglich, auch ohne ein offizielles Studium an einer Filmakademie als Regisseur bei der Filmindustrie anzufangen. Filmemacher der 40er und 50er Jahre wie Mehboob Khan, Guru Dutt und Raj Kapoor lernten ihr Handwerk als Assistenten bei Filmproduktionen. Nach ihrer Lehrzeit arbeiteten sie als Freischaffende oder gründeten sogar ihre eigenen Filmgesellschaften. Heutzutage stammen 85 Prozent der Regisseure von Filmakademien. Es gibt das "Satyajit Ray TV and Film Institute" in Kolkata, in dem vom Schnitt über Kamera, Regie und Schauspiel alles angeboten wird. Dann bietet die "National School of Drama" in Delhi Regie- und Schauspielkurse an, und schließlich gibt es noch die Filmakademie in Pune. Dieses Film- und Fernsehinstitut ist Indiens erste offizielle Filmakadernie. Sie wurde 1961 auf dem ehemaligen Gelände der Prabhat Company gegründet. Der Direktor der Schule ist der ehemalige Theater- und Filmregisseur Mohan Agashe. Es werden etwa 30 Studenten pro Jahr in Regie, Kamera oder Schauspiel, unterrichtet. Man kann einen Magister-, Bachelor- oder Diplomabschluss erwerben. Die Studiendauer beträgt zwischen zwei und fünf Jahren. Zuvor müssen die Bewerber jedoch an einem Auswahlverfahren teilnehmen. Wichtig dafür sind ein guter Schulabschluss, eine erfolgreiche schriftliche Aufnahmeprüfung und ein ebenso gutes Interview. Die Akademien kosten 10.000 Rupien (etwa 200 Euro) Studiengebühr im Jahr. Die Studenten, die diese Akademien besuchen, sind zwischen 18 und 22 Jahre alt und stammen meist aus der Mittelschicht. Neben dem offiziellen Studium werden auch Kurse und Lehrgänge in Kameraführung, Schnitttechnik, Regie und Schauspieltraining angeboten.
      Ein Vorteil für die Studenten ist der Zugang zum Nationalen Filmarchiv, wo sie die Möglichkeit haben, Weltfilmklassiker anzuschauen. 1990 war David Dhawan einer der dortigen Studenten. Er machte seinen Abschluss in Filmschnitt, danach dauerte es etwa elf Jahre, bis er sich als Regisseur in der Industrie qualifizieren konnte. Erfolgreich wurde er vor allem mit seiner Komödie "Biwi no1« (1999).
      Das Schwierigste ist, einen Finanzier für Filme zu finden. Es gibt zwar staatliche Filmförderungen, doch deren finanzielle Mittel reichen nicht aus, um einen Film davon zu finanzieren. Ebenso ist es in Indien nicht üblich, dass Banken Kredite für ein Filmprojekt zur Verfügung stellen. In Bollywood werden viele Filme mit Hilfe von Kreditgebern aus der Unterwelt finanziert, die sich ein gewisses Mitspracherecht herausnehmen, was die Rollenbesetzung und die Auswahl an Filmprojekten angeht. Immer wieder kommt es zu unliebsamen, oft tödlichen Zwischenfällen zwischen Finanziers und Mitarbeitern der Filmindustrie. Die Produktionsbedingungen sind aus diesem Grund schwieriger als im Westen. Indiens Filmemacher und Produzenten sehen eine Hoffnung und Verbesserung der Situation, wenn sich zukünftig, wie angekündigt, mehr ausländische Unternehmen wie Sony oder Universal finanziell beteiligen. Das würde den Einfluss der Mafia schwächen.


      BOLLYWOOD- REGISSEURINNEN


      Dass indische Regisseurinnen in der Bollywoodindustrie unterrepräsentiert sind, ist nicht verwunderlich, da generell Filmemacherinnen weltweit in dieser Branche rar sind. Fest steht, dass sich unter den 100 erfolgreichsten Bollywoodregisseuren keine einzige Frau befindet. Obwohl es 1928 bereits die erste indische Regisseurin gab, Fatima Begum, die mit "Bulbul-e-Paristan" ihr Debüt gab. In Bollywood sind es Tanuja Chandra, Shrabani Deodhar, Kalpana Lajmi, Sai Paranjpye und Aruna Raje Patil, die sich einen gewissen Namen machen konnten. Andere wie Meghna Gulzar, Pamela Rooks, Pooja Bhatt Suma Josson und Subhasini Mani Ratnam sind gerade dabei, sich einen Platz im Haifischbecken zu erkämpfen.
      Viele indische Filmemacherinnen sind ins Ausland gegangen, da sie dort mehr Chancen für sich sahen, ihre Projekte verwirklichen zu können, so z.B. Mira Nair (Filme: "Salaam Bombay", "Kamasutra", "Monsoon Wedding"), die lange Zeit in den USA lebte und drehte, und Deepa Metha, die nach Kanada emigrierte (Filme: »Fire", »Earth"", Water"). Diese beiden Regisseurinnen sind in Indien erst bekannt geworden, nachdem ihnen vom westlichen Publikum Erfolg und Anerkennung entgegengebracht worden waren. Doch die Gagen und Budgets, die ihre männlichen indischen Kollegen erhalten, bleiben ihnen noch immer versagt. Die Machart ihrer Filme ist auf ein westliches Publikum zugeschnitten.
      Die meisten der indischen Filmemacherinnen versuchen, sich mit Experimental-, Dokumentar- und Kunstfilmen über Wasser zu halten.
      Es gibt mehrere Gründe, warum es für Frauen so schwer ist, in der kommerziellen Filmwelt Fuß zu fassen.
      Allgemein herrscht die Meinung vor, dass Regisseurinnen nur Filme mit Frauenthemen, so genannte »Kükenfilme" machen, die vorwiegend ein weibliches Publikum interessieren, das nur einen kleinen Teil der Kinozuschauer ausmacht. Diese Filme würden dementsprechend nicht genügend Gewinn abwerfen. Die wenigsten Verleiher sind daran interessiert, einen Film von einer Filmemacherin zu vertreiben. Es wird auch kaum Werbung dafür gemacht. Bei den Budgetverhandlungen werden Frauen ebenfalls gegenüber ihren männlichen Kollegen benachteiligt; es heißt, sie würden das Geld verschwenden. Die indische Filmkritikerin Deepa Gahlot meint, es würde eher einem dummen Mann Geld gegeben als einer talentierten Frau, da man Frauen einfach nichts zutraut und man sie in dieser Branche nicht ernst nimmt. Wenn ein Film floppt, bekommt man als Frau sehr selten und nur mit großer Überzeugungskraft eine zweite Chance, wenn im Gegenzug ein männlicher Kollege ein paar Filmniederlagen hatte, verzeiht man ihm das eher.
      Ein weiteres Problem der indischen Regisseurinnen besteht darin, für ihre Filme überhaupt einen männlichen Star zu bekommen. Fast jeder der Hauptdarsteller denkt, die Regisseurinnen würden ausschließlich feministische Themen verfilmen, in denen sie nur eine die Heldin unterstützende Rolle erhielten. Deshalb haben sie meistens kein Interesse. Oft endet das Casting des Helden mit einem unbekannten, ambitionierten oder einem auf der Chartsabschussliste stehenden Schauspieler. Ansonsten bleibt nur die Auswahl zwischen gut aussehenden Models oder Popsängern. Es gibt nur wenige Stars, die den Versuch wagten, mit Regisseurinnen zu arbeiten.
      Diese Regisseurinnen, die einen Star für sich vereinnahmen konnten, waren jedoch im eigentlichen Sinn keine richtigen Filmemacherinnen, sondern berühmte Stars, die sich selbst mal in dieser neuen Rolle versuchen wollten, wie die Leinwandlegende Hema Malini, die Drehbuchautorin Honey Irani oder die Choreographin Farah Khan.
      Shah Rukh Khan spielte sowohl in Hema Malinis Debütfilm »Dil Ashna Hai" (2000), als auch in Farah Khans Erstlingswerk "Main Hoon Na" (2003) mit. Amitabh Bachchan, der in seiner 35-jährigen Karriere bisher nie mit einer Regisseurin gearbeitet hatte, zeigte sich jedoch bereit, bei Honey Iranis Debüt »Armaan" (2003) mitzuspielen.
      Für professionelle Filmemacherinnen ist es nahezu unmöglich, Stars wie Shah Rukh Khan, Hrithik Roshan, geschweige denn Amitabh Bachchan zu bekommen. Die Situation ist ein Teufelskreis: Wenn sie keine Stars bekommen, sind sie automatisch dazu genötigt, Filme mit frauenorientierten Themen zu machen, obwohl sie ebenso gerne Filme über Männer machen würden.
      Aber welche Themen behandeln die indischen Regisseurinnen in ihren Filmen? Aruna Raije Patil, eine der hartnäckigsten Filmemacherinnen, die in den 70er Jahren in der Filmindustrie zu arbeiten begann, beschäftigt sich häufig mit dem Thema Sexualität bzw. weibliche Sexualität. "Rihayee" (1990) handelt von Dorffrauen, deren Männer für mehrere Monate aus beruflichen Gründen abwesend sind, und davon, wie sie in dieser Zeit u. a. mit der fehlenden Sexualität zu Recht kommen. Dieser Film löste bei indischen Frauen ein riesiges Interesse aus, und Aruna Raije Patil bekam Hunderte von Briefen. Ihr Film »Khajurao" (2000) analysiert die Beziehung zwischen Frauen und Männern und zeigt, dass Sex ein Weg zu Gott ist. Inspiriert wurde sie von den alten erotischen Tempelstatuen, die aus einer Zeit stammen, in dem Sex noch als etwas ganz Natürliches und sogar Spirituelles in Indien galt. Der Film erzählt vom Erbe einer vergessenen Kultur.
      Tanuja Chandra ist eine weitere Filmemacherin, die sich einen gewissen Respekt in Mumbai verschaffen konnte. Vielleicht auch, weil ein Teil ihrer Familie dort schon arbeitete. Ihr Bruder Vikram Chandra ist ein bekannter Drehbuchautor und ihr Schwager Vidhu Vinod Chopra ein berühmter Regisseur. Tanuja Chandra begann nach ihrem Masterdegree in Filmregie zunächst beim Fernsehen für die Serie »Zameen Asmaan" als Regisseurin und Drehbuchautorin zu arbeiten. Dann bekam sie die Chance, als Co-Autorin für Yash Chopras Film »Dil to Pagal hai" zu schreiben, und später assistierte sie bei dem berühmten Regisseur Mahesh Bhatt.
      Ihre Filme wie »Zakhm", »Dushmann", "Sangharsh", »Yeh Zindagi Ka Safar" und »Sur - The melody of Life" sind frauenorientierte Mainstreamfilme. Sie sieht es als Herausforderung an, als Frau in dieser Branche zu arbeiten. An so genannten Artfilmen hat sie kein Interesse, sie ,,(...) sei nun mal mit kommerziellen Hindifilmen aufgewachsen und die Kunstfilme seien ihr zu akademisch und trocken (...)". Sie möchte Filme machen, die die Leute verstehen, sie möchte sich mit den Menschen in Verbindung setzten und sich nicht über sie stellen.
      Ihr Film» Yeh Zindagi Ka Safar" (2002) mit Amish Patel in der Hauptrolle wurde kein Hit. Doch der Film ist interessant, da das Hauptziel der Heldin nicht die Vereinigung mit dem Helden ist, sondern die Suche nach ihren Eltern. Die Liebesgeschichte spielt hier nur eine Nebenrolle. Der Film handelt von Sarena, der Tochter eines Industriellen, die im Begriff steht, ein Popstar zu werden. Aus der Zeitung erfährt sie, dass sie adoptiert wurde. Auf der Suche nach ihren leiblichen Eltern lernt sie den Klatschreporter Jai kennen, der sich dann doch als recht menschlich und hilfsbereit erweist, als sie die bittere Wahrheit über ihre Herkunft erfährt. Sie ist das Produkt einer Vergewaltigung.
      Kalpana Lajmi, die bei Shyam Benegal, einem der besten indischen Filmemacher, in die Lehre gegangen ist, hat als Regisseurin bereits einige Auszeichnungen gewonnen. Ihre Filme handeln von weiblichen Begierden und Wünschen, sowie von Verbrechen, die an indischen Frauen begangen werden. Ihr Debütfilm »Ek Pal" (2000) erzählt von den sexuellen Erfahrungen einer indischen Frau vor ihrer Ehe, "Daman" handelt von Vergewaltigung in der Ehe bei Frauen aus der indischen Mittelschicht, und "Kyon" ist ein zeitgenössischer Film über den Wertewandel und das Verhältnis der Generationen in der Pop Kultur. Ihre Filme sind kommerziell, jedoch keine Formelfilme. Die nächsten Projekte sollen Themen wie Aids“, „sexuelle Unterdrückung“, vorehelicher Sex“ und Sex außerhalb der Ehe“ behandeln
      Shrabani Deodhar, eine weitere Filmemacherin der Bollywoodindustrie und Ehefrau des berühmten Kameramanns Debu Deodhar, machte, ehe sie nach Mumbai kam, Artfilme und Dokumentationen. Für »Lapan Dar" und »Sarkar Nama" erhielt sie mehrere Auszeichnungen, und mit "Lekhru" gewann sie sogar in Hollywood einen Preis. Dadurch standen ihr auf einmal auch die Tore der Bollywood- Industrie offen. Dass ihr erster Hindifilm »Yeh Silsila hai Pyar Ka" (2003) ein Flop wurde, hat sie nicht davon abgehalten, den Weg des Hindifilms weiter zu gehen.
      Ein weiterer Film, »Pehchan", ist ein Familiendrama, das von einem erfolgreichen Rechtsanwalt handelt, der mit seiner Schwiegertochter, ebenfalls eine gute Anwältin, einen persönlichen Wettstreit in einem Fall ausficht. Für die Zukunft hat Shrabani Deodhar sich vorgenommen, in ihren Filmen mehr realistische Themen zu bearbeiten.
      Die Jüngste im Bunde der Bollywoodregisseurinnen ist Meghna Gulzar, Tochter des berühmten Regisseurs und Autors Gulzar und der wunderschönen Schauspielerin Rakeehee. Sie machte vor einigen Jahren an der Filmakademie in New York ihren Abschluss und kehrte flugs nach Mumbai zurück, um dort in elterlicher Obhut ihre Karriere zu starten. Ihr Debüt lieferte sie mit "Filhaal" (2002) mit den Schauspielern Tabu, Sushmita Sen, Sanjay Suri und Palash Sen. In dem Film geht es um zwei Paare, von denen die zwei Frauen miteinander gut befreundet sind. Als die eine der beiden ihr Kind nicht austragen kann, stellt sich die andere ihr als Leihmutter zur Verfügung. Der Film handelt von den Konflikten, die sich in einer solchen Situation zutragen können.
      Die indische Filmwissenschaftlerin und Filmkritikerin Deepa Gahlot hat zu den Filmen der Bollywoodregisseurinnen ein zwiespältiges Verhältnis. Sie meint, dass die meisten Geschichten der Filmemacherinnen voraussehbar seien und die Frauenfiguren oft wieder stereotyp dargestellt würden. Die Rollen sind wenig innovativ, oft ist die Mutterfigur gleichzeitig eine Hure oder die Sekretärin eine Femme Fatale. Die Regisseurinnen laufen Gefahr, ähnliche Fehler wie ihre männlichen Kollegen zu machen, d.h. Frauen oft nur als Opfer und Unterdrückte darzustellen. Deepa Gahlot würde sich interessantere Themen wünschen, die über Vergewaltigung und Unfruchtbarkeit hinausgingen.
      Auch die Regisseurin Deepa Mehta, die mit ihrer Trilogie "Fire", "Earth" und "Water" im Westen bekannt wurde, wird in Indien nicht gleichermaßen als Filmemacherin geschätzt wie in Europa. Man wirft ihr vor, in an ihren Filmen ein äußerst negatives Bild von Indien darzustellen und Indiens Misere an ein westliches Publikum zu verkaufen. Während des letzten Teils der Dreharbeiten zu" Water", der in Varanasi spielt und vom harten Schicksal der Witwen handelt, die sich tagtäglich dort prostituieren, wurde Deepa Mehtas Filmteam von einem aufgebrachten Mob tätlich angegriffen, und die Dreharbeiten mussten in einen anderen Teil Indiens verlegt werden.
      Nur ihr Film "Earth" gewann im Jahr 2000 einen Preis bei Filmfare. Eine tief bewegende Beziehungsgeschichte zwischen zwei Männern und einer Frau während der traumatischen Monate vor der indischen Teilung. Der Film basiert auf der Novelle" The Ice Candy Man" der pakistanischen Autorin Bapsi Sidhwa.
      Deepa Mehta geht mit ihrer Trilogie immer weiter in der Zeit zurück. "Fire" spielt in der heutigen Zeit in Delhi, "Earth" in den 40er Jahren in Lahore und "Water" in den 20er Jahren in Benares. Sie möchte in der Trilogie die dunkle Seite des indischen Erbes erforschen. Sie zeigt, dass indische Regisseurinnen mutiger sind, Tabuthemen anzusprechen, als ihre männlichen Kollegen und auf Ablehnung stoßen, da sie versuchen, den Status Quo zu verändern.


      FILMKRITERIEN UND ZIELPUBLIKUM

      Da es in Indien einen großen Unterschied hinsichtlich der Werte- und Moralvorstellungen zwischen Stadt- und Landbevölkerung und einzelnen Regionen gibt, werden dementsprechend Filme mit unterschiedlichem Inhalt produziert. Es gibt Filme, die speziell auf das Publikum Mumbais zugeschnitten sind. Dann gibt es Produktionen, die sich auf den Schwerpunkt Action eingestellt haben und für den nordindischen Teil des Landes bestimmt sind. Oder Filme, die generell für alle Metropolen hergestellt werden und zu guter Letzt vorwiegend Filme für die Kleinstädte und die Landbevölkerung. Das Filmgeschäft unterteilt somit die Filme und ihre Filmemacher in A-, B- und C- Kategorien: Zur A-Klasse zählen Filmemacher, die für die Metropolen oder fürs Ausland und die im Ausland lebenden Inder NRI (Non Residential Indians) produzieren. Unter die B-Kategorie fallen Kleinstädte, und der C- Kategorie werden Dörfer zugeordnet. Letztere sind absolute Low- Budget - Produktionen, die in sieben Tagen abgedreht werden. Auf dem indischen Land schaut man besonders gern Filme mit traditionellem und religiösem Inhalt, Actionfilme und auch harmlosere Horror- und Geisterfilme. Die Zuschauer haben, was das Staraufgebot angeht, keine große Erwartungshaltung, da die meisten Schauspieler, die in diesen Filmen mitwirken, unbekannt sind. Kassenknüller werden auf dem Land viel später als in den Metropolen gezeigt. Wenn die Filme dort auch erfolgreich sind, dann hat man wirklich den Geschmack der Massen getroffen.
      Ehe ein Film gedreht wird, muss natürlich zuerst die Handlung für das Drehbuch feststehen - auch in Indien ist das so, trotz anders lautender Gerüchte.



      DREHBÜCHER, DREHBUCHAUTOREN
      UND DIALOGSCHREIBER


      In Indien ist das Drehbuch nach den Richtlinien der viktorianischen Skriptstruktur aufgebaut, das erkennt man daran, dass es auch heute noch in der Mitte des Films eine Unterbrechung gibt. Wichtig für den Drehbuchautor ist es, einen interessanten Intervallpunkt (Unterbrechung) zu finden, von dem aus sich die Geschichte zurückspinnen lässt. Nachdem man den ersten Teil des Drehbuchs geschrieben hat, wird der zweite Teil in Angriff genommen. Von der Basislinie des Skripts aus werden dann die Nebenhandlungen kreiert.
      In Indien gibt es im Drehbuchbereich zwei Berufsgruppen: Zum einen die Drehbuchautoren und zum anderen die Dialogschreiber. Der Grund für diese Unterscheidung ist, dass die meisten Drehbuchautoren, die fürs Kino arbeiten, aus Bengalen und Südindien kommen. Diese Schreiber wissen zwar alles Wesentliche über das Hindi-Urdu-Kino, doch beherrschen sie diese Sprachen nicht genügend, um gute Dialoge schreiben zu können. So schreiben sie nur das Gerüst des Drehbuchs, die Dialoge werden dann von einem Hindi- oder Urdu-Autor verfasst.
      In den Mainstreamfilmen gibt es ungefähr zehn Masterplots, d.h. Geschichten, die immer wieder auf der gleichen Handlungsgrundlage beruhen. Beliebte Themen sind z.B. »Lost & Found" (Verloren und wieder gefunden). Zwei oder mehrere Geschwister werden vom Schicksal als kleine Kinder oder Babys getrennt, wachsen in verschiedenen Haushalten auf und treffen sich als Erwachsene »zufällig" wieder. Filmbeispiele hierfür wären »Amar, Akbar, Anthony", » Waqt" oder "Naseb ".
      Besonders beliebt sind gleichfalls die »Love Triangle-Geschichten" (Dreiecks- Liebesgeschichten), in denen zwei Männer um eine Frau oder zwei Frauen um einen Mann buhlen, (»Kuch Kuch Hota Hai", »Silsila", "Sangam" und "Pyar Ishq Aur Mohabbat").
      Auch gerne gesehen werden Filme, die "Rache" als Schwerpunktthema haben. Meist wird ein Familienmitglied auf tragische Weise umgebracht und der Überlebende richtet sein ganzes Leben darauf aus, sich an dem Schuldigen zu rächen. Als Beispiel wären die meisten Amitabh Bachchan-Filme der 70er Jahre zu nennen, »Zanjeer", »Sholay" oder neuere Filme wie »Baazigar" und »Bandit Queen ".
      Ein weiteres häufig auftauchendes Thema ist »Verbotene Liebe". Zwei Verliebte, die verschiedene religiöse oder gesellschaftliche Hintergründe haben, wollen heiraten, doch dieser Liebe stehen immer die Eltern oder andere Neider im Wege (wie in "Devdas", "Mughul-e-Azam", »Bobby", »Dilwale Dulhaniya Le Jayenge" und »Mohabbatein ".) Es gibt auch Filme, die religiöse Konflikte thematisieren, vorwiegend Auseinandersetzungen zwischen Moslems und Hindus oder Moslems und Sikhs, <»Fiza", »Mission Kashmir", »Bombay", »Gadar" und Dil Se).
      Der Strang der Haupthandlung wird von menschlichen Regungen wie Liebe, Hass, Eifersucht und Neugier inspiriert, die auch schon in den Hinduepen thematisiert wurden. Die Masterplots basieren auf den neun Rasas und auf der arabischen Tradition des Geschichten Erzählens. Um Erfolg zu haben, muss ein Hindifilm sich auch durch gute Dialoge auszeichnen. Das Kommt daher, dass Inder sehr großen Wert auf das Gesprochene legen und dass das Kino vom traditionellen Theater beeinflusst wurde. Die Zuschauer erinnern sich an die Dialoge und können sie meistens mit Leichtigkeit rezitieren. Für den indischen Film spielt neben dem visuellen der auditive Teil eine besonders ausschlaggebende Rolle.
      Im indischen Kino sind oft lange Dialoge üblich, die voller Metaphern sind. Figuren beschreiben ausführlich ihre Gefühle und gehen dabei bis ins kleinste Detail, dies stammt noch aus der Theaterzeit. Doch einige Drehbuchautoren wie Javed Akhtar und sein Kollege Salim Khan mögen die Dialoge lieber nur mit kurzen und bündigen Erklärungen. Sie finden es besser, Gefühle zu zeigen, statt über sie zu reden, da man so der Fantasie des Publikums mehr freien Raum lässt. Viele Hindifilme sind ihnen zu plakativ und zu theatralisch.


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      So bin endlich fertig :]....und hoffe dass es euch gefällt.

      falls ihr noch was wissen wollt fragt nach und ich werde versuchen es zu beantworten
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      Like a Boss :goodwork: